CMA - Bestes vom Bauern Das Literatur-Caf� - Der literarische Treffpunkt im Internet
 
<< Vorheriger Beitrag  
Fenster schließen Nächster Beitrag >>
 

Emmas lukullischer Traum
von Marianne Grudde

Sie hatte sich den Tisch direkt dorthin bringen lassen, wo der See den Grasstreifen am Ufer berührte. Der Zeitpunkt für das Abendessen bei Toni war gut gewählt. Während Emma das würzige Bier durch ihre Kehle rinnen ließ, bot der Feuerball der untergehenden Sonne hinter der immer dunkler werdenden Silhouette des Bergmassivs ein grandioses Naturschauspiel. Sie hielt das Glas mit der goldenen Flüssigkeit kurz gegen die Flamme des Windlichts, um es zum Funkeln zu bringen und leckte sich mit der Zungenspitze den Schaum von den Lippen. Sie begann sich ihrem appetitlich aussehenden Vorspeisenteller zu widmen. Der knackige Salat, teilweise frisch aus Tonis Garten, ließ das Auge lustvoll mitessen. Ein köstliches Farbenspiel, vom feurigen Rot reifer Tomaten über helles Grün von Gurkenscheiben, bis zu dem dunkleren der Rauke. Weiß und orange leuchteten Radi- und Karottenstiftchen. Kräftig dunkelbraun angebratene Waldpilze krönten das ganze. Lustvoll biss Emma in eine Scheibe des frischen Landbrotes und ließ die Spur ihrer Zähne in der sahnigen Alpenbutter zurück. Sie wusste nicht wo sie das alles lassen sollte. Aber als der saftig glänzende Schweinsbraten umrahmt von gedünsteten Äpfeln und blauschwarzen Backpflaumen vor ihr stand, ganz zu schweigen von den dampfenden, hausgemachten Semmelknödeln, lief ihr das Wasser im Munde zusammen und sie hatte nichts dagegen, dass Toni ihr die zweite Maß Bier brachte. Reichlich schöpfte sie von der sahnigen hellbraunen Soße über Braten und Klöße. Genüsslich, mit geschlossenen Augen, führte Emma die Gabel zum Mund und machte hin und wieder eine Pause, um in ihrem Bierglas zu versinken. Vom See her war Wind aufgekommen und der Wirt schlug vor, den Nachtisch doch in der Gaststube einzunehmen. Emma schüttelte den Kopf. Der Anblick der Landschaft, das Einatmen der würzigen Luft und der Geschmack der Schmankerln auf der Zunge, waren für sie zu einem untrennbaren Sinnengenuss verschmolzen. Als es zu regnen begann, warf sie sich mit einer raschen Bewegung ihres Oberkörpers schützend über die Bayerische Creme am Mousse von Himbeeren. Kein einziger hässlicher Tropfen sollte ihr diesen köstlichen Nachtisch verwässern. Löffel um Löffel der zarten Speise ließ sie auf der Zunge zergehen und merkte in ihrer Verzückung nicht mehr, wie sie längst mitsamt dem Tisch und ihrem vom Wind gebauschten Dirndlrock in die Mitte des Sees getrieben wurde.

© by Marianne Grudde. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
<< Vorheriger Beitrag  
Fenster schließen Nächster Beitrag >>