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Kirschenzeit
von Aliena Misther

Als ich letzte Woche ein märchenhaftes blutrotes Sauerkirsch-Parfäit aß, ein Kunstwerk, viel zu schön zum Zerstören, versetzt ein unvergesslicher Geschmack mich plötzlich viele Jahre zurück.
Vorstellung in der Familie meines zukünftigen Mannes:
Ein heißer Sommertag, man traf sich im Garten, die Schattenmorellen waren reif.
Freundliche Begrüßung, ein opulentes Mittagsmahl. Dann wurde klar, dass jede Hand gebraucht wurde, um die frisch geernteten Kirschen zu verarbeiten.
Natürlich beteiligte ich mich gern; bekam eine Fleichergummischürze und einen komischen Löffel mit Loch.
Dann saßen wir zu viert, Schwiegermutter, Schwägerin, mein Mann und ich - aufgereiht, wie die Orgelpfeifen - jeder einen Eimer vor sich und eine Schüssel auf dem Schoß, vor der Gartenlaube. Meine Schwiegermutter bemerkte: „Ein Glück, dass wir den Dreck nicht in der Wohnung haben.“
Ich fragte mich still, warum.
Nach noch keiner halben Stunde Polken und Schwitzen war es klar; wir sahen aus wie Schwerverbrecher. An den Schürzen liefen die roten Schlieren herunter. Die Arme waren bis zu den Ellenbogen rot und die Beine - zum Glück in kurzen Hosen – waren bis zu den Waden hoch bespritzt.
Plötzlich verschwand meine Schwiegermutter mit ihrer Schüssel in der Laube, nicht ohne uns zu ermahnen, schnell fertig zu werden.
Na gut, der Nachmittag war sowieso nicht mehr zu retten, seufzend popelten wir weiter die Kerne aus den leckeren Früchtchen.
Bald zog eine Duftwolke an uns vorbei. Mein Mann und seine Schwester grienten sich an und meinten: „Kirschsuppe! Da lohnt jede Plackerei.“
„Ist das was Besonderes,“ wollte ich wissen.
„Einfach einzigartig, dafür lasse ich alles stehen,“ mein Schatz und seine Schwester schwärmten: „Die kann keine wie Mutter. Einfach ein Gedicht.“
Die letzten Kirschen fielen im Accord in die Schüsseln, die eiskalte Gartendusche beseitigte die „Blutspuren“.
Auf dem Kaffeetisch wartete bereits ein Riesentopf voller sämiger blutroter Suppe, von Kirschen- und Zimtduft umweht.
Den ersten Teller schlangen alle wie nach wochenlangem Fasten leer. Dann erst konnten wir schmecken: Kirsch-Zimt-Aroma und fluffig-lockere kleine Klümpchen aus Mehl, Ei und Zucker, die in der Suppe eine pinkfarbene Haut bekamen –unvergeßlich.
Dies war das erste Rezept von vielen, das ich mir von Schwiegermutter abguckte.
Leider schmeckt es mit gekauften Kirschen lange nicht so gut, denn die Tortur des Entsteinens macht wohl das Aroma erst so richtig rund.

© by Aliena Misther. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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