CMA - Bestes vom Bauern Das Literatur-Caf� - Der literarische Treffpunkt im Internet
 
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Eine Stunde Pause
von Elisabeth Podgornik

Marlene stieß die Tür mit dem linken Fuß ins Schloss, während sie mit dem rechten drei paar Schuhe in die Ecke beförderte. Was war das nur für ein Tag! Seit Stunden freute sie sich auf eine Tasse Kaffee. Doch eine überirdische Macht schien ihr diesen Genuss zu verwehren. Aus dem Wohnzimmer drang Lärm und Gepolter. Die Freunde von Sarah, ihrer kleinen Tochter, mussten bereits eingetroffen sein. Hoffentlich wurde Martin mit der Bande fertig. Sie selbst hatte keine Zeit, sich um die Horde zu kümmern. In sechzig Minuten erwartete sie ihr Chef zu einer Besprechung. Aber ein Mokka würde ihre Lebensgeister schon wieder wecken. Marlene schaltete die Espressomaschine ein und füllte sie mit duftendem Kaffeepulver. Von leisem Rauschen begleitet, plätscherte die schwarze Flüssigkeit in die Tasse. Ein bisschen Milch noch - kein Zucker wegen der Linie - und dann sank sie erschöpft auf einen Sessel. "Ich gehe lieber nicht ins Wohnzimmer. Martin ist sicher schlecht gelaunt, weil er seinen freien Nachmittag mit Gesellschaftsspielen verbringen muss!" Sie nahm einen Schluck Kaffee. Plötzlich wurde es ganz leise im Nebenzimmer. Marlene stutzte. Was war passiert? Hatte Martin, der ja, wie ihr plötzlich einfiel, morgen einen Artikel abgeben musste, die Kinder gefesselt und geknebelt, weil es ihm zuviel geworden war? Sie lauschte besorgt. Er war nicht der Typ Mann, der stundenlang mit seiner Tochter und ihren Freunden spielte und tobte. Das Geschrei machte ihn wahnsinnig und so lieb er Sarah auch hatte, er freute sich immer, wenn ihre Kameraden die Wohnung wieder verließen. Marlene hatte heute nicht einmal Zeit gefunden, einen Imbiss für die Kleinen vorzubereiten. Die Stille wurde ihr unheimlich. Leise schlich sie zur Tür und guckte durch das Schlüsselloch. Sie konnte kaum glauben, was sie da sah! Martin saß mit sieben Kindern im Kreis auf dem Fußboden. In der Mitte stand eine riesige Torte, oder eher die Reste von dieser. Jeder hatte einen großen Becher vor sich und einen gefüllten Teller. Die Kids mampften glücklich und Martin tat es ihnen gleich. Eine Thermoskanne mit Kaffee neben sich, steckte er gerade eine Gabel voll Schwarzwälderkirsch in den Mund und strahlte mit seiner Tochter und ihren Gästen um die Wette. Vorsichtig zog Marlene sich zurück, nahm seufzend noch einen Schluck aus ihrer Tasse und hastete zu ihrem nächsten Termin, neidvoll an die Horde im Wohnzimmer denkend, die sich, während Marlene ins Büro hetzte, dem Genuss in vollen Zügen hingab.

© by Elisabeth Podgornik. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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