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Picknick
von Astrid Krömer

Der Tag, an dem ich fühlte, dass mein Leben keinen weiteren Sinn hatte, war ein besonders schöner Frühlingstag. Ich weiß das, weil meine Mutter in der Küche gerade einen Picknickkorb packte, während ich, innerlich verzweifelt wie ein Teenager nur sein kann, wenn der erste Freund Schluss gemacht hat, das Gesicht gegen die Handkanten gelehnt auf unser Telefon starrte. Er würde anrufen, alles rückgängig machen, an diese Hoffnung klammerte ich mich. „Du wirst also sterben?, fragte Mutter und öffnete die Kühlschranktür. Der unverkennbare Duft ihrer selbstgemachten Pastete drang in meine Nase. „Vor oder nach dem Picknick?" Sie ist gemein, dachte ich und entsandte einen mürrischen Blick in Richtung Küche. Ich beobachtete, wie sie ein Glas Dip und ein mit dünnem Papier umhülltes Brot in den Korb steckte; auf dem Papier prangte der Name meines Lieblingsbäckers. Noch eine Woche zuvor hatte ich getönt: „Für dieses Brot könnte ich sterben!" - jetzt sah die Sache anders aus. Ein letztes Mal sog ich den würzigen Duft des Laibes ein. Und dann dachte ich daran, dass Mutters Freundin Dagmar zum Picknick immer pikante Hähnchenschenkel mitbrachte. Dagmar bereitete sie schon am Vortag zu, pinselte sie mit einer Mischung aus Honig und Kräutern, die ihr ganz spezielles Geheimnis war, ein, dann wurden die Schenkel gegrillt. „Kommt Dagmar auch zum Picknick?" fragte ich, darum bemüht, ein weiterhin verdrossenes Gesicht zu machen. „Natürlich", antwortete Mutter. „Und wenn mich nicht alles täuscht, bringt sie ihren Sohn Ronny mit." Ronny? War Ronny nicht auf eine Schule in England gegangen? Ich erinnerte mich an die Fete im letzten Sommer. Und daran, wie es mir imponiert hatte, dass er für ein ganzes Jahr von zu Hause wegging. „Seine Ferien beginnen früher", erklärte Mutter und stopfte eine in Zeitungspapier eingeschlagene Sektflasche in den ohnehin randvollen Picknickkorb. „Puh, geschafft!", sagte sie und hob den Korb hoch. Er ächzte vom Gewicht. Ich ahnte, welche weiteren Leckereien darin verborgen waren. „Kommst du jetzt mit oder nicht?" Sie stand zum Gehen gewandt. Ich dachte an die Pastete, die Hähnchenschenkel - und an das Wiedersehen mit Ronny. Und plötzlich verspürte ich einen riesengroßen Appetit.

© by Astrid Krömer. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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