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Vater, Mutter, Kind: Amazon kann auch anders

Kindle Single: Vater Mutter Kind

Amazon verkauft nicht nur allerlei – darunter auch Bücher – und gibt Self-Publishern die Möglichkeit, ihre Texte auf eigenes Risiko als E-Book zu vermarkten. Seit Kurzem ist der Onlinehändler zudem auch in Deutschland als Verlag tätig (wie zuvor schon in Großbritannien und den USA).

Wir haben uns eines der deutschen Kurz-E-Books angesehen – und waren überrascht.

»Kindle Singles« heißt das Format, und wie der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei um E-Books. Ihr Umfang ist kürzer, in der Regel sind es Erzählungen. Bislang wurden englische Kindle Singles übersetzt, doch seit kurzem ist Laurenz Bolliger als Lektor für Amazon tätig, um deutschsprachige Originaltitel zu betreuen. Über seine Arbeit sprach er unlängst mit buchreport.de.

Da die Erzählungen gezielt ausgesucht und lektoriert werden, kann man davon ausgehen, dass diese tatsächlich etwas taugen. Durch die Zusammenarbeit mit den USA werden die deutschsprachigen Erzählungen auch für den englischsprachigen Markt übersetzt, was dem Autor oder der Autorin zu Gute kommt.

Wir machen also die Probe mit »Vater, Mutter, Kind« von Marcus Seibert. Der Titel wurde von Laurenz Bolliger im Interview erwähnt, da es kein Genre-Text ist, wie die meisten Kindle Singles. Das E-Book umfasst ungefähr 27 Druckseiten, rechnet uns Amazon vor.

Über den Autor heißt es auf seiner Info-Seite:

Marcus Seibert, Jahrgang 1964, studierte Philosophie in Köln und Paris – die richtige Ausbildung, um später für verschiedene Serien, zuletzt die »Lindenstraße« zu schreiben. … Erzählungen erscheinen ab sofort online und in verschiedenen Anthologien. Ein Roman ist in Vorbereitung.

Erzählt wird, wie das Leben eines Philosophie-Studenten durch sein Kind aus den Fugen gerät.

Der Protagonist arbeitet seit vier Jahren an einer Dissertation über die »unterschiedliche Verwendungen des Begriffs Habitus bei Thomas von Aquin und Bourdieu«, während seine Frau Geld verdient. Gedanken über seinen eigenen Habitus – also seine Selbstdarstellung – macht er sich nicht. Als das Kind geboren ist und seine Frau zunehmend seinen fehlenden Ordnungssinn rügt, kreist er immer mehr um und in sich selbst, verlässt seine Frau, gibt die Dissertation auf.

Erst am Ende nimmt er seinen Habitus wahr: So ist das mit Theorie und Praxis.

Das Entscheidende an dieser Erzählung ist der schmucklos-lakonische Stil: Man erlebt die Verengung, den Verfall durch die Augen des personalen Erzählers – also nicht eines Ich-Erzählers, der auswählt, was Leser wissen dürfen.

Das entwickelt einen starken Sog! So erfahren wir sehr früh, wie der Protagonist heftig mit seiner Frau streitet, während er sich gleichzeitig als derjenige sieht, der immer nachgibt und jedem Streit aus dem Wege geht.

Unklar bleibt, wovon der Student eigentlich lebt, nachdem er ausgezogen ist – aber diese Schwachstelle weisen viele zeitgenössische Romane auf: Deren Figuren haben halt irgendwie Geld.

Dennoch bleibt »Vater, Mutter, Kind« eine überaus lohnende Erzählung. Wer Amazon-Prime-Mitglied und Kindle-Besitzer ist, kann die Erzählung sogar kostenlos ausleihen.

Malte Bremer

Marcus Seibert: Vater, Mutter, Kind (Kindle Single). Kindle Ausgabe. 2013. . 3,09 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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