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Textkritik: Mit 30 Wörtern auf den Punkt

Amphibrachys (griechisch ἀμφίβραχυς) bezeichnet in der antiken Verslehre einen einfachen, dreigliedrigen Versfuß, bei dem zwei Kürzen eine Länge umschließen nach dem Schema ◡—◡. So definiert es die Wikipedia.

Das diesmal von Malte Bremer besprochene Gedicht füllt diese Form mit perfektem Inhalt.

zu spät

von Manfred Ende
Textart: Lyrik
Bewertung: 5 von 5 Brillen

Als ich ihr geschrieben
»hab nie dich belogen«,
hat spöttisch der Bleistift
die Mine verzogen.

Als ich es bereute
nach einigen Wochen,
da streikte mein Bleistift,
er war dran zerbrochen.

© 2016 by Manfred Ende. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Inhaltlich und formal überzeugend

Zunächst fällt das Metrum auf: Gewählt wurde der in unserem Sprachraum seltene Amphibrachys (unbetont-betont-unbetont) und bis zum Ende sauber durchgehalten. Weiter überzeugt das Spiel mit dem Homonym Mine-Miene und dem konkreten und metaphorischen zerbrechen. Und es zeugt von Humor, wenn der Bleistift besser weiß als der Schreiber, dass letzterer lügt! Sonst würde er ja wohl einen Kuli verwenden.

Offen bleibt, warum der Schreiber das bereute: Hat der Empfänger des Briefes ihm die Lüge nachgewiesen? Musste er das eingestehen und wollte sich jetzt ehrlich entschuldigen?

Und wieder weiß der Bleistift besser Bescheid: Er lässt eine weitere Lüge nicht zu, verweigert den Dienst, denn er war bereits an der ersten Lüge zerbrochen.

Manche machen aus einer Liebeslüge einen Roman, andere kitschen, was die Feder hergibt. Manfred Ende bringt es formal und inhaltlich mit 30 Wörtern auf den Punkt!

Die Kritik im Einzelnen

entfällt

© 2016 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.