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Textkritik: Das missglückte Luder

Das diesmal von Malte Bremer besprochene Gedicht enthält eine inhaltliche Steigerung. Das spiegelt sich aber nur grob inhaltlich wieder, jedoch überhaupt nicht in der Form!

Das Luder

von Martina Siehms-Dahle
Textart: Lyrik
Bewertung: 1 von 5 Brillen

Magst tanzen mit mir im fahlen Licht?
Bei Tannenduft?
Auf Moos gebettet,
verschling ich dich mit meinen Schenkeln.

Magst jagen mit mir durch Dornengebüsch?
Zum Ruf der Eule?
Im See erfrischt,
liebkost mein kalter Busen deine Lenden.

Magst laben dich an meinen Gruben?
Bei brütenden Vögeln?
Über Pfade der
fließenden Glut verführe ich dich.

Magst, dass ich dein Köder bin?
Ein Lockruf des Verlangens?
Willst, dass ich mich
schinde auf Knien vor deinem Eros!

Magst fühlen das Feuer unsrer Herzen?
Blutrote Haut auf weißen Federn!
Wässrige Küsse glucksen
im Sumpf meiner Verderbtheit.

Magst rufen mich bei meinem Namen?
Mein brennender Atem flackert vor Lust!
Als Jungfrau Diana soll ich dir dienen,
nennst Luder mich.

Magst dich nicht wehren mit Klauen und Zähnen?
Ich keuche meine Beichte mit Freude Dir ins Ohr:
Deinen Leib will ich weiden,
wie der Jäger die Ricke!

Magst nun darben auf liederlichem Schindacker,
verscharrt unter vertrocknetem Laub!
Noch ein Mal witt’re ich deinen klebrigen Duft.
Nun lockst du nach altem Brauch das Biest!

© 2016 by Martina Siehms-Dahle. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Missglückter Versuch, die Doppelbedeutung von Luder in ein Gedicht zu stopfen
Dieses Gedicht enthält eine inhaltliche Steigerung. Das spiegelt sich aber nur grob inhaltlich wieder, jedoch überhaupt nicht in der Form! Die Vorgabe der ersten beiden Strophen wird nicht allmählich aufgelöst, sondern schlagartig. Formal bleiben nur die vier Zeilen und die Frage Magst zu Beginn (abgesehen letzten Abschnitt). Eine allmähliche Veränderung der Struktur in weniger Strophen wäre eindringlicher gewesen.

Die Kritik im Einzelnen

Wie kann man auf Moos gebettet tanzen? Nachdem das Luder zwei Fragen gestellt hat, teilt es dem befragten Wesen mit, es verschlingen zu wollen. Normalerweise müsste der Text hier enden  – aber wer kennt schon des Wesens Wesen! Gewiss: verschlingen ist hier übertragen gemeint, dennoch bleibt der Fall vom Tanz zum Geschlechtsverkehr gewaltig! zurück

Durch die Wiederholung ist jetzt die Struktur des Gedichts vorgegeben: Erste und zweite Zeile enthalten jeweils eine Frage, dann folgt ein konkreter Ort, gefolgt von einem Partizip, und dann folgt die Handlung des Luders.
Im Metrum zeigen sich kleine Variationen – außer in der Schlusszeile: die hat hier fünf Jamben, in der vorherigen waren es nur vier. Das ließe sich leicht verbessern, wenn man aus dem kalten Busen einfach Busen machte – schon wäre sie sauber! zurück

Jetzt wird die aufgebaute Struktur zerbrochen. Einen nachvollziehbaren Grund dafür finde ich nicht: Es gibt kein mit mir mehr, keine Orte, das Metrum wird verlassen. Gleich bleibt nur das Magst zu Beginn jeden Abschnitts (Strophe heißt es nur, wenn die Teile eines Gedichts vom Aufbau gleich sind).
War in den beiden ersten Strophen das Luder noch aktiv, ist es nun passiv: Es will, dass die andere Person sich an seinen Gruben labt . Was das für Gruben sind? Keine Ahnung! Bisher war noch nicht von einem Aushub die Rede! Oder sollten das etwa Wangengrübchen sein? Und kann man sich denn an denen laben? Keine Ahnung! Geschehen soll das bei brütenden Vögeln, also irgendwo in der Nähe eines Nestes. Doch warum werden hier Tiere genannt statt nur der Ort?
Dann wird das Luder wieder aktiv und verspricht der anderen Person, sie zu verführen … aber das hat Luder bereits in der ersten Strophe erledigt – auch wenn die andere Person jetzt nicht mehr schenkelmäßig verschlungen wird, sondern über Pfade der fließenden Glut. zurück

Luder würde gern Köder der anderen Person sein? Aha, sie will also nicht mehr die andere Person verführen, sondern dass die andere Person sie als Köder benutzt – für andere Männer und Frauen, mit anderen Worten: Das Luder wünscht sich einen Luden – nun gut, jede wie sie will.
Aber wieso heißt das, dass das Luder sich jetzt schinden muss auf Knien wegen des Eros’ des Luden? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Dieser Abschnitt kann getrost fehlen! zurück

Prostitution hilft offenbar nicht weiter, jetzt ist erneut (Ex)-Lude gefragt: Ob er das Feuer unserer Herzen fühlen möge, fragt sie. Kitsch sage ich. Dazu passend das schräge Bild von wässrigen Küssen, die im Sumpf der Verderbtheit glucksen … zurück

Das Luder möchte jetzt bei seinem Namen genannt werden, der da lautet Diana. Aber warum? Weil sie dem Luden als Jungfrau dienen will mit flackerndem Lustatem? Zu spät, geht nicht mehr, hat sich in der ersten Strophe bereits erledigt! zurück

Dass der Exlude Diana einfach über sich ergehen lässt, mag sie nicht, sie hätte lieber Gegenwehr, am besten mit Klauen und Zähnen, tierisch halt! Und aus irgendeinem Grund keucht sie ihm dabei freudvoll ihre Beichte ins Ohr: Deinen Leib will ich weiden,/wie der Jäger die Ricke!
Eine seltsame Beichte, denn niemand, nicht einmal eine Göttin kann etwas weiden! Es gibt Tiere, die weiden können. Man findet sie auf der Weide. Man kann sich zudem an etwas weiden (nicht an diesem Text), z. B. an einem Leib. Und den kann man sogar ausweiden – so wie ein Jäger den einer (toten!) Ricke. zurück

Jetzt haben wir den Salat: Das Luder hat den Exluden zum Luder im jägersprachlichen Sinne gemacht. Dann fragt es sich, wieso der Leib unter Laub versteckt wurde, wenn er das Biest anlocken soll, obwohl das Biest Luder-Diana bereits da ist!
Wozu also noch eins anlocken? Und welches? Das von der Schönen? Es gibt doch so viele
PS: Was ist ein liederlicher Schindacker? Gibt es denn auch gepflegt? zurück

© 2016 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.