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Rosamunde-Pilcher-Rettung aus der Fernsehhölle: Ein Nachruf in drei Kurzgeschichten

Der Autor dieses Nachrufs zusammen mit Sprecher-Kollegin Lilian Wilfart auf einem Plakat zu einer Rosamunde-Pilcher-Lesung (Foto: Birgit-Cathrin Duval)
Der Autor dieses Nachrufs zusammen mit Sprecher-Kollegin Lilian Wilfart auf einem Plakat zu einer Rosamunde-Pilcher-Lesung anlässlich der Stuttgarter Buchwochen 2015 (Foto: Birgit-Cathrin Duval)

Rosamunde Pilcher ist tot. Die Autorin starb am vergangenen Mittwoch (06.02.2019) im Alter von 94 Jahren in Schottland, wo sie seit über 70 Jahren lebte. Pilcher gilt für viele als Inbegriff der Kitsch- und Liebesromanautorin. Schuld daran ist das ZDF. Ihre Texte waren besser.

Als im Jahre 1990 ihr Roman »Die Muschelsucher« auf Deutsch erschien, glaubten viele, dass es das Buch einer deutschen Autorin sei, weil der Name »Rosamunde Pilcher« so gar nicht englisch klang. Geboren wurde sie jedoch 1924 als Rosamunde Scott im britischen Cornwall. 1946 heiratete sie den Textilunternehmern Graham Pilcher und zog zu ihm nach Schottland.

Bereits während des Zweiten Weltkriegs begann sie, für Frauenzeitschriften Kurzgeschichten zu schreiben. Da sie als Freiwillige für die britische Marine arbeitete und Geheimnisträgerin war, veröffentlichte sie die Geschichten zunächst unter dem Pseudonym Jane Fraser.

Doch erst der Roman »Die Muschelsucher« (»The Shell Seekers«) aus dem Jahre 1987 machte sie im Alter von 63 Jahren zur bekannten Autorin. Mit ihren Büchern soll sie über 100 Millionen britische Pfund verdient haben.

In der Verwurstungshölle des Fernsehfilms

Jedoch ist und war sie in Deutschland bekannter als in ihrer englischen oder schottischen Heimat. Das wiederum lag nicht primär an ihren Büchern, sondern an den ZDF-Verfilmungen ihrer Kurzgeschichten. Selbst wer nie eine Zeile Rosamunde Pilcher gelesen hat, verbindet mit ihrem Namen seichte Liebesgeschichten, die in Cornwall spielen. Den Pilcher-Stoffen wurde das seltsame Entwertungsdrama zuteil, dass sie mit ihren Kollegen Donna Leon und Henning Mankell teilt. Ihre Texte schafften nie den Durchbruch mit großem Hollywood-Pathos, sondern landeten mit einer Besetzung aus deutschen und internationalen Schauspielern in der Verwurstungshölle des landschaftsbildunterfütterten Fernsehfilms und wurden zu einer Art Schwarzwaldklinik mit anderen Mitteln. Stets war die Landschaft einer der wichtigsten Hauptdarsteller, sei es Venedig, Schweden oder wie bei Pilcher das südenglische Cornwall. »Ich schaue Rosamunde-Pilcher-Filme immer so gerne wegen der Landschaft« wurde zur augenzwinkernden Ausrede für das fernsehschauende Seichttum.

Klar: Rosamunde Pilcher ist keine Hochliteratur. Ihre Geschichten sind ursprünglich für Frauenzeitschriften geschrieben und dienten primär der Unterhaltung. Da gibt es Kitsch und Happy-End, die meisten spielen in kleinbürgerlichen Verhältnissen, und ihr Personal rekrutiert sich meist aus der Landbevölkerung.

Jedoch wäre es falsch, Pilcher als verschnulzte Liebesromanautorin abzutun, denn das war sie nicht. Ihre Geschichten waren zwar stets von einer Wärme durchzogen, doch es gab auch Tod und Unglück. Pilchers Geschichten haben Witz und wenig Adjektive. Die verpasste ihr erst später visuell das ZDF.

Bei der Beurteilung von Pilchers Kurzgeschichten sollte man stets im Blick haben, dass diese meist in den 1950ern, -60ern und -70ern angesiedelt sind, als die Welt noch von einem anderen Männer- und Frauenbild geprägt war. Dieses in die heutige Zeit zu übertragen erklärt einen weiteren Aspekt der Fernsehversionen.

Greifen wir also anlässlich des Todes von Rosamunde Pilcher nicht zur Fernbedienung – natürlich hat das ZDF aus diesem Anlass viele Pilcher-Filme wieder ins Programm genommen –, sondern greifen wir zum Buch. Alle Pilcher-Erzählungen sind in einem Band als Rowohlt-Taschenbuch erhältlich.

Schauen wir uns drei der Kurzgeschichten exemplarisch an. Sie zeigen sehr gut, was Pilcher-Texte ausmacht. Sie erfüllen die Erwartungen, brechen sie jedoch auch.

Erzählung 1: Toby

Ein geradezu vielschichtiges Kurzwerk. Hauptperson ist der achtjährige Toby, und gleich im ersten Satz bricht der Tod herein. Der 62-jährige Nachbar ist plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben, Toby bezeichnet ihn als seinen besten Freund. Pilcher zeigt, wie Toby den Tod des geliebten Menschen verarbeitet, und sie zeigt, dass der Tod zum Leben dazugehört in einem Dorf, in dem wie oftmals üblich der Schreiner auch der Sargtischler ist.

Der verstorbene Nachbar war Bauer, und eines seiner Schafe ist trächtig. Dessen Enkel muss nun die Geburt übernehmen, und in einer dramatischen Nacht versöhnt er sich mit Tobys 19-jähriger Schwester, nachdem sich die beiden Jugendlichen einst zerstritten hatten. Tobys Schwester arbeitet in London, das Pendeln zwischen Stadt und Land ist durchaus typisch für Pilcher.

Doch eine mögliche Liebesgeschichte bleibt hier nur angedeutet, stattdessen gibt Tobys Großmutter ihm noch ein paar wichtige Weisheiten auf den Weg, und das Leben geht weiter.

Eine Geschichte mit etwas Kitsch, etwas Kalenderweisheit – und dennoch keine Schnulze

Erzählung 2: Ein Tag zu Hause

Eine Erzählung, die sehr gut das Männer- und Frauenbild jener Zeit aufzeigt, in der Pilcher die Erzählung geschrieben hat. Auch hier arbeitet der Mann in London, während seine Frau sich um das Haus auf dem Land kümmert. Fragt er sie, was sie den ganzen Tag über so gemacht habe, so antwortet sie stets: »Nicht viel.«

Als der Mann wegen eines Schnupfens im Homeoffice bleibt und an einem Bericht für seinen Chef arbeitet, aber mit dem Text nicht so recht vorankommt, merkt er erst, was seine Frau daheim so alles leistet: Sie saugt das Haus, streicht die Vorhangleisten, organisiert den Blumenschmuck für die Kirche, wäscht, kocht (natürlich das Lieblingsgericht des Mannes), bereitet ein zweites Mahl für eine kommende Feier vor, beseitigt zusammen mit einem Nachbarn einen störenden Baum im Garten und stellt ihrem Mann noch einen Tee hin. Der hat an diesem Tag mit Müh‘ und Not seinen Bericht verfasst, wird aber von seiner Frau brav gelobt. Als er am nächsten Tag wieder aus dem Büro zurückkommt, wird seine Frau jedoch auf die Frage, was sie den ganzen Tag gemacht habe, wieder antworten: »Nicht viel.« Doch ihr Mann weiß nun, was sie wirklich leistet.

Ja, so ist es, das Leben in den 1950ern oder 60ern. Die Frau ist die heimliche Herrscherin, ungleich leistungsfähiger als ihr Mann. Ohne sie wäre er nichts. Doch sie kennt ihren Platz an seiner Seite und würde niemals behaupten, sie leiste mehr als er. Damals mag Pilcher die heimliche Herrschaft der Frauen mit Humor aufgezeigt haben, heute ist diese Haltung überholt.

Wirklich? Blickt man auf die Comedy-Bühnen, so schöpfen auch heute noch die meisten Witzbolde ihr Repertoire aus diesem Weltbild, und das Publikum klopft sich auf die Schenkel – inklusive Männerschnupfen.

Erzählung 3: Ein Mädchen, das ich früher kannte

Diese Kurzgeschichte dient als Beweis, dass Pilchers Geschichten nicht nur in Cornwall spielen: Wir sind in einem Skigebiet in den Alpen. Zwei Pärchen machen dort Urlaub. Eine der Frauen ist jedoch keine geübte Skifahrerin. Während die anderen den Hang hinunterfahren, zögert sie. Ein älterer Herr spricht ihr schließlich Mut zu, und die Frau meistert gemeinsam mit ihm die Abfahrt. Immer wieder berichtet der ältere Herr sehr liebevoll, dass sie ihn an ein Mädchen erinnere, dass er früher einmal kannte.

Erst später im Gespräch der beiden Paare stellt sich heraus, dass der ältere Herr früher ein Profi-Skifahrer und später Trainer der Olympiamannschaft war. Und das »Mädchen, das er früher kannte« war seine Frau, die im Jahr zuvor bei einem tragischen Bootsunfall ums Leben kam. Doch darüber hat der Mann nicht gesprochen.

Diese Zusammenfassung mag kitschiger klingen, als Pilchers Erzählton tatsächlich ist. Am Schluss steht kein Happy-End, sondern es steht wieder der Tod im Raum.

Arbeiten wir also am Nachruhm der Rosamunde Pilcher, indem wir lesen statt schauen.

Wolfgang Tischer

Rosamunde Pilcher; Margarete Längsfeld (Übersetzung); Ingrid Altrichter (Übersetzung); Dorothee Asendorf (Übersetzung): Alle Erzählungen: Das blaue Zimmer / Blumen im Regen. Taschenbuch. 2014. Rowohlt Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783499268137. 15,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Rosamunde Pilcher; Margarete Längsfeld (Übersetzung); Ingrid Altrichter (Übersetzung); Dorothee Asendorf (Übersetzung): Alle Erzählungen: Das blaue Zimmer / Blumen im Regen. Kindle Ausgabe. 2014. Rowohlt E-Book. 9,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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1 Kommentar

  1. Ich habe Anfang der 1990er Jahre in England SEPTEMBER entdeckt und gelesen, hatte keine Ahnung, wer die Autorin war. Fand und finde das Buch einfach nur großartig, sehr zum Erstaunen von Menschen, die die “Three Complete Novels” in meiner Bücherwand entdecken

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