StartseiteBuchkritiken und TippsRatlose Verlage: Das eBook zerstört das künstlich geschaffene Absatzbiotop

Ratlose Verlage: Das eBook zerstört das künstlich geschaffene Absatzbiotop

eBooks auf dem iPod touchWie so viele Branchen hat sich auch der Buchhandel in der Vergangenheit ein Geschäftsmodell geschaffen, in dem elektronische Produkte nicht vorgesehen waren. Bei elektronischen Büchern wird daher hilflos am Kunden vorbeigeplant.

Vor der eBook-Zeit war die Verlagswelt noch in Ordnung: Kam ein neuer Roman auf den Markt, so wurde er zunächst als sogenannte »gebundene Ausgabe« oder »Hardcover-Ausgabe« verkauft, die wertvoll erscheinen sollte, um einen hohen Preis zu rechtfertigen, obwohl sie schon längst in billiger Pappe statt Leinen gebunden war. Zielgruppe waren die Fans des Autors, die jedes Buch sofort haben wollen, Geschenkekäufer und Leute, die Solideres im Buchregal stehen haben wollten. War diese Gruppe abgefischt, kam nach einiger Zeit das Taschenbuch auf den Markt, um als zweite Welle die Käufer mit schmalerem Geldbeutel zu erreichen. Und vielleicht gibt es später noch eine dritte Welle für Gelegenheitskäufer mit einer preiswerten Sonderausgabe. Und egal ob Hardcover oder Taschenbuch: Dank gesetzlicher Preisbindung kosten die Bücher überall gleich.

Doch dann kam das eBook und machte das künstlich geschaffene Absatzbiotop zunichte. Absurde Preismodelle sind die Folge.

Das Zwitterwesen im Geschäftsmodell der Verlage

Dass die Verlage den Wert des Textes optisch an seiner »Umverpackung« orientiert hatten, rächt sich nun. Wo zwischen Hardcover und Taschenbuch, das auch schon mal ein Eselohr abbekommen darf, ist die eBook-Datei einzuordnen?

Eines ist klar: Künstlich zurückhalten oder verknappen lässt sich eine Datei nicht. Die Dateiform wird vom Kunden als natürliche Vorstufe des gedruckten Buches betrachtet, so wie ein Brief zunächst auf dem Computer getippt und dann erst ausgedruckt wird. Also muss das eBook spätestens mit dem gedruckten Buch auf den Markt kommen – wenn nicht sogar vorher.

Doch gegenüber der gebundenen Ausgabe ist eine eBook-Datei noch weitaus weniger wert als ein Taschenbuch. Die Datei an sich ist sogar völlig wertlos, da sie ein passendes Lesegerät benötigt. Ein gedrucktes Buch funktioniert ohne Strom und Zusatzhardware. Und anders als ein gedrucktes Buch kann ein eBook nicht verliehen, verschenkt oder weiterverkauft werden. Mit einem »Hier, das solltest du mal lesen«, wird man sein iPad mit dem Text nicht an einem Freund weitergeben. Bei Amazon und eBay kann man die Datei nach der Lektüre nicht »mit leichten Gebrachsspuren« weiterverkaufen. Die Wahrscheinlichkeit ist ohnehin enorm hoch, dass Sie in ein paar Jahren das gerade gekaufte elektronische Buch überhaupt nicht mehr lesen können, da sie – ähnlich wie bei Schallplatten und Compactcassetten – die nötigen Wiedergabegeräte nicht mehr im Haus haben. Wer sich im Jahre 2000 Stephen Kings »Riding the Bullet« für den Palm III gekauft hat, kann es auf dem iPhone heute nicht mehr lesen.

Natürlich sind Bücher in Dateiform leichter und handlicher bei Urlaubsreise oder Umzug. Aber auf der anderen Seite sind Bücherkartons ein Zeichen der Beständigkeit. Elektronische Lesezeichen und Suchfunktionen sind praktisch – so sie der »Hersteller« der eBooks zulässt, aber man kann eBooks nicht kaufen, um eine Widmung hineinzuschreiben und sie an liebe Freunde zu verschenken. Und auch der Autor kann eBook bei einer Lesung nicht signieren, obschon Ähnliches versucht wird.

eBooks sind ein Zwitterwesen, das nicht zum bisherigen Geschäftsmodell der Verlage passt.

Der »gefühlte Wert« für den Kunden bedroht die Verlage

Für eBooks müssen keine Bäume gefällt werden, eBooks benötigen keine teuren Lagerhallen, und eBooks müssen nicht mit Lastwagen durch die Gegend gefahren werden.

Geht es also um den »gefühlten Preis«, den ein Kunde bereit ist zu zahlen, so müsste ein aktuelles eBook zum Taschenbuchpreis verkauft werden – wenn nicht sogar günstiger.

Doch ein solches Preismodell bedroht die bestehende Verlagsstruktur, denn das würde pro Titel nicht mehr den Umsatz bringen wie der bisherige Hard- und Softcover-Zyklus.

Dennoch versuchen die Verlage in Deutschland, den eBook-Preis eines aktuellen Werkes am Hardcover-Preis zu orientieren. Um ein bisschen Entgegenkommen zu signalisieren, siedelt man den Preis 10 bis 20% darunter an. Doch das ist weit von den 50% bis 70% enternt, die die Taschenbuchausgabe später günstiger sein wird.

Der Droemer Knaur Verlag versucht sogar, den Top-Titel »Der Augensammler« des deutschen Thriller- und Bestsellerautors Sebastian Fitzek 4 Cent teurer zu verkaufen als die gedruckte Ausgabe. Das Buch ist gebunden für 16,95 Euro zu haben, die Dateiversion fürs iPhone wird für 16,99 Euro angeboten. Versprochen wird dem Käufer dafür ein Mehrwert in Form einer passenden Musikuntermalung. Ob das reicht?

Droemer Knaur Verlag: »Wir sind bei der Preisfindung am Anfang«

Ralf Müller, Geschäftsführer des zum Holtbrinck-Konzern gehörenden Droemer Knaur Verlags, gesteht auf unsere Anfrage hin ganz offen, dass man beim eBook und bei der Preisfindung noch in einer Experimentier- und Beobachtungsphase sei. Ralf Müller: »Es ist in der Tat so, dass wir uns bei diesem noch sehr jungen Markt mit einer zielgruppenkonformen Preisfindung am Anfang befinden. Stand heute koppeln wir die Preise an die Printausgaben. Wir beobachten aktuell sehr aufmerksam die Entwicklung in den USA, ob sich dort ein Gattungspreis für digitalen Content herausbildet. Bislang konnten wir diesen noch nicht finden. Da wir davon ausgehen müssen, dass es in dem sich sehr schnell entwickelnden digitalen Content-Markt zu Substitutionskäufen kommt, sind wir aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, die Preise auf dem Niveau der Printausgaben zu halten«

Mit anderen Worten: Würden plötzlich alle Leute neue Titel als günstige eBooks kaufen statt in Hardcover-Form, könnten die Verlage nicht mehr existieren.

Beim Buchversender und eBook-Anbieter Amazon.com ist es schon so weit: Amazon-Chef Jeff Bezos verkündete letzte Woche, dass in den vergangenen drei Monaten auf 100 verkaufte Hardcover-Ausgaben 143 verkaufte elektronische Ausgaben für das Amazon-eigene eBook-Lesegerät Kindle kamen. Da es in den USA keine Buchpreisbindung gibt, sind dort aktuelle Bestseller in Dateiform für 9,99 Dollar zu bekommen, während die gebundenen Ausgaben oft einen empfohlenen Verkaufspreis von über 20 Dollar besitzen.

Doch wer aufgrund dieser Zahlen das Ende des gedruckten Buches prophezeit, liegt weit daneben. Aufgrund der fehlenden Preisbindung ist ein Bestseller trotz Preisempfehlung von über 20 Dollar in den USA für 13 oder 14 Dollar zu haben. Ohnehin spielen Hardcover-Ausgaben in den USA nicht die Rolle wie in Deutschland, wo im Jahre 2008 der Hardcover-Anteil bei 71,1 Prozent lag. Außerdem liegen keine Zahlen darüber vor, ob in Amerika Hardcover-Ausgaben eher im Buchhandel vor Ort als über Amazon verkauft werden. Amazons Hardcover/eBook-Vergleich mag daher eine Gegenüberstellung von Äpfeln und Birnen sein.

Die Meldung »Amazon verkauft mehr eBooks als gedruckte Bücher«, wie einige Online-Medien berichteten, deren Englisch offenbar für die Lektüre der Amazon-Pressemeldung nicht ausreichte und die Hardcover (gebundene Ausgabe) mit Hardcopy (gedruckte Ausgabe) verwechselten, ist ohnehin Unsinn.

Braucht ein digitales Buch noch Buchhandlungen?

Und obwohl man es in Deutschland zwar jahrelang erfolgreich mit wertiger erscheinenden Hardcover-Ausgaben signalisieren wollte, argumentieren die Verlage nun verstärkt, dass es nicht die Verpackung, sondern der Inhalt sei, für den man schließlich bezahle. Und hier sei es egal, ob das Buch gedruckt oder in Dateiform vorliege. Ohnehin verdiene der Handel einen Löwenanteil an den Büchern, nicht die Verlage. Buchketten wie Thalia erhalten für Bestsellertitel Rabatte von 50% und mehr.

Doch braucht ein digitales Buch überhaupt noch den Handel? In den großen Buchkaufhäusern sind im Eingangsbereich ohnehin nicht mehr die Titel gestapelt, die die Buchhändlerinnen gut finden, sondern die, für die ebenfalls die Verlage bezahlen.

Würden diese Handelsmargen und diese »Marketingzuschüsse« wegfallen, könnten dann die Verlage ihre eBooks für 50% der gebundenen Ausgabe selbst vertreiben?

Doch auch hier hat die digitale Welle längst die Verlagswelt überspült. Bücher selbst via Internet verkaufen? Nein, das wollte man jahrelang nicht, um den Buchhandel nicht zu verärgern, auf den man nach wie vor angewiesen ist. Der direkte Draht vom Verlag zum Kunden ist relativ neu. Und während die Verlage zögerten, war die virtuelle Welt von drei großen Buchhändlern ganz andere Art besetzt, die plötzlich eBooks verkaufen: Amazon mit seinem Kindle, Google mit der demnächst startenden »Google Edition« und natürlich Apple mit dem iBook-Store für iPhone, iPod und iPad. Wer künftig im großen Stil eBooks verkaufen will, wird an diesen drei Buchhandlungen der neuen Generation nicht vorbeikommen.

Und schon wird den Verlagen auch von anderer Seite gedroht: Wenn Bücher künftig günstiger vertrieben werden, wäre es dann nicht an der Zeit, endlich denen mehr zu bezahlen, die die Inhalte produzieren – also mehr Geld für Autorinnen und Autoren?

Und wenn Verlage immer mehr Lektoratsarbeit nicht mehr selbst erbringen, sondern an Dritte auslagern, wie z.B. an die Literaturagenten, werden Verlage dann nicht ohnehin irgendwann obsolet?

Braucht ein digitales Buch noch Verlage?

Die amerikanische Literaturagentur von Andrew Wylie, die auf dem US-Markt Autoren wie Philipp Roth, Salman Rushdie, Al Gore und Art Spiegelman vertritt, will bei den eBook-Ausgaben künftig nicht mehr den Weg über die Verlage gehen. Die Agentur schloss für digitale Buchausgaben einen zweijährigen Exklusivvertrag mit Amazon ab.

Die Literaturagentur agiert nicht mehr als Dienstleister für Verlage, sondern wird zu deren Konkurrenten. Wie die New York Times berichtet, findet man das beim Verlag Random House (Bertelsmann) gar nicht komisch. Mit Wylie wolle man keine neuen Verträge mehr abschließen. Wylie hat, so berichtet es die Süddeutsche, für dieses Vorgehen den Segen der vertretenen Autoren.

So mag dieser Exklusivvertrag für die Schriftsteller ein paar Prozente mehr bringen, fürs Buch – egal in welcher Form – ist diese Entwicklung jedoch fatal. Denn plötzlich hat ein digitaler Buchhändler nicht nur das Preis-, sondern auch das Warenmonopol. Es passiert genau das, was u.a. in Deutschland die Preisbindung verhindern soll: ein Buch ist nicht mehr überall in jeder Buchhandlung erhältlich. Hat man – aus welchen Gründen auch immer – keinen Zugang zu dieser Buchhandlung, so hat man keinen Zugang zu den Büchern, denn – und hier schließt sich ein Kreis – ausleihen oder gebraucht an jeder Ecke erwerben wird man eBooks nicht können. Ein Monopol, das weder für die Leser noch auf längere Sicht für die Autoren wünschenswert ist, so sehr sich letztere kurzfristig über ein paar Prozente mehr freuen mögen.

Das Beharren auf alten Geschäftsmodellen, die fehlende Experimentierfreude und der lange unterschätze digitale Markt, all das bringt Buchverlage ins Wanken und lässt sie zu oft reagieren anstatt agieren. Ob und wohin sie stürzen werden, ist freilich noch offen. Noch ist zu viel Bewegung im Markt, zu viel Hype ums eBook. Welchen Anteil es in einigen Jahren tatsächlich am Buchumsatz haben wird, vermag niemand vorherzusehen. Doch Tatsache ist, dass die Verlage mit allem rechnen müssen, auch mit dem Umstand, dass es sie so wie heute in einigen Jahren nicht mehr geben könnte.

Wolfgang Tischer

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9 Kommentare

  1. Auswüchse, wie der skizzierte Exklusivvertrag mit Amazon sind vermutlich eine schnell vorübergehende Erscheinung, weil wir noch nicht wissen, wie wir mit dem Phänomen eBook umgehen sollen. Die einschränkenden DRM-Mechanismen werden nicht lange Bestand haben und am Ende sind es kopierbare Dateien, wie MP3-Files. Die Implikationen, die damit einhergehen, muss man aber gesondert diskutieren. Jedenfalls hat man dann kein Problem mit mangelnder, sondern höchstens mit Über-Verfügbarkeit. Darüberhinaus kann man sich fragen, wie schlimm das in diesem Fall wirklich ist. Amazon ist faktisch für jeden verfügbar, für den auch normale Buchhandlungen verfügbar sind.
    Über die zukünftige Rolle der Verlage, habe ich auch neulich mal was geschrieben: http://kritikant.1on.de/archives/33-Cologne-Commons-2010-II-Zukunft-im-Buchmarkt.html tl;dr: Verlage sind Filter. Schon immer gewesen, in Zukunft wird das ihre wesentliche, wichtigste Aufgabe sein.

  2. Nein, ich bin nicht gegen Fortschritt und Weiterentwicklung,
    aber wer mit Begeisterung Leser ist, der benötigt nicht nur die “Texstkonserve”, sondern auch die Welt darum. Die Ehrwürdigkeit einer Bibiliothek mit ihrer Ausstrahlung an Wissen und Ruhe, das intime Erlebnis ein Buch zu lesen, Seite für Seite bei gemütlichem Kerzenlicht und und und… .
    Ja, hier wird eine Welt zerstört im Namen einer “Technikhörigkeit” die keine Rücksicht kennt und nur noch dem rücksichtslosen Profitstreben verpflichtet ist, schade!

  3. Seit Kurzem beobachten wir, dass neue Bücher von Verlagen nur noch auf Papier veröffentlicht werdenZum Beispiel “Wir wir Deutschen ticken” oder “Heute geschlossen, wegen gestern”. Falls die Buchverlage sich dazu versteigen, ihre Schwarten nicht mehr digital anbieten zu wollen, rufen wir zum Beokott solcher Bücher auf. Wir mögen Bäume nur im Wald, nicht im Regal!

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