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Maltes Meinung: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020 (5/5)

Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020

Wie in den Jahren zuvor macht unser Textkritiker Malte Bremer mit allen 20 Titeln der Longlist zum Deutschen Buchpreis den »Buchhandelstest«. Bremer liest die ersten Seiten und fragt sich: Taugt das was? Will man das weiterlesen? Spannend? Oder langweilig? Lesen Sie den 5. von 5 Teilen mit jeweils 4 Büchern.

Diesmal: Anne Weber, Roman Ehrlich, Jens Wonneberger und Thomas Hettche.

Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos

Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos

Och nö: Das soll ein Epos sein, ein Heldenepos gar? Nur, weil der Text vielleicht so aussieht wie frau/man sich ein Heldenepos vorstellt, mit unterschiedlich langen Zeilen? Wenn sie jedenfalls ein entsprechendes Metrum hätten:

Arma verumque cano,
Troiae qui primus
Italiam fato profugus
Laviniaque venit …

Oder im Nibelungenlied:

Uns ist in alten mæren  wunders vil geseit
von helden lobebæren,  von grôzer arebeit,
von freude un hôchgezîten, von weinen un klagen,
von küener recken strîten  muget ir nû wunder hœren sagen.

Aber nein: Die Zeilen sind einfach bloß unterschiedlich lang. Das ist vor Allem eins: Ein schlechter Beginn … aber jetzt zum Inhalt: Die Protagonistin Anne Beaumanoir gibt es nicht nur in diesem Pseudo-Epos, sondern auch in im Süden Frankreichs im Ort Dieulefit, was sogleich korrekt übersetzt wird für die weniger Frankophonen: Der Ort »Gott-hat’s-gemacht«. Der Gott glaubt nämlich an sie. Dafür sie nicht an ihn. Anne ist sehr alt und – weil das Erzählen es so will – noch ungeboren. Und auf die Welt kommt sie auf diesem weißen Blatt in eine undurchdringliche Leere.

Tja, so ist das nun mal: Da haben Dichterlinge jedweden Geschlechts geniale Ideen, und dann brauchen sie weißes Papier, um selbige zu notieren. Wer das bislang nicht wusste, weiß spätestens jetzt Bescheid! Und das Fiese dabei ist: Dieses weiße Papier ist eine undurchdringliche Leere, jawoll!

Und ich dachte immer, Papier jedweder Farbe könne man problemlos durchdringen, wenn es nur groß genug ist.

Fazit: Sinnentleertes Gefasel.

Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos: Deutscher Buchpreis 2020. Gebundene Ausgabe. 2020. Matthes & Seitz Berlin. ISBN/EAN: 9783957578457. 22,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Roman Ehrlich: Malé

Roman Ehrlich: Malé

Das hat Zug, das hat Biss, da wird nur erzählt, was notwendig ist! Keine umständlichen Beschreibungen, stattdessen die Wahrnehmungen der – unterschiedlichen? – Protagonisten. Der eine sitzt an einem Stuhl gefesselt in einem Kellerraum und soll offenbar ertränkt werden, weswegen er sich vorsichtig bewegen muss, denn fiele der Stuhl mit ihm um, würde das seine Lebenserwartung drastisch verkürzen!

Dann wechselt der Roman die Perspektive: Es geht nicht mehr ums Ertrinken, sondern jetzt taucht eine weitere Person auf, diesmal mit einem Namen: France Ford. Die Person steht in einem Raum, in dem Staub, Salz und Dreck dominieren, vor einer fast blinden Fensterfront.

Allein schon dieser starke Kontrast reizt zum Weiterlesen. Wohin das wohl führt? Ein starker Beginn!

Roman Ehrlich: Malé. Gebundene Ausgabe. 2020. FISCHER, S. ISBN/EAN: 9783103972214. 22,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Thomas Hettche: Herzfaden

Thomas Hettche: Herzfaden

Jaja, die Augsburger Puppenkiste: Wer kennt sie nicht? Und wer mag sie nicht, hängen unsere Herzen nicht auch an ihren Schnüren? Aber ob das reicht? Zunächst reißt sich ein Mädchen los von der Hand des Vaters, der nicht sehen sollte, dass sie weinte, weil sie plötzlich so furchtbar traurig war, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Furchtbar könnte man problemlos streichen, ist schließlich 08/15-Kitsch! Dann kauert es sich – Na? Wohin wohl? Richtig: in die hinterste Ecke des großen Raumes (als ob das in einem kleinen Raum auch möglich wäre: Eine hinterste Ecke! Das muss die sein, die der Eingangstüre des Raumes direkt gegenüber wäre, also sowas wie eine Eckentür … Meiner Treu: Das hapert aber schon zu Beginn ziemlich heftig! Dann hat das traurige Mädele selbstverständlich ein iPhone, muss man ja, alle anderen haben ja schließlich eines, und all ihren Freundinnen schickt sie Tränen-Smileys. Und während des Schickens wischt sie sich mit der flachen Hand die echten Tränen so lange aus dem Gesicht, bis keine mehr kommen. Das kann dauern, wenn man bedenkt, dass all die iPhone-Freundinnen reagieren mit z. B. Herz-Smileys. Dann entdeckt sie neben sich eine kleine Holztür, die so weiß war wie die Wand. Woran das Mädchen erkennt, dass es eine Holz- und keine Blechtür war, wird nicht erklärt. Ist ja auch egal. Dafür tastet sie mit ihren Fingern in den Spalt hinein (das muss ein breiter Spalt gewesen sein) und zieht mit aller Kraft am Türblatt. Und was geschieht? Ganz gruselig wird’s: Denn ein Strom kalter und modriger Luft streicht über ihr Gesicht. Dann gibt es noch eine gähnende Dunkelheit und eine dicke Staubschicht auf dem Steinboden und eine Wendeltreppe, deren zweite Stufe in der Dunkelheit verschwindet. Darauf schlägt ein Herz bis zum Hals, und anstatt dass die Dunkelheit weiter gähnt, ist jetzt alles rabenschwarz.

Fazit: Ein in Klischees ertränkter Anfang: Schauderhaft!

Thomas Hettche: Herzfaden: Roman der Augsburger Puppenkiste. Gebundene Ausgabe. 2020. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462052565. 24,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Jens Wonneberger: Mission Pflaumenbaum

Jens Wonneberger, Mission Pflaumenbaum

Der Protagonist Kramer hat einen Mann gesehen, der auf einer Bank saß und pausenlos seine Lippen bewegte. Und dann macht Kramer einen Fehler: Er reagiert auf den Ruf des Mannes, der ihn mit He du da anruft, und verhält sich abwartend, aber der Mann lässt nicht locker, und Kramer hockt sich zu ihm auf die Bank und betrachtet diesen Mann. Wir erfahren einiges von Kramers Vergangenheit, denn er hängt seinen Gedanken und Erinnerungen nach. Das wird alles gradlinig erzählt, wir erfahren weiterhin allerlei über Kramers Familie, seine Tochter, seinen Vater und das Verhältnis untereinander: Dieses Treffen mit dem Alten auf der Bank ist quasi die Ouvertüre, aus der sich alles andere entwickelt.

Und ich bin ganz schön neugierig geworden, wie das wohl weitergeht mit der Mission Pflaumenbaum!

Jens Wonneberger: Mission Pflaumenbaum: Roman. Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2020 (Longlist). Gebundene Ausgabe. 2019. Muery Salzmann. ISBN/EAN: 9783990141946. 19,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Maltes Meinung: Longlist Deutscher Buchpreis 2020

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4 Kommentare

  1. Hmm, Mission Pflaumenbaum erschien Ende 2019, hat auf Amazon 2 1-Sterne-Rezensionen (und mehr nicht), ist dort “derzeit nicht auf Lager” und weder als Taschenbuch noch als eBook erhältlich. Selbst auf der Verlagshomepage gibt es keine Leseprobe. Aber dort kann man anscheinend das Buch noch bestellen.

  2. Wonnenberger schreibt ein klares, einigermaßen elegantes Parlando ohne eingebaute Kunststücke. Das mag man als langweilig empfinden. Als schriebe dieser Mann ein Leben lang das gleiche Buch, in vielen Variationen. Het Thomas Bernhard etwas anderes getan? Auch da geht es nur sehr am Rande um Inhalt. Wenn ich so schreiben könnte, hat einmal eine Rezensentin über Zeruya Shalev gesagt, ich täte nichts anders mehr.
    Vielleicht sind Wonnenbergers kleine Bücher etwas für stille Genießer. Davon scheint es so viele nicht zu geben, wenn man die auflagenhöhen betrachtet. Dass er mit einiger Verspätung auf dieser Shortlist auftaucht, bringt ihm hoffentlich mehr als nur eine Handvoll Probeleser.

    P.S. Ich liebe eine gelassene, sensible Sprache, die so viele Nuancen bereithält wie der Sommerwald Grüntöne, die den Leser zum Mit- und Weiterdenken einlädt. Trotzdem werde ich mit Wonnenberger nicht warm. Warum nicht? Weil mich die Welten, die er beschreibt, nicht interessieren. Das ist kein Argument gegen ihn. Barockmusik interessiert mich im Allgemeinen auch nicht.

  3. Bezüglich Hettche, jetzt haben Sie womöglich den künftigen Buchpreisträger verrissen, ich bin gespannt und so schauderhaft finde ich es gar nicht, eher intereressant, die Geschichte der Augsburger Puppenkiste zu erfahren! Liebe Grüße mit Rufzeichen!

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