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Maltes Meinung: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020 (2/5)

Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020

Wie in den Jahren zuvor macht unser Textkritiker Malte Bremer mit allen 20 Titeln der Longlist zum Deutschen Buchpreis den »Buchhandelstest«. Bremer liest die ersten Seiten und fragt sich: Taugt das was? Will man das weiterlesen? Spannend? Oder langweilig? Lesen Sie den 2. von 5 Teilen mit jeweils 4 Büchern.

Diesmal: Dorothee Elmiger, Leif Randt, Stephan Roiss und Robert Seethaler.

Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik

Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik

Den Einstieg macht ein humorvolles Zitat von Wolfram Lotz: »Wo ist Zucker, ich find’s nicht Zucker!« Dann beginnt der eigentliche Text, zunächst mit einem ansprechend schrägen Dialog, wohl in einem Gestrüpp über Gestrüpp und wie man/frau das findet, ob es schön ist usw. Wer da mit wem spricht, bleibt offen, wie auch der Grund, warum überhaupt über Gestrüpp gesprochen wird: Ist das etwa ein Hinweis darauf, was Leser:in zu erwarten hat? Ein Gestrüpp?

Könnte sein, denn wir bekommen nur kleine Häppchen: Da gibt es einen Dokumentarfilm über eine Ananasfarm, der Ananaskönig tritt vor die Kamera und redet, Sembradores setzen die Setzlinge, auf dem T-Shirt eines Arbeiters steht »My Skills never end« usw. usf. … Ein durchaus netter Versuch, inhaltliches Gestrüpp zu erzeugen. Aber da muss ich nicht durch.

Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik: Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2020 (Shortlist). Gebundene Ausgabe. 2020. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446267503. 23,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Leif Randt: Allegro Pastell

Leif Randt: Allegro Pastell

Der Roman beginnt mit einem breitgetrampelten Klischee: Da kommt eine Tanja Arnheim per Zug pünktlich (!) in einem Bahnhof  – Pardon: dem Frankfurter Hauptbahnhof an, wo sie selbstverständlich erwartet wird, und zwar von einem Jerome Daimler, der sich überlegt, ob er ihr entgegenlaufen sollte … Moment: Hauptbahnhof? Bahnsteig? Zug ist eingefahren? Ist da nicht Gedränge? Wie kann Jerome da laufen, ohne Unschuldige um- und anzurempeln? Warum geht er ihr nicht entgegen? Wie auch immer: Einfach stehen zu bleiben findet Jerome charmanter … Tanja ihrerseits hat ihre Ohren per Kopfhörer außer Betrieb genommen und geht auf Jerome zu, ohne ihn zu sehen, woraufhin Jerome lächelt, weil er gar nicht anders konnte. Und was macht Tanja, als sie Jerome endlich sieht? Sie strahlte auch! Wer denn sonst noch? Jerome hatte doch bloß gelächelt! Was ein kitschiger und inhaltlich verkorkster Anfang!

Leif Randt: Allegro Pastell: Roman. Gebundene Ausgabe. 2020. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462053586. 21,70 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Stephan Roiss: Triceratops

Stephan Roiss: Triceratops

Mitten rein, ohne Umwege: Es wird nicht erklärt, warum die Tür des Kinderzimmers weit offensteht, denn das ergibt sich ganz natürlich aus dem Folgenden! Schließlich kann auch frau/man erkennen, dass es mehrere Kinder gibt, zwei Jungs (Zwillinge?) und eine ältere Schwester. Was wohl mit der Mutter los ist, die schon im ersten Abschnitt vorkommt und die von den Kindern nicht geliebt wird, auch wenn die Kinder ihr sagen, dass sie sie lieben, gleichzeitig aber nicht mit ihr allein sein wollen. Wann das alles spielt? Das ergibt sich aus dem Wort Volksschule. Dieser Romanbeginn entwickelt sich ganz selbstverständlich, und so soll es sein, will Leser:in beim und im Text bleiben. Zeitsprünge, Erinnerungen, wie die Kinder Monster malten, dann die Frage, ob Jesus einen persönlichen Drachen hatte. Dieses Buch will ich ganz lesen! Und es gehört auf die Shortlist!

Stephan Roiss: Triceratops: Roman. Gebundene Ausgabe. 2020. Kremayr & Scheriau. ISBN/EAN: 9783218012294. 20,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Robert Seethaler: Der letzte Satz

Robert Seethaler: Der letzte Satz

Ab in die Vergangenheit: Seethaler schreibt von den letzten Tagen des Komponisten Gustav Mahler, der mit dem Schiff Amerika von New York nach Europa fährt. Ausgiebig wird aufgezählt, was es auf Deck so alles zu sehen gibt: z. B. dass Mahler auf einer Kiste aus Stahl sitzt, den Rücken an die Wand eines Deckcontainers gelehnt, und außerdem befindet sich auf dieser Kiste eine Rolle Tau, aus der ein Eisenhaken ragt, und der Haken war an der Spitze angerostet. Frage: Was soll das alles? Darf man/frau sich nicht selbst vorstellen, wie das damals auf dem Ozeandampfer war? Der Wind, der von Norden kam und sich nie zu drehen schien? Dafür wird genau beschrieben, wie der Tee kam: Der Junge kam vom Hinterdeck und balancierte das Tablett auf einer Hand, die andere Hand streifte über die Reling. Warum denn nicht noch genauer? Wofür waren die linke bzw. rechte Hand jeweils zuständig? Welche für die Reling, welche für das Tablett? Langeweile pur: So kenne ich Seethaler überhaupt nicht! Ich habe alles von ihm gelesen und mir dieses Buch unbesehen gekauft—aber das war dieses Mal ein Griff ins Klo!

Robert Seethaler: Der letzte Satz: Roman. Gebundene Ausgabe. 2020. Hanser Berlin. ISBN/EAN: 9783446267886. 7,99 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Maltes Meinung: Longlist Deutscher Buchpreis 2020

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9 Kommentare

  1. Man gibt Taler und bekommt nicht mal Groschen. Kreuzer bekommt man. Ich dachte, es ginge um den ersten Satz der Zehnten, womöglich um die Pahntasmagorien der nächsten vier Sätze. Aber dafür müsste man etwas von Mahlers Musik verstehen und davon, was seine Verzweiflung in ihr anrichtet – sie vielleicht nicht zu Ende komponieren zu können, es auch keinem anderen zuzutrauen, endlich befreit zu sein vom Schmerz über Almas Verrat und der Einsicht, dass sie anders niemals hätte handeln können. Der Rest ist Schweigen.
    Und dieser geschwätzige kleine Roman, der besser nie erschienen wäre.

  2. Ich finde Malte Bremers Ausführungen immer sehr interessant und spannend. Vor allem zeigen sie: Auch der Literat auf der Longlist kocht nur mit Wasser. Beim Schreiben eines Buches sind eben fast alle gleichberechtigt. Im weiteren Verlauf dann womöglich nicht mehr.

  3. zu Seethalers “Der letzte Satz”:
    – ein “Griff ins Klo”? nur “Kreuzer” statt “Groschen” oder gar “Taler”? besser eine Lektüre vom Artikel “Gustav Mahler” in Wikipedia als dieses Büchlein, das sich “Roman” nennt?

    Was hat sich der Seethaler bloss gedacht, als er das geschrieben hat? Was wollte er in seiner einfachen, schönen Sprache sagen? Sicherlich ging es nicht primär über die sattsam bekannten Facts über Alma und Gustav und die Musik! Vielleicht wollte uns Lesern etwas sagen über den nahenden Tod und die Reflexion über das Leben, und das dürfte nicht nur berühmte Koryphäen wie Mahler, sondern jeden Menschen, also auch jeden Leser angehen!

    Heute verdrängen wir diese Phase unseres Lebens, Seethaler bringt sie uns in seiner schönen Sprache nahe. Es ist kein Wunder, wenn dieser Annäherungsversuch von vielen Kritikern trotz Corona nicht verstanden wird. Sie sind offenbar noch nicht in dem Alter, um dieses Tabu anzutasten.

    Ich selbst bin 78, beachtlich vorgeschädigt, habe mein Leben mit seinen Höhen und Tiefen weitgehend hinter mir und der Tod kann mich nicht mehr überraschen. Ich habe viel Verständnis für Gustav Mahler und für Robert Seethaler!

    Ihn so billig aus dem Wettbewerb herauszubeissen, wie das die Kritik zurzeit tut, halte ich für völlig unangemessen!

  4. Obwohl meine Besprechung noch nicht erschienen ist, will ich trotzdem schon etwas zum “Letzten Satz” schreiben, der ja in der letzten Zeit nicht nur von Ihnen ganz schön verrissen wurde und wenn Seethaler in eine Schreibwerkstatt zu Herrn Tischer gegangen wäre, hätte er ihm geraten, wie man es besser macht, was ich dazu denke, wissen Sie wahrscheinlich schon, obwohl ich, als zu Herrn Tischers Besprechung kommentierte nicht ganz sicher war, ob ich ihm nach Lesen des Buches nicht recht geben würde, hat mich “Ein ganzes leben” von dem ich nur Ausschnitte hörte, auch eher kalt gelassen und ich habe das Getue darum nicht verstanden!
    jetzt wunderte ich mich wieder, obwohl ich Ihnen zustimme, ein Roman ist das natürlich nicht und es ist schade, daß das die Verlage unbedingt draufschreiben müßen, man sieht ja was dann herauskommt!
    Ich würde es eine “Novelle” nennen, eine großartig konzipierte, auch wenn Herr Seethaler sich die Fakten vielleicht wirklich aus Wikipeda entnommen hat, was soll er denn anders machen, den Herrn Hofoperdirektor kann er ja nicht mehr fragen und wir wissen auch nicht, ob er damals auf dem Schiff, wahrscheinlich ist er wirklich 1911 auf einem solchen nach Europa gefahren, weißen Tee trinken wollte?
    Wir wissen auch nicht, ob ihn damals sein ganzes Leben durch den Kopf gegangen ist, das wird uns auch “Wikipedia” nicht verraten, aber ich habe mir schon bevor ich das Buch gelesen habe, gedacht, daß es mich an den “Tod in Venedig” erinnert und dann lese ich bei “Wikipedia” Mahler war das Vorbild für Thomas Mann und konzipiert hat Herrr Seethaler sein Kammerstück wirklich gekonnt!
    Schade, daß das die wahrscheinlich übersättigten Leser und Rezensenten nicht zu verstehen scheinen oder sich nicht die Zeit dafür nehmen, sich auf das Buch einzulassen, obwohl es wirklich schnell und leicht zu lesen ist und schon die Figur dieses Schiffjungen, der ja sein Schlußkapitel hat, ist mehr als die Inhaltsangabe bei “Wikipedia”, dann der Dialog mit Rodin, die Vogel-Metapher und und…
    Das buch hat mich zu Herrn Seethaler gebracht und das finde ich sehr schön!
    Zu ihren anderen Eindrucken kann ich nur anmerken, daß Dorothee Elmiger Buch auch kein Roman ist, sondern eine sehr komplizierte und anspruchsvolle Materialsammlung, die das lesen etwas schwierig macht.
    Tricertops” wünsche ich mir wie Robert Seethaler auf die Shortlist, Birgit Birnbacher, die ihnen ja glaube ich sehr gefallen hat eher nicht, das war mir zu dem Thema viel zu abgehoben mit Leif Randt konnte ich auch nicht so viel anfangen, der wird aber, habe ich gelesen, sehr gelobt und für den Preis empfohlen, liebe Grüße und nichts für Ungut und über die Ehrenrettung des älteren Herrn für den “Letzten Satz” freue ich mich sehr, dann bleibe ich mit meiner Meinung nicht allein und bin jetzt sehr gespannt auf morgen.
    Roiss, Seethaler, Adler und den “Halbbart“, würde ich mir bei den schon gelesen Büchern wünschen und könnte mir dazu noch Valerie Fritsch und Thomas hettche vorstellen!

  5. Seit ziemlich langer Zeit erschüttert mich immer wieder erneut, wie grauenvoll uninteressant das ist, was so allseitig geschrieben und veröffentlicht wird. Langsam müsste doch eine Art “Neue Generation” oder “maßgeblicher* Jemand ” auftauchen (Man weiß gar nicht, an welches Wort ich eben das “*” hätte anbringen müssen), also auftaucht, auf dessen* neues Buch man dringend wartet und beglückt von desse*n neuen Gedankengängen erfährt.
    Kommt das womöglich daher, dass die diversen “Schreibschulen” da seltsame Spuren hinterlassen, in etwa derart, wie man früher den “Dreisatz” im Rechnen erlernte?
    Sicher, es handelt sich bei den Autoren um Menschen*, die in sich das dringende Bedürfnis verspüren, etwas schreiben zu müssen. Alles ist so fremd – Berichte, wie von einem anderen Stern. Was aber bewegt, erfreut, bedrückt uns wirklich? Welche Träume, Suchen, Sehnsüchte? Und warum? Es muss doch endlich losgehen mit Büchern in der sich unsere Zeit spiegelt.

    • Wozu ich höflich anmerke:
      Ich bin nicht interessiert an Büchern, in denen sich unsere Zeit spiegelt. Die weitaus meisten davon sind zu zeitgebunden. Von den Büchern, in denen sich die Weimarer Republik spiegelte – um ein Beispiel zu nennen – haben zwei, drei Hände voll überlebt. Und noch weniger darunter scheinen mir heute, fast einhundert Jahre später, des Lesens wert.
      Es ist anzunehmen, dass die Leute damals anders dachten. Ich habe sämtliche Buchbesprechungen gelesen, die Kurt Tucholsky geschrieben hat. Sehr klarsichtig, qualitätbewusst. Aber Leute wie der Graf Keyserling oder Arnolt Bronnen sind heute einfach vergessen. Wer liest noch Heinrich Mann? Gelingt Hans Falladas Wiederbelebung?
      So wird es, fürchte ich, auch mit den Hervorbringungen in unserer Zeit gehen. Vielleicht hängt sogar das Überleben nur von sonderbaren Zufällen ab.
      “Die Kunst”, schreibt Franz Grillparzer, “man sagt es oft und sagt es laut, / sie sei ein Spiegel unsers Lebens. / Doch wenn ein Affe in den Spiegel schaut, / sucht man nach einem Sokrates vergebens.”

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