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Die Seele des Fischstäbchens
von Birgit Kahle

Die gut 10.000 Papillen unserer Zunge können locker 500.000 Aromen wahrnehmen: das Paradies auf Erden. Zumindest theoretisch. Denn Geschmack entsteht, wie wir spätestens seit Verona und dem ‚Blubb' wissen, aus mehr als nur ein bisschen DNS. Auch kulinarisches Urteilsvermögen will gelernt sein. Wie eine Festplatte speichert unser Hirn Genussbilder ab: Je früher und differenzierter, um so nachhaltiger wirken sie. Wo Kinder glauben, dass ein Fische stets Panademantel mit Zitronenschnitz trägt, hat es die nackte Seezunge schwer. Oder, um im Bild zu bleiben: Den Netzwerk-Kids mangelt es an Pixeln.

Die paar Gourmets und Verfechter von Ökokost reißen es nicht raus: Es ist nicht gut bestellt um die Kultur des Speisens. An mangelndem Know-how liegt das nicht. Jugendliche wissen heute mehr über die Milchschnitte als über die Weimarer Republik. Gute Kochbücher gibt es zuhauf. Doch wir alle sind Gewohnheits-Tiere, und beim Essen benehmen wir uns auch so.
Zu Beginn des dritten Jahrtausends essen wir wie in der Steinzeit: Im Gehen und mit bloßen Fingern. Wir erlegen im Handstreich einen Döner. Gemeinsame Mahlzeiten werden selten, Genussbilder bleiben unentwickelt. Kinder habe die Gabe, drei Sprachen gleichzeitig zu lernen - aber wir kommen ihnen tagtäglich mit der immer gleichen Leberwurst. Erziehen wir also lauter kleine Genuss-Kasper-Hausers?
Nein, es gibt Hoffnung. Nie zuvor gab es hierzulande so viele gute Restaurants. Wochenmärkte locken mit heimischem Bärlauch und Teltower Rübchen. Ab und an mal 'Bio' kostet nicht die Welt. Die Schulden macht das neue Auto ...

Der Schauspieler Hans Clarin hat mal gesagt, ein guter Koch inszeniere seine Kunst wie den ‚Lohengrin'. Deshalb ziehe er sich auch gut an wenn er gut essen ginge. Nun hört nicht jeder täglich gerne Wagner. Ohren und Magen schätzen keine fortwährende Opulenz. Doch wie wäre es mit einem Häppchen Verdi von Zeit zu Zeit, oder einem Bissen Brahms? Schon kleine Kinder verstehen Klassisches. Vielleicht macht es ja mehr Spaß, mit einem Vierjährigen Erbsen zu pulen als ihn beim Fernsehen zu beobachten? Kochlustige wissen jedenfalls: Wer einmal bei gutem Essen angebissen hat, der ist entwicklungsfähig. Warum? Weil Genuss dieselben Partien unseres Gehirns stimuliert, die auch auf Musik und Sex reagieren. (Ehrlich!)
Wer mmer noch darauf verzichten will, der darf sich weiter seinem neuen 12-Zylinder widmen - der hat in etwa die Seele eines Fischstäbchens.

© by Birgit Kahle. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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