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Henkersmahlzeit
von Barbara Held

Die Dirne harrte ihrer Hinrichtung. Ein opulentes Mal hatte ihr Gemahl ihr gegönnt, bevor das Schafott ihr hübsches Haupt von ihrem sündigen Körper trennen sollte, den sie hatte besudeln lassen von anderen Männern.
Voll Wehmut und Zorn betrachtete er sie heimlich bei ihrem letzten Mahl.
Mit grazilen Bewegungen führte sie den Löffel voll dampfender Kürbissuppe an ihren Mund. Ein Hauch von Ingwer würzte die Luft.
Die Lippen glänzten feucht von Lachsöl, die weißen Zähnchen zerlegten wollüstig den schimmernden Fisch.
Kresse und Lauch kringelten sich löckchengleich zwischen Teller und Schlund.
Der rote Burgunder plätscherte in ihrer Kehle.
Ein Stöhnen entrang sich ihrer bebenden Brust, als sie das leuchtende Gelb, nicht fest, nicht flüssig, aus einem heißen Wachtelei schlürfte.
Sie lächelte, als ob sie nicht wüsste, dass sie gleich sterben sollte. Sie lächelte, wie sie gelächelt hatte, wenn sie geliebt worden war. Sie lächelte verführerisch wie der rotwangige Apfel am Baum der Erkenntnis.
Als das Rot der Erdbeere aus ihren Mundwinkeln den Hals entlang ins alabasterweiße Dekolleté lief, konnte ihr Gemahl und Richter und Ankläger sich nicht mehr halten. Zu sehr verlangte er nach ihrer Lust und Sinnenfröhlichkeit.
Als ihre Zungenspitze mit zartem Vanilleeis jonglierte, zerbarst ihm fast das Herz vor Lust.
Und als ein glockenhelles Lachen ihren Genuss beim ersten Löffel einer cremigen Schokoladenmousse kundtat, war er bereit, ihr all ihre Seitensprünge zu verzeihen.

Er rannte zum messerwetzenden Henker.
„Haltet ein!“ rief er atemlos. „Das Täubchen wird nicht geschlachtet!“

Doch als er bei ihr war, lag sie reglos, mit einem Ausdruck seligen Sinnenrausches, am Boden. Ein Stück Zartbitterschokolade lag in ihrem Mund.

Ihr reuiger Gemahl schrie vor Verzweiflung, als er erkannte, dass sie tot war.

„Wie konnte das passieren?“ schrie er den Leibarzt an, der die Schultern zuckte, doch dann leise sprach:
„Sie hat sich totgelacht, mein Herr!“

© by Barbara Held. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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