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Das Literarische Quartett mit Thea Dorn: Vom Publikum allein gelassen

Auf 1,50 Meter Abstand gesetzt: Thea Dorn, Eugen Ruge, Eva Menasse und Matthias Brandt im Literarischen Quartett vom 01.05.2020 (Foto: ZDF/Svea Pietschmann)
Auf 1,50 Meter Abstand gesetzt: Thea Dorn, Eugen Ruge, Eva Menasse und Matthias Brandt im Literarischen Quartett vom 01.05.2020 (Foto: ZDF/Svea Pietschmann)

Nie wirkte das Quartett quartettiger, denn auch diese Fernsehsendung war Corona bedingt publikumsfrei. Aus dem Homeoffice war jedoch niemand zugeschaltet. Eva Menasse, Eugen Ruge und Matthias Brandt saßen persönlich bei Thea Dorn.

Jetzt, wenn das Publikum fehlt, merkt man deutlich, dass es bei Kultursendungen ohnehin überflüssig ist. Man braucht es weder als Klatschkulisse noch als Markierung, wann man daheim am Fernseher zu lachen habe. Vielleicht ist das Publikum in Kultursendungen nur dazu da, um zu symbolisieren, dass es Menschen gibt, die sich irgendwie für das interessieren, was da gesendet wird. Denn ansonsten könnte man den Eindruck haben, dass es nur die Vier dort im leeren Foyer des Berliner Ensembles gebe und man selbst vor dem Fernseher der einzige Zuschauer sei. Zwar gab es in der Sendung noch die Schwenks des Kamerakrans, doch statt durch und über die Reihen der Zuschauer zu gleiten, setzen die Kranfahrten diesmal die Leere des Foyers ins Bild.

Zur Einführung ging es um das Lesen in den Zeiten von Corona, was in Ordnung ist, denn wenn sich Menschen in diesen Tagen überhaupt auf irgendeine Art näher kommen, dann geht es immer darum, wie es einem »in diesen Zeiten« geht. So auch hier, ist schon ok.

Wo aber ist die Sanduhr geblieben? Die seit der letzten Sendung einzig verbliebene Besetzungskonstante Thea Dorn kündigte das Disziplinierungsmittel in der letzten Sendung an, um die Buchvorstellungen nicht zu ausufernd werden zu lassen. 90 Sekunden waren maximal erlaubt, an die sich dann aber Thea Dorn schon in der letzten Sendung nicht gehalten hat.

Grob gestoppt hatten wir diesmal:

  • 244 Sekunden benötigte Matthias Brandt für »Das wirkliche Leben« von Adeline Dieudonné. In dieser Zeit – und auch später – wurde die Übersetzerin Sina de Malafosse nicht erwähnt.
  • 194 Sekunden benötigte Eugen Ruge für »Hundert Jahre Einsamkeit« von Gabriel García Márquez. In dieser Zeit wurde die Neu-Übersetzerin Dagmar Ploetz ebenfalls nicht erwähnt – jedoch im weiteren Verlauf von Eva Menasse.
  • 201 Sekunden benötigte Eva Menasse für »Die langen Abende« von Elizabeth Strout. Die Übersetzerin Sabine Roth wurde nicht genannt.
  • 186 Sekunden benötigte Thea Dorn für »Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch« von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen. Reinhard Kaiser, der das Werk bereits vor elf Jahren vom barocken Deutsch des 17. Jahrhunderts ins heutige Deutsch übertragen hatte, wurde gebührend erwähnt.

Eva Menasse, die gleich am Anfang bemerkte, dass oft darüber geklagt werde, dass in Literatursendungen wenig über Qualitätskriterien und Handwerk gesprochen werde, tat dies die ganze Sendung über in vorbildlicher Form. Sie sprach insbesondere bei Adeline Dieudonné von »Anschlussfehlern«, »Überschreitung der Figurenperspektive« und »schlechten Bildern«. Man bekam Lust, bei Frau Menasse einen Schreibworkshop zu besuchen, ohne zu wissen, ob sie überhaupt welche gibt.

In die gleiche sehr konkrete und handfest handwerkliche Richtung argumentierte auch Eugen Ruge, wenngleich weniger vehement.

Es gehört zum neuen Konzept des Literarischen Quartetts, dass nicht nur Neuerscheinungen besprochen werden, sondern auch Bücher, die aktuell neu übersetzt oder herausgegeben wurden. Diesmal erweiterte man dieses Konzept um Bücher, die man jetzt mal wieder lesen könnte, was zur Besprechung des Simplicissimus und der hundert Jahre Einsamkeit führte. Warum jetzt diese beiden Titel, das wurde nicht wirklich klar.

Und plötzlich hat man den Eindruck, dass die einsame Viererrunde vom Publikum in ihrer biederen stocklangweiligen Diskussionsweise alleingelassen worden sein könnte, weil es im Grunde genommen niemanden interessiert, was die Vier zu sagen haben. So einsam könnten sie noch hundert Jahre weiterreden und niemand würde es merken.

Da will Herr Ruge am Schluss nochmal etwas sagen. Aber da ist Frau Dorn lauter. Abmoderation. Ende.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Die in der Sendung vom 01.05.2020 besprochenen Bücher:

  • Adeline Dieudonné; Sina de Malafosse (Übersetzung): Das wirkliche Leben: Roman. Gebundene Ausgabe. 2020. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783423282130. 18,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Gabriel García Márquez; Dagmar Ploetz (Übersetzung): Hundert Jahre Einsamkeit (Neuübersetzung): Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462050219. 25,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Elizabeth Strout; Sabine Roth (Übersetzung): Die langen Abende: Roman - (Olive Kitteridge 2). Gebundene Ausgabe. 2020. Luchterhand Literaturverlag. ISBN/EAN: 9783630875293. 20,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen; Reinhard Kaiser (Übersetzung): Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch: Aus dem Deutsch des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser (Extradrucke der Anderen Bibliothek, Band 296). Gebundene Ausgabe. 2018. Die Andere Bibliothek. ISBN/EAN: 9783847720195. 26,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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21 Kommentare

    • Meiner Meinung nach war diese Sendung einfach gut, weil auf der Basis von transparenten Kriterien die Qualität von Literatur diskutiert wurde und dadurch Leseanregungen erzeugt wurden.
      Alle daran Beteiligten haben dazu beigetragen.
      Was meines Erachtens wünschenswert wäre, wäre eine Chance auch einmal für die Lyrik.
      Könnten nicht auch einmal lesenswerte Lyrikbände vorgestellt und fachkundig und zugleich leserorientiert vorgestellt werden?

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,
    Ihre Sendung ist sehr interessant und die Bücher waren immer so besprochen, dass man sich etwas darunter vorstellen kann. Vielen Dank für die vielen Anregungen.
    Skandalös finde ich aber, dass Sie hier auf Ihrer Homepage zu jedem Buch einen Direktlink zur Bestellung bei Amazon anbieten!
    Angesichts der Lage des Buchhandels, der Gigantomanie des US-amerikanischen Monopolisten und des weltweiten ausbeuterischen, arbeitnehmerverachtenden Verhaltens von Amazon ist das einer Kultursendung mehr als unwürdig.
    Schönes Wochenende,
    Dr. Bernd Hontschik

    • Sogenannte Affiliate-Links sind eine bescheidene Möglichkeit, mit unserer Arbeit Geld zu verdienen. Dennoch fordern wir dazu auf: Bestellen Sie bei Ihrer lokalen Buchhandlung und unterstützen Sie sie, denn das ist wichtig! Niemand muss einen Amazon-Link klicken. Das Paradoxe ist jedoch: Wenn Sie bei Amazon bestellen, erhalten wir einen kleinen Obulus, der gerade uns in diesen Zeiten sehr hilft. Seit Jahren sprechen wir mit kleinen und größeren Buchhandlungen, um Alternativen zu den Amazon-Links zu bieten. Hierzu sind auch technische Lösungen gefragt, denn mehrere 1.000 Literaturhinweise können nicht von Hand gepflegt und aktualisiert werden. Entsprechende Schnittstellen kann derzeit leider sonst niemand bieten. Die nicht einfache Problematik ist in einem älteren Artikel erläutert. Wir brauchen endlich ein Portal des Buchhandels, das technische Schnittstellen bereitstellt und wie Amazon eine Werbekostenerstattung zahlt. Bis dahin müssen wir es leider aushalten, dafür beschimpft zu werden, dass auch wir Geld verdienen müssen. Das tut uns leid, und uns schmerzt der Widerspruch am meisten.

  2. Ich finde es schade und überflüssig dass eine der letzten Kultursendungen hier so süffisant abfällig behandelt wird. Das Publikum habe ich auch nicht vermisst und finde es angenehm, dass es hier ohne optische und gestalterische Schnörkel einfach um die Sache geht: vier Meinungen zu vier Büchern.
    Frau Menasse zuzuhören war ein Hochgenuss, Matthias Brandt wie immer authentisch, klug, leise und liebenswert. Herr Ruge ist mit der Gabe der freien Rede nicht wirklich gesegnet und hat mich in seinem bemühten Formulieren an Frau Westermann erinnert. Thea Dorn brillant, auch wenn ihre Anmoderation für mich zu lang geraten ist. Sie ist einer der wenigen (mir fällt überhaupt kein zweiter ein), die komplett ohne Ahhh, Ohh, Ahem und Aäh durchweg druckreif frei formulieren kann, ein Hochgenuß. Schon allein dafür lohnt sich das Einschalten.

    • Diese Meinung kann ich nur unterstützen, es ist ein Genuss Thea Dorn zuzuhören, ihre Bücherleidenschaft ist ansteckend. Eugen Ruge tun Sie etwas Unrecht , er ist sicher etwas holpriger in der freien Rede, aber der Vergleich mit Frau Westermann schmerzt, er ist wesentlich analytischer und klüger. Frau Westermanns Beiträge waren manchmal zum Fremdschämen naiv, das kann man wohl von Herrn Ruges Beiträgen nicht sagen. Ich hoffe, das Format bleibt .

  3. Für mich bisher die beste Sendung des Literarischen Quartetts und ich habe sie alle gesehen,
    (also ab Weidermann und Westermann)
    Thea Dorn hat sich dieses Mal zurück genommen, finde ich, was der Sendung gut tat. Ich fand es keine Sekunde langweilig.

  4. … ging mir auch so: durchgehend spannend war die spannung, die sich zwischen den kontroversen Perspektiven “Handwerk versus Dramatik” auftaten. Matthias Brandt hätte einsteigen können, aber er beließ es bei wenigen Widerworten. Und die saßen! Eva Menasses (allzu wortreichen) Einwände in Ehren: Aber handwerkliche Perfektion reicht nicht. Sie würde einen lahm-langweiligen Stoff nicht retten. Nur rasante Handlungsstränge entwickeln den Sog, den man braucht, um ein- und wegzutauchen. Nett, wie nett Thea Dorn moderiert! Ich mag sie wg ihrer schneidend-scharfen Zuspitzungen. Als Moderatorin muss sie sich die hoffentlich nicht zu oft verkneifen. RR nahm sich nicht zurück; sie darf auch …

  5. Das war eine der besten Literatursendung en seit langem. Immer auf das jeweilige Buch/Thema fokussiert und die Diskutierenden auf gleichem Niveau trotz teilweise unterschiedlicher Herangehensweise. Eine Viertelstunde länger zwecks thematischer Vertiefung wäre mein Wunsch. Und was das Studiopublikum betrifft : vielleicht ist es gerade sein Fehlen, was zur unaufgeregt en Sachlichkeit der Diskussion beiträgt?! Gratulation an alle!

  6. Das war die schlechteste Ausgabe des Quartetts ever. Die unerträgliche Dorn, die larmoyante Menasse, Opa Ruge und immer wieder Brandt. Meine Güte, ZDF, das ist das neue Konzept? Und dann stellt man 2 (fast 3) Bücher vor, die zum Einschlafen sind, betont aber am Anfang wie wichtig die Ideen der Buchhändler waren, um ein paar Bücher des Frühjahrsprogramms mehr zu verkaufen während der vergangenen Wochen! Die Neuübersetzung von Marquez ist aus Oktober 2019, also aus dem vergangenen Herbstprogramm! Das diesjährige Frühjahr bietet so viele tolle Titel, deren Abverkauf den Verlagen so viel mehr gebracht hätte, als das Besprechen zweier Klassiker, von denen einer seit Langem in die Mottenkiste! Gebt uns Biller zurück in diese Schnarchveranstaltung des Altersheims ZDF.

    • Maxim Biller ist sicher brilliant, in seinen Analysen, auch wenn sie zuweilen sehr einseitig sind, brilliant als extrovertierter Selbstdarsteller, brilliant in seiner Geradlinigkeit der Diskussion, die auch schon an Rücksichtslosigkeit grenzt und infolgedessen völlig ungeeignet für eine solche Diskussion, was er zu Beginn dieser Sendereihe (mit Herrn Weidermann) nachdrücklich unter Beweis gestellt hatte. Maxim Biller benötigt eine eigene Sendung als Alleinunterhalter, gerne mit Publikum aber ohne Mitdiskutanten.

    • Oh Gott, wie kann man denn die Löffler zurück wollen? Die ist Vergangenheit, aus einer ganz anderen Zeit! Ich würde mir wünschen, dass das ZDF der sendung mal eine Redaktion verpasst, die ein Gepür für die Bücher (und bitte nur Romane!( hat, die es zu besprechen gilt. Der SRF Literaturclub von Nicola Steiner bekommt das sehr gut hin. Ach an der Gästeauswahl kann noch gearbeitet werden, Menasse schon das zweite Mal. Wir haben so viele gute Literaturkritiker in diesem Land. Warum nicht mal Wolfgang Tischer, einen guten Buchhändler oder David Hugendiek von ZEIT Online? Oder, oder, oder; die Liste könnte man beliebig fortführen. Aber bitte nicht so ein grimmiges Fossil wie die Löffler!

  7. Es ist schon interessant, wie Herr Ruge die Neuübersetzung von Frau Ploetz von 100 Jahre Einsamkeit beurteilt. Ich habe keine Ahnung ob es eine DDR Lizenz der Übersetzung von Curt Meyer-Clason in der DDR gab – ich gehe mal davon aus – aber, die Tatsache, daß ein nur geringer Teil der Übersetzung überhaupt neu übersetzt wurde und weiteste Teile in der Übersetzung von Curt Meyer-Clason einfach übernommen wurden: Das ist keine neue Übersetzung, das ist eine Adaption und nichts weiter. Und daß der Verlag die ursprüngliche Übersetzung nicht mehr lieferbar hält, ist nicht in Ordnung. Man kann darüber diskutieren und Meinungen austauschen, aber ein Magischer Realismus ist nicht in eine neue Sprache der Neuzeit übersetzbar.

    • Was der NDR macht, ist richtig. Alle für die Sendung produzierten Beiträge finden in anderen Sendungen des NDR Platz. Es geht also nichts verloren. Aber wie kommen Sie darauf, dass keine Sendung besser sei, als das Format zu ändern? Vielleicht kommt mal jemand mit einem wirklich tollem Konzept um die Ecke. Das würde auch die Verlage mal aus ihrem arroganten Dornröschenschlaf wecken.

  8. Es war mit Absand das beste Quartett -ich hab sie alle gesehen: interessante Bücher, “Kritiker”, die Bücher lieben und auch beurteilen und auch ans Herz legen können, damit auch andre sie lesen.Wie unsiinnig von Herrn Tischer zu sagen, daß niemand interessiert ist, was die vier zu sagen haben!
    Gibt es denn in Deutschland keine Bücherratten? Freilich, so locker wie im Schweizer Literaturclub geht es bei uns nicht her. Die Schweiz ist wieder einmal Vorbild. Das einzige, was fehlt, ist eine etwas lockerere Moderatorin.

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