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Das kalte Herz im Kino: Urwald statt Schwarzwald

Henriette Confurius und Frederick Lau in »Das kalte Herz« (Foto: Weltkino)
Henriette Confurius und Frederick Lau in »Das kalte Herz« (Foto: Weltkino)

Das kalte Herz kommt ab dem 20. Oktober 2016 wieder ins Kino. Nach der betulich-biederen ZDF-Verfilmung von 2014 wagt sich Regisseur und Co-Autor Johannes Naber an eine Neuverfilmung des Märchens von Wilhelm Hauff. Dabei wird der übliche Schwarzwald-Kitsch wohltuend aus der Story entfernt. Leider kommt ein Haufen anderer Kitsch hinzu.

Das Hauptproblem der bildgewaltigen Umsetzung mit Fantasy-Feeling: Wer soll sich den Film im Kino anschauen?

Es ist besser, zufrieden zu sein, als Reichtum und ein kaltes Herz zu haben

Die Story des schwäbischen Kunstmärchen-Klassikers von Wilhelm Hauff aus dem Jahre 1827 – ursprünglich eingebettet in die Rahmengeschichte »Das Wirtshaus im Spessart« – sollte hinlänglich bekannt sein. Sie wird auch in der Neuverfilmung des Jahres 2016 nur minimal variiert:

Der Köhler Peter Munk ist arm, unglücklich und verliebt in die schöne Lisbeth (Henriette Confurius). Peter möchte reich sein wie der dicke Ezel (Roeland Wiesnekker) und so gut tanzen können wie der Tanzbodenkönig (David Schütter). Da Peter ein Sonntagskind ist, darf er sich von einem Waldgeist, dem Glasmännlein (Milan Peschel), etwas wünschen. Doch Peters Wünsche sind töricht und stürzen ihn nach kurzem Reichtum und Erfolg in den Ruin. Peter wendet sich an den zweiten Waldgeist, den Holländer-Michel (Moritz Bleibtreu), der ihm ebenfalls Reichtum und Erfolg verschafft. Doch dafür will er Peters Herz und ersetzt es durch einen kalten Stein. Peter ist nun erfolgreich, doch kalt und herzlos. Als Lisbeth durch seine Hand stirbt, verschafft sich Peter nach einem Rat des Glasmännleins und mit einer List wieder sein lebendes, schlagendes Herz zurück. Der Waldgeist sorgt dafür, dass alles wieder gut wird und selbst Lisbeth wieder aufersteht.

So lebten sie still und unverdrossen fort, und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: »Es ist doch besser, zufrieden zu sein und mit wenigen, als Gold und Güter haben und ein kaltes Herz
Letzter Satz aus »Das kalte Herz« von Wilhelm Hauff

Die Referenz aller Hauff-Verfilmungen ist noch immer die DEFA-Version von Paul Verhoeven aus dem Jahre 1950, seinerzeit der erste DDR-Farbfilm. Das Schwarzwalddorf wurde damals im Studio Babelsberg in Potsdam aufgebaut.

Interessanterweise wurde auch das Schwarzwalddorf der 2016er-Verfilmung im Studio Babelsburg in Potsdam aufgebaut.

Ausgemisteter Schwarzwaldkitsch

Abgesehen von den Tannenbäumen mistet Johannes Naber den ganzen Schwarzwaldkitsch aus seiner Neuverfilmung aus. Keine Bollenhüte und Kuckucksuhren. Die Tanzveranstaltung ist hier kein Blasmusik-Volksfest, sondern gleicht eher dem Ritus eines Urwaldstammes; dazu passt auch die »Stammeskennzeichnung« in den Gesichtern der Protagonisten. Schwäbisch spricht hier keiner.

Auch was die Waldgeister angeht, bricht Naber mit dem Gewohnten. Das Glasmännlein ist keine kleine filigran-durchsichtige blaue Gestalt, sondern wird tatsächlich zu einem am Boden kauernden Baumbeschützer, der weitere Stammesgenossen um sich hat.

Milan Peschel als Glasmännchen (Foto: Weltkino)
Milan Peschel als Glasmännchen (Foto: Weltkino)

Der Holländer-Michel, bei Hauff der baumhohe Geist eines Flößers, ist hier optisch dem Glasmännlein nicht unähnlich, wenngleich er jovialer auftritt und nicht im Wald, sondern in einer Höhle lebt.

Moritz Bleibtreu als Holländer-Michel (Foto: Weltkino)
Moritz Bleibtreu als Holländer-Michel (Foto: Weltkino)

Dadurch entfallen die filmischen Klein-und-Groß-Tricksereien, und die Schauspieler spielen miteinander als mit der Technik. Frederick Lau und Henriette Confurius sind nicht das schöne aalglatte Liebespaar. Lau gibt sowohl dem armen als auch dem reichen Peter seine Ecken und Kanten und spielt – im positiven Sinne! – seine Rolle wenig märchenhaft. Und auch Lisbeth ist nicht nur schön, sondern holt auch schon mal das Glas aus dem Feuer.

Der Grundton der Verfilmung ist jedoch düster, dunkel und ernst. Obwohl der Film natürlich mit dem Hauffschen-Happy-End abschließt, hat Peters Herz-Handel die Sünde in die Natur und die Gesellschaft gebracht. Naber dehnt die zeitlose Moral der Story auch auf die Natur aus.

Henriette Confurius als Lisbeth (Foto: Weltkino)
Henriette Confurius als Lisbeth (Foto: Weltkino)

Johannes Naber und sein Filmteam haben also vieles richtig gemacht, indem sie mit gewohnten Dingen und Erwartungen brechen, die Klischees der Story und den Kitsch des echten Schwarzwalds meiden.

Für wen ist dieser Film gemacht?

Doch leider haben sie den einen Kitsch durch anderen ersetzt: dem zu dick aufgetragenem Wald- und Naturkitsch und dem übergeigten Fantasy-Pathos. Vater ist tot? Ein überaus fehlbesetzter Wuschelhund taucht statt seiner auf. Lisbeth ist tot? Ein kleines Vögelein schwebt nun durch die Lüfte. Haben Sie als Zuschauer diese Allegorie erkannt? Falls nicht wird sie Ihnen wie in billigen Trivialgeschichten nochmals direkt im Film erklärt.

Doch selbst wenn man geneigt ist, dem Film den Fantasy-Kitsch zuzugestehen – es ist und bliebt schließlich ein Märchen –, so fragt man sich, was denn die Ansätze von Splatter-Kitsch sollen, wenn Peters Herz madenbevölkert beim Holländer-Michel hängt und Käfer computeranimiert darüber hinwegkrabbeln.

Daher bleibt am Ende die große Frage: Für wen ist dieser Film gemacht? Wer soll dafür ins Kino gehen und wem soll der Film gefallen? Für den anspruchsvollen Kinogänger ist der Film zu platt und kitschig, für den älteren Zuschauer mit ZDF-Erfahrung ist er optisch zu überladen, für kleinere Kinder ist der Film auch nicht geeignet (FSK12), Gruselfans hingehen lachen müde. Für Action-Fans gibt es keine Action und für Fantasy-Fans vermutlich zu wenig Kitsch und Fantasy.

Der Film hat von jedem etwas, vieles zu viel und vieles zu wenig. Obwohl er vieles richtig macht, macht er leider auch vieles falsch. Das Herz der meisten Kinogänger dürfte sich bei diesem kalten Herz nicht wirklich erwärmen.

Wolfgang Tischer

Das kalte Herz. Kinostart: 20.10.2016. FSK: 12. Regie: Johannes Naber. Drehbuch: Christian Zipperle, Johannes Naber, Steffen Reuter, Andreas Marschall; nach einem Märchen von Wilhelm Hauff. Darsteller: Frederick Lau, Henriette Confurius, Moritz Bleibtreu, Milan Peschel, David Schütter, Sebastian Blomberg, Roeland Wiesnekker, André M. Hennicke, Jule Böwe, Lars Rudolph. Deutschland 2016. Laufzeit: 119 Minuten.
www.DasKalteHerz.weltkino.de

 

Das Buch zum Film und das Original von Wilhelm Hauff:
Wilhelm Hauff: Das kalte Herz: Ein Märchen (insel taschenbuch). Taschenbuch. 2016. Insel Verlag. ISBN/EAN: 9783458361749. 7,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
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