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Bachmannpreis: »Warum ist die Mehrheit der Jury gegen die Absage, Frau Schwens-Harrant?«

Leere Zuschauerränge im Studio des ORF in Klagenfurt (Foto: literaturcafe.de)
Leere Zuschauerränge im Studio des ORF in Klagenfurt (Foto: literaturcafe.de)

In einem offenen Brief hat sich die Mehrheit der Bachmannpreis-Jury dafür ausgesprochen, den abgesagten Literaturwettbewerb 2020 dennoch durchzuführen (Wortlaut). Neu-Jurorin und Mitunterzeichnerin Brigitte Schwens-Harrant erzählt im Interview, warum die Jury von der ORF-Entscheidung überrascht wurde und welche Alternativen möglich wären.

Brigitte Schwens-Harrant ist Literaturkritikerin und Feuilletonchefin der österreichischen Wochenzeitung »Die Furche«. Zusammen mit Philipp Tingler wäre sie in diesem Jahr das erste Mal in der siebenköpfigen Bachmannpreis-Jury gesessen und hätte mitentschieden, wer von den 14 Autorinnen und Autoren den mit 25.000 Euro dotierten Bachmannpreis und weitere Preise erhält. Doch der ORF hat den Literaturwettbewerb aufgrund der unklaren Lage in der Corona-Epedemie abgesagt.

Fünf der sieben Jurorinnen und Juroren haben daraufhin einen offenen Brief an den ORF geschrieben und sich dennoch für eine Durchführung des Bachmannpreises ausgesprochen. Unterzeichnet haben Klaus Kastberger, Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler, Michael Wiederstein und Insa Wilke.

Interview mit Bachmann-Jurorin Brigitte Schwens-Harrant

Frau Schwens-Harrant, zusammen mit vier Ihrer Jury-Kolleginnen und -Kollegen haben Sie sich in einem offenen Brief gegen die Absage des Bachmannpreises in diesem Jahr ausgesprochen. Erfolgte die Absage denn nicht mit Rücksprache der Jury?

Schwens-Harrant: Die Jury war gerade dabei, intern zu diskutieren, welche alternativen Möglichkeiten bestünden, den Bewerb trotz der Situation und unter Einhaltung aller nötigen Sicherheitsmaßnahmen im Fernsehen stattfinden zu lassen. Denn es war ja allen klar, dass eine Absage bzw. Aussetzung im Raum stand. Doch dazu, dass wir unsere Vorschläge hätten vorlegen können, ist es dann leider nicht mehr gekommen.

Der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels und Nora Gomringer haben den Brief nicht unterzeichnet. Warum sind sie nicht dabei?

Schwens-Harrant: Sie waren schlicht anderer Meinung. Es war uns trotzdem wichtig, die Position der Mehrheit der Jury der Öffentlichkeit mitzuteilen. Was wir gerade wahrnehmen, ist ja nicht nur, dass Kulturveranstaltungen vor Ort abgesagt werden müssen – was angesichts der Lage wichtig und richtig ist! –, sondern dass sich nun auch die Medien vom Kulturjournalismus zurückziehen. Der ORF sollte bei Letzterem nicht mitmachen, finden wir. Wir brauchen Kultur, auch und vielleicht sogar besonders jetzt.

Die fünf Jury-Mitglieder schreiben in ihrem offenen Brief, es wäre ein Zeichen der Solidarität mit den Kulturschaffenden, den Preis 2020 nicht abzusagen und sprechen von »Möglichkeiten, den Bewerb im Fernsehen stattfinden« zu lassen, ohne das näher zu konkretisieren. Welche Möglichkeiten sehen Sie denn?

Schwens-Harrant: Da gibt es sicher genug Möglichkeiten, die wir gerne mit den Fernsehexpertinnen und -experten durchbesprochen hätten. Auch bei anderen Sendungen funktioniert das, so wird etwa der »SRF-Literaturclub« nächste Woche stattfinden. Es wäre eine eindeutige Ausnahme gewesen. Jeder und jede von uns will den Bewerb wieder als die große Veranstaltung in Klagenfurt, die sie in den vergangenen Jahren war, als Ort der Begegnung. Aber für dieses Krisenjahr wäre es fein gewesen, all jenen, deren Zugänge zur Kultur nun dermaßen beschränkt sind, die Lesungen und unsere Gespräche über Literatur über das Fernsehen ins Haus liefern zu können, in dem sie nun sitzen müssen.

Aber die Statuten sehen eine Präsenz von Autor:innen und Juror:innen in Klagenfurt vor. Würde das nicht den Wettbewerb verzerren, wenn die Leute nicht in einem Raum sitzen und die Lesungen mehr oder weniger gleich erleben?

Schwens-Harrant: All das müsste man diskutieren. Jedenfalls wäre der Bewerb selbstverständlich nicht derselbe gewesen wie in all den Jahren zuvor. Es sind ja die Bedingungen völlig andere. Aber ich bin sicher, es wäre uns etwas eingefallen, wir Jurorinnen und Juroren sind kreativ, einige haben sehr viel Erfahrung mit Fernsehen, der ORF und die Partnerinstitutionen haben großartige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es wäre uns etwas eingefallen, das machbar ist und das dann sogar besondere Aufmerksamkeit hätte generieren können.

Die Autorinnen und Autoren waren ja bereits ausgewählt. Wurde denen denn schon mitgeteilt, dass sie mit dabei sind?

Schwens-Harrant: Offiziell war es noch nicht so weit.

Neu-Jurorin Brigitte Schwens-Harrant bei der Veranstaltung »Kritik der Kritik« 2019 in Klagenfurt (mit Peter Zimmermann (links) und Anton Thuswaldner (rechts))
Neu-Jurorin Brigitte Schwens-Harrant bei der Veranstaltung »Kritik der Kritik« 2019 in Klagenfurt (mit Peter Zimmermann (links) und Anton Thuswaldner (rechts))

Frau Schwens-Harrant, Sie haben vor Ort schon vor Ihrer Berufung in die Jury an alternativen Veranstaltungen im Umfeld des Bachmannpreises teilgenommen, so z. B. an der »Kritik der Kritik« in einem Klagenfurter Café. Könnten Sie sich für 2020 auch eine Art alterative Preisvergabe vorstellen, falls der ORF bei der Absage bleibt?

Schwens-Harrant: Ich glaube nicht, dass man den Bewerb ersetzen soll und kann. Wir schätzen das Format, auch der ORF hat ganz klar betont, zu diesem Format zu stehen, und wir hoffen daher, dass der Bewerb nächstes Jahr wieder wie gewohnt stattfinden kann. Ihn durch etwas anderes zu ersetzen, wäre kein gutes Zeichen.

Das Interview wurde per E-Mail geführt.

Nachtrag: Bachmannpreis soll digital stattfinden

Nach den Protesten arbeitet laut ORF nun eine Arbeitsgruppe daran, den Bachmannpreis als »digitalen Wettbewerb« stattfinden zu lassen. Lesen Sie hier den Bericht »

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4 Kommentare

  1. Wenn nicht diese Veranstaltung online durchgeführt werden könnte, welche denn?
    Homeoffice und -schooling sind bestimmt nicht einfacher.

    Vielen Dank den fünf Jurorinnen und Juroren, die sich für das literarische Leben einsetzen!

  2. Ich verstehe ganz ehrlich die Aufregung bzw. die Absage nicht, denn bis Anfang Juli oder Ende Juni ist noch sehr viel Zeit und bis dahin hat sich wahrscheinlich einiges geändert, der Corono-Höhepunkt ist, wie China zeigt, dann wahrscheinlich schon vorbei und vermutlich haben dann auch schon einige Geschäfte und kleinere Lokale auf, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht.
    Wo ist da also die Schwierigkeit eventuelle Statuten zu verändern, um die Autoren zu Hause online lesen zu lassen, wie das ja inzwischen überall passiert, was meiner Einschätzung nach ja gar nicht nötig ist, weil man ja auch jetzt die Jurorenstühle so auseinanderrücken könnte, daß der Sicherheitsabstand gewährt ist, die vierzehn Autoren wird man irgendwie einfliegen können, das muß man bei den vierundzwanzig Stundenbetreuerinnen beispielsweise auch, der Kameramann könnte einen Mundschutz anlegen, wenn er das unbedingt will und das Ganze wird ja sowieso im Fernsehen übertragen und da höre und lese ich ja überall , wie wichtig es ist, den Leuten die Kultur nach Hause zu bringen, damit sie nicht depressiv werden oder sich vielleicht mit ihr anfreunden, die Bücher lesen, etcetera, also ich verstehe nicht, daß man das absagt, wenn im Juli vielleicht ohnehin alles schon ganz anders ist, daß es eher mit den Kultureinsparbemühungen des ORF bzw. der generellen Abschaffung des Bachmannpreises zu tun hat, könnte ich mir eher vorstellen!
    Also bleiben wir ruhig und entspannt, sowie verhältnismäßig, liebe Grüße aus Wien, ich schaue mir dann auch ein paar Onlinelesungen an, Cornelia Travnicek hat, glaube ich, vorige Woche sehr schön demonstriert, wie man die auch jetzt in einer Buchhandlung abhalten kann, liebe Grüße aus Wien!

  3. Ich schließe mich an. Ich verstehe die Absage auch nicht, finde sie auch unmodern, lahm und unflexibel. Es gibt viele Möglichkeiten, den Bachmannpreis stattfinden zu lassen und gerade Kulturschaffende bzw. Vertreter*innen kultureller Institionen sollten die Gelegenheit nutzen und zeigen, wie viel Erfindungsreichtum, Kreativität und Esprit in ihnen steckt. Dass sie das nicht tun, ist beschämend.

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