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»Archipel« von Inger-Maria Mahlke – Nach dem Deutschen nun der Bayerische Buchpreis?

Archipel von Inger-Maria Mahlke

Mit ihrem Buch »Archipel« hat Inger-Maria Mahlke den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis 2018 gewonnen. Als diese Entscheidung am 8. Oktober bekannt gegen wurde, war das Buch ebenfalls bereits für den Bayerischen Buchpreis nominiert, der am 6. November 2018 in München vergeben wird. Das Werk hat also die Chance, auch den mit 10.000 Euro dotierten bayerischen Preis zu erhalten. Ebenfalls in der Kategorie Belletristik nominiert sind »Töchter« von Lucy Fricke und »Wie ich fälschte, log und Gutes tat« von Thomas Klupp.

Das Besondere am Bayerischen Buchpreis: Drei Jurorinnen und Juroren haben je einen der belletristischen Titel nominiert und an jenem Novemberdienstag muss sich die Jury innerhalb einer halben Stunde live vor Publikum auf einen Preisträger einigen! Zuvor passiert dasselbe mit drei Sachbüchern. Bei der Abstimmung genügt die Mehrheit, sodass mindestens eine Jurorin oder ein Juror überzeugt werden muss, abschließend für einen anderen als den selbst vorgeschlagenen Titel zu stimmen. Svenja Flaßpöhler vom Philosophie Magazin, Knut Cordsen vom Bayerischen Rundfunk und Sandra Kegel von der FAZ bilden in diesem Jahr die Jury. Werden sie sich in der halben Stunde nicht einig, verfällt der Preis.

»Archipel« wurde von Sandra Kegel nominiert, und sie bewies wieder einmal ein gutes Händchen, hatte sie doch auch während ihrer dreijährigen Jury-Zeit beim Bachmannpreis gleich drei Preisträger(innen) nach Klagenfurt eingeladen.

Dass »Archipel« den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, kam für viele überraschend. Oft wurde dem Preis in der Vergangenheit vorgeworfen, dass es hier allzu sehr um Buchwerbung und -verkauf gehe und nicht unbedingt literarische Hochkaräter die Auszeichnung erhalten. Doch bei »Archipel« ist das anders.

Denn man muss sich tatsächlich fragen: Warum hat dieses Buch den Deutschen Buchpreis gewonnen? Warum erklärt es die Jury zum »Roman des Jahres 2018«?

Man spürt nur Liebe zum Detail

»Archipel« ist ein zähes, ein sprödes und größtenteils langweiliges Werk. Es will nicht gefallen und dürfte tatsächlich die wenigsten Leserinnen und Leser begeistern. Mahlke erzählt akribisch genau und ausufernd. Und das nicht mit wolkigen Wortgebilden, sondern mit Details, Details, Details. Jede Handbewegung der Figuren, jede Kleinigkeit in Worten, Gedanken, Taten und Dingen wird erwähnt. Man spürt kein wirkliches Interesse der Autorin an ihren Figuren, man spürt nur Liebe zum Detail. Es wirkt wie der Kollege in der Kantine, der jedes Erlebnis aus seinem Urlaub detailreich erzählt und dem es egal ist, ob er damit die anderen langweilt. Mahlke erzählt ausgewogen. Jede Figur wird mit ihrem Vornamen eingeführt und benannt, niemand soll erzählerisch bevorzugt werden. Doch aus Ausgewogenheit wird Langeweile. Darüber hinaus fängt das Buch mit einem reichlich traurigen Setting an. Wir lernen eine Familie kennen, was erst nach einer guten Seite klar wird. Bei der paritätische Vornamennennung hätten es auch die Bewohner einer WG sein können, bevor zum ersten Mal das Wort »Mutter« fällt. Dem Vater scheint eh alles egal, er ist Alkoholiker und will eigentlich nur seine Ruhe. Die Mutter, so werden wir später erfahren, ist eine Lokalpolitikerin, die in einen Korruptionsskandal verwickelt ist. Und die mittlerweile volljährige Tochter scheint nichts gebacken zu bekommen und schaut lieber Serien.

Personenverzeichnis des Romans Archipel
Personenverzeichnis des Romans Archipel

Leserin und Leser werden mit unzähligen spanischen Vornamen bombardiert, wer es mit Namen nicht so hat, der oder die kann die Figuren am Ende des Buches nachschlagen. »Julio Baute Ramos, geboren 1919«, ist dort beispielsweise zu lesen, »verheiratet mit Bernarda, Vater von Ana«.

Das Glossar von Archipel
Das Glossar von Archipel

Die vier Seiten davor werden von einem Glossar spanischer bzw. kanarischer Begriffe eingenommen. Filo ist Schmorfleisch, erfahren wir.

Rückwärts erzählt: Das Inhaltsverzeichnis von Archipel
Rückwärts erzählt: Das Inhaltsverzeichnis von Archipel

Die zwei Seiten nach dem Personenverzeichnis listen die Kapitelüberschriften auf, jedes der Kapitel beginnt mit einer Jahreszahl, und anhand derer ist ersichtlich, dass das Buch nicht chronologisch nach vorn, sondern rückwärts erzählt wird. Am Anfang sind wir im Jahre 2015, am Ende im Jahre 1919, also dem Geburtsjahr von Julio Baute Ramos, der mit Bernarda verheiratet ist und der Vater von Ana ist. Das Buch umfasst also nahezu sein ganzes Leben. 2015 sitzt er als Pförtner in einem Altenheim. Es ist eine Art Beschäftigungstherapie für den rüstigen 95-Jährigen. Reinlassen soll er jeden, nur von den verwirrten Heiminsassen sollte niemand am Pförtner vorbei nach draußen gelangen.

Während man weiterliest, wird zudem klar: Die akribisch-neutrale Erzählweise wirkt nicht nur langweilig, sie ist auch nahezu frei von Witz und Ironie.

Was also fasziniert Kritikerinnen und Kritiker an diesem Werk? Liest man die Besprechungen, so wird fast immer die umgedreht chronologische Erzählweise als große Besonderheit gepriesen. Allein die bloße Tatsache scheint dabei auszureichen. Dabei führt gerade diese nicht neue und nicht sonderlich originelle Erzählweise dazu, dass auch so etwas wie Spannung aus dem Werk entweicht. Denn wie was geworden wird, dass wissen wir ja bereits, wir erfahren höchstens noch warum. Und will man wissen, warum die Pfade zweier Familien auf Teneriffa in einer trostlosen, dreiköpfigen Familie enden?

Ausufernde Langeweile

Man erfahre, so ist es in den Kritiken weiter zu lesen, unheimlich viel über die Geschichte Teneriffas bzw. der Kanaren im 20. Jahrhundert. Zweiter Weltkrieg, Franco-Diktatur und so. »Der Archipel liegt am äußersten Rand Europas, Schauplatz ist die Insel Teneriffa. Gerade hier verdichten sich die Kolonialgeschichte und die Geschichte der europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert«, lobt die Buchpreis-Jury. »Es die schillernden Details, die diesen Roman zu einem eindrücklichen Ereignis machen.« Positiver lässt sich ausufernde Langeweile nicht beschreiben. Das gerade eine deutsche Autorin nicht über das Leben in einer Berlin-Mitte-WG schreibt oder über das Leben ihrer Großmutter im Zweiten Weltkrieg, mag heute vielleicht ebenfalls schon etwas Besonderes und daher preiswürdig sein.

»Archipel« ist ein Roman, der Menschen begeistert, die Geschichtsbücher und Gebrauchsanleitungen lieben und nach der Lektüre Sätze sagen wie: »Ich habe echt unglaublich viel Neues erfahren.«

Sind wir also gespannt, was die drei Jury-Mitglieder des Bayerischen Buchpreises sagen werden. Zugang zur Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz, in der Jurysitzung und Preisverleihungen stattfinden, haben zwar nur geladene Gäste, doch die Veranstaltung wird am 6. November 2018 live vom Bayerischen Rundfunk via Mediathek übertragen.

Die beiden Preis-Konkurrenten sind von ganz anderer Art und werden im literaturcafe.de ebenfalls noch vor dem 6. November 2018 vorgestellt.

Wolfgang Tischer

Inger-Maria Mahlke: Archipel: Roman. Gebundene Ausgabe. 2018. Rowohlt Buchverlag. ISBN/EAN: 9783498042240. 20,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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6 Kommentare

  1. Die Formulierung “Bei der Abstimmung genügt die Mehrheit, sodass mindestens eine Jurorin oder ein Juror überzeugt werden muss, abschießend für einen anderen als den selbst vorgeschlagenen Titel zu stimmen” gefällt mir richtig gut. Es muss also einer (ein Titel? Ein/e Juror/in?) abgeschossen werden. Recht so. Endlich spricht einer aus, wie es im Literaturbetrieb zugeht.

  2. Lieber Herr Tischer,
    vielen Dank für die Kritik. Das Buch kommt somit für mich nicht in Frage, denn ich möchte eine gute Geschichte lesen und für mich sind nur spannende Geschichten gute Geschichten. Und denoch erhebe ich Einspruch. Ich lese auch sehr gerne gute Geschichtsbücher, v.a. aus dem Bereich der Antike, würde mich bei “Archipel” aber sicher zu Tode langweilen.
    Was Literaturpreise angeht, so scheint man in Deutschland leider immer noch zu oft Langeweile für Kunst zu halten.
    Viele Grüße

  3. Lieber Herr Tischler,
    nachdem ich mich durch die ersten 100 Seiten des Romans (ein Geschenk zu Weihnachten) gequält habe, kann ich ihrem Urteil nur beipflichten: keinerlei Spannungsbögen, überkonstruiert und detailbesessen, ohne dass die Details wirklich von Interesse wären. Die Entscheidung der Jury ist mir ein Rätsel.
    MfG

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