Wellers Wahre Worte am Café Tisch
April 2001 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


Ich bin stolz, ein Stolzer zu sein
Von der Aufhebung des Nationalstolzes zugunsten einer universellen Wohlfühlformel
Wilhelm Weller


Laurenz Meyer, Thomas Goppel, Johannes Rau, Guido Westerwelle und Jürgen Trittin - ihnen allen gebührt Dank, sogar dem unbekannten Skinhead, auch wenn der eine oder andere polemische Unterton die nationale Debatte über den Stolz vielleicht womöglich ein wenig eintrübt.
      Wenn nur ein Ruck durch dieses Land geht!
     Kein Geringerer als Ernst Bloch prophezeite vor mehr als einem halben Jahrhundert in seinem »Prinzip Hoffnung«: »Hat er (der Deutsche) sich erfasst und das Sein ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat
     Nun ist sie begründet, die reale Demokratie, nach Bonn auch in Berlin, nur noch erfasst will es sein.
     Daran mochte, ganz unabhängig von seiner politischen Couleur, der Mensch Meyer erinnern.
     Muss denn, bei allem Widerspruch im Detail, nicht auch Jürgen Trittin zugestehen, dass er Heimat fand - in der Gesellschaft ebenso wie im Kabinett?
     Ein Grund stolz zu sein. I have a dream!
     Ein Traum, der in die Kindheit schien und wahr wurde: Für den Kanzler ebenso wie für den Außenminister und den Umweltminister. Wer aus der eigenen Familie hatte es je so weit gebracht?
     Gewiss, Schröders Vater schnupperte als Kranfahrer Höhenluft, Fischers Großonkel mütterlicherseits soll sogar einem alten, ungarischen Adelsgeschlecht entstammen und ein Urahn Trittins war, wie es heißt, ein angesehener Stadtmusikant.
     Aber so ganz oben, so weit oben war bis dahin noch keiner.
     Nur der Großvater von Johannes Rau seine Frau war auch schon Bundespräsident.
     »Thank God Almighty, we are free at last!«
     Aber muss man wirklich weit oben stehen, um stolz sein zu können?
     Lothar Vosseler, der halbe Kanzlerbruder, zeigt, dass man auch unten stolz sein kann, genauer gesagt: beim Inspizieren von Abwasserkanälen.
     Ein Mann ohne Kaschmir und Brioni, aber dafür mit einem »bunten Strauß Menschlichkeit« (Vosseler über Vosseler).

David Hume erkannte schon 1739 in seinem »Traktat über die menschliche Natur«, dass Stolz doch zuallererst ein »angenehmer Eindruck im Gemüt« ist - verbunden mit dem Besitz von etwas, was andere auch gerne hätten, aber nicht haben, zum Beispiel auch, ja, einen bunten Strauß Menschlichkeit.
     Was ist dagegen einzuwenden?
     Dies war doch die mitmenschliche Mission eines Ernst Bloch oder der Frankfurter Schule, um nur einige zu nennen.
     Jeder, ausnahmslos jeder hat irgendwo und irgendwie Grund stolz zu sein. Wie verwandelt wäre unser Land, wenn sich diese Einsicht durchsetzte!
     Überall Menschen, die aufrechten Ganges durchs Leben gehen, nicht geduckt und verschämt.
     »Ich bin stolz, ein Freund von Gerd Knebel zu sein, der seinerseits Matthias Beltz gut kennt, der damals in Frankfurt gemeinsam mit dem Vizekanzler Polizisten verprügelte.« Oder:
     »Ich bin stolz, dass Helmut Kohl meinen Namen nicht nennt, weil er mir sein Ehrenwort gab.« Oder:
     »Ich bin stolz, dass mir Zladko Trpkovsky vor 6 Monaten aus 10 Metern Entfernung freundlich zuwinkte.«

Lassen wir daher dem Anderen seinen Stolz, ganz im Sinne des bekannten Sachbuch-Autors Thomas A. Harris: »Ich bin stolz - Du bist stolz«.
     Auch nationalstolz, pourquoi pas?

Wilhelm Weller

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