StartseiteWillms' WocheWillms' Woche: Abgefeimte Lügner

Willms’ Woche: Abgefeimte Lügner

Vor 75 Jahren wurden im Mai und Juni die Werke von vielen deutschen und internationalen Autoren von den Nationalsozialisten öffentlich verbrannt. Zwar hatte dieses perverse Spektakel am 10. Mai seinen Höhepunkt, jedoch zogen die Scheiterhaufen freien Denkens noch wochenlang durchs ganze Land:

  • 12. Mai: Erlangen und Halle (Saale)
  • 13. Mai: Hamburg und Neustrelitz
  • 14. Mai: Neustadt an der Weinstraße
  • 17. Mai: Heidelberg und Köln

Und das sind nur die traurigen Jahrestage, die uns diese Woche beschäftigen. Traurig vor allem auch deshalb, weil ein großer Teil der Bücher von Studenten und Professoren in die Flammen geworfen wurde. Es ist müßig und unmöglich, sich vorzustellen, wie man sich als Autor in diesem Moment gefühlt haben muss. Daher sollte jemand zu Wort kommen, der es selbst erlebt hat.

Erich Kästner war Zeuge der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz. Seine Erinnerungen hielt er wie folgt fest:

»Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich. Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: »Dort steht ja Kästner!« Eine junge Kabarettistin, die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte, hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen. Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. (Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu geschehen pflegte.) Die Bücher flogen weiter ins Feuer. Die Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners ertönten weiterhin. Und die Gesichter der braunen Studentengarde blickten, die Sturmriemen unterm Kinn, unverändert geradeaus, hinüber zu dem Flammenstoß und zu dem psalmodierenden, gestikulierenden Teufelchen. In dem folgenden Jahrdutzend sah ich Bücher von mir nur die wenigen Male, die ich im Ausland war. In Kopenhagen, in Zürich, in London. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zu sehen. In keiner Stadt des Vaterlands. Nicht einmal in der Heimatstadt. Nicht einmal zu Weihnachten, wenn die Deutschen durch die verschneiten Straßen eilen, um Geschenke zu besorgen.«

Aus: Erich Kästner: Bei Durchsicht meiner Bücher: Eine Auswahl aus vier Versbänden. Gebundene Ausgabe. 2011. Atrium Verlag AG. ISBN/EAN: 9783855353712. 19,90 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Erich Kästner; Manfred B Limmroth (Illustration): Bei Durchsicht meiner Bücher. Gebundene Ausgabe. 1985. Atrium. ISBN/EAN: 9783855359127
Erich Kästner: Bei Durchsicht meiner Bücher.. Gebundene Ausgabe. 1954. Wien/ Ullstein Verlag,
Erich Kaestner: Bei Durchsicht meiner Buecher.. Gebundene Ausgabe. 1946. Rowohlt,

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