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Vom unaufhaltsamen Aufstieg des Halbgeviertstrichs

Gevierte zu viertVon Ruben Philipp Wickenhäuser

Jeden Morgen grinst es uns an, jeden Morgen, wenn wir uns einen Überblick über die Meldungen der Tageszeitungen im Internet verschaffen möchten. Es lauert darauf, dass wir, von einer knackigen Überschrift verführt, die Kurzzusammenfassung eines Beitrages lesen, und dann, mitten im Lesefluss, springt es uns an, würgt uns an der Kehle und nimmt uns für einen Augenblick die Luft, Spannung, eine Wendung, Großes und Schrecken versprechend, ein wenig wie der atemlose Augenblick in einem Hitchcock-Film – um dann im nächsten Halbsatz in Nichtigkeiten zu verpuffen; und siehe, es hat sich sogar in diesen Satz einzuschleichen vermocht, das fiese kleine Ding. Doch kaum haben wir uns erholt, zeugt das nächste Thema schon ein weiteres garstiges Monstrum dieser Art.

Der Halbgeviertstrich, vulgo auch Gedankenstrich genannt, hat einen erfolgreichen Feldzug durch die Redaktionen der maßgeblichen deutschen Zeitungen geführt und feiert seinen Triumph. Wenn in Blogs auf dieses Stilmittel zurückgegriffen wird, das dem Leser Spannung suggerieren soll, der Moment der Stille vor dem Knall, dann ist das verzeihlich, denn dort hat niemand Ansprüche ans Sprachgefühl zu stellen. Selbst die Verwendung des Viertelgeviertstrichs, des schnellen kleinen Bruders des Halbgevierts, ist online durchaus verschmerzlich, da der Halbgeviertstrich in HTML des Sonderzeichens – bedarf (inzwischen zumeist einer Tastenkombination) oder vom Blogsystem automatisch konvertiert wird. Hier sehen wir die beiden Vertreter sowie einen Exoten im Käfig stehen, auf dass wir uns bilden mögen und die Dohle von der Krähe zu unterscheiden lernen mögen:

Exponat °1 sei der Viertelgeviertstrich: “-”
Exponat °2 sei der Halbgeviertstrich: “–”
Exponat °3 sei der Geviertstrich: “—”

Exponat °1 zerschlägt jedes Wort, welches vor dem Trennen nicht gefeit sei.
Exponat °2 trägt vornehmlich die Aufgabe, Zahlenräume zu verbinden, doch bestimmt es eben auch Einschübe und Halbsätze und marodiert gar verführerisch in dieser perfiden Form. Dabei kann es in dieser Form, wird es angewandt mit Bedacht und Umsicht, wahrlich guter Helfer sein.
Exponat °3 jedoch ist ein Exot, der in deutschen Landen wenig verloren hat, vielmehr im angloamerikanischen Raume und ohne Leerzeichen als Gefährten, ihn wollen wir hier obendrauf geben.

Wenn diese nun im Journalismus Tag um Tag frei zu wüten vermögen, dann darf wohl an der sprachlichen Qualität unserer Berichterstatter und der so oft ach so kritischen Journaille gezweifelt werden, denn siehe da, es kam über den Horizont der Halbgeviertstich und nahm hinweg die Feinheit der Sprache, um sie zu ersetzen durch billigen Effekt.

Um dieses wahllos um sich greifende Gestrüpp gar gräulicher Atemabdrücker zu verdeutlichen, sei hier ein Blick in die aktuellen Beitragsuntertitel der Online-Ausgaben einiger heutigen Tageszeitungen erlaubt:

“Zwei Migranten-Großfamilien gingen mit Baseballschlägern und Messern aufeinander los – in einer Wohnung und auf der Straße.” · “Ex-Turnstar Magdalena Brzeska spricht über ihre ersten Nacktfotos – und weitere intime Details.” · “Vor TV-Kameras tauchte Russlands Premier ab, um eine Ruine zu erforschen – und erschien wieder mit vollen Händen.” … Welt.de, 11.8.2011

“Das erste Mal seit Tagen blieb es in englischen Großstädten ruhig. Grund ist offenbar der Großeinsatz der Polizei – und Regen.” · “Doch private Mikrobrauereien machen zunehmend ihr eigenes Bier – mit Hopfen und Malz aus Bayern.” · “Im Moment gilt ein Streikverbot für die Fluglotsen – die Flugsicherung hat einen Schlichter angerufen.” … Die Zeit, 11.8.2011

“Deutsche Politastrologen verwenden schlechte Nachrichten aus aller Welt allzu gern für ihre Zwecke – das Kalkül erinnert an Tütensuppen:” · “Sonderschichten in den Gerichten, Polizei auf den Straßen – Großbritannien versucht, der Krawalle Herr zu werden.” · “In ihrem Abschlussbericht wirft sie dem Oberst bei der fatalen Bombardierung zweier Tanklaster ‘[…] Fehler vor’ – und nennt die Aufklärungsarbeit der Regierung “erschreckend unangemessen”.” … Süddeutsche, 11.8.2011

“Er hatte sich an den Dresdner Demos gegen Rechts beteiligt – und die Ermittlungen kritisiert.” · “Alle guckten Dirty Dancing – und zwar nicht nur einmal.” · “Dort können Tippgeber Informationen weitergeben – und bleiben garantiert anonym.” … taz 11.8.2011

Positiv, ja man möchte sagen erholsam, hingegen vermögen wir zwei andere (sehr gegensätzliche) Blätter zu zitieren, die den Halbgeviertstrich zumindest heute an die Kandare genommen haben:

“Am gesündesten bewegen sich Stadtkinder aus wirtschaftlich benachteiligten Familien – denn sie sparen den Schulbus und nehmen das Rad.” FAZ, 11.8.2011 (nur 1 Fundstelle)

“Ein neuer britischer Report zeigt den schmalen Grat zwischen sinnvoller Forschung – und sinnloser Quälerei.” Der Freitag, 11.8.2011 (nur 1 Fundstelle)

Und ach, es ist durchaus so, als des Halbgeviertstrichs kleiner Bruder auch hier, auf dieser Website, gelegentlich seinem Geschwister Waffendienste leisten mag, was nur zeigt, mit welcher Tücke der Halbgeviertstrich vorzugehen imstande ist – (da war es wieder! Da war es wieder! Welch Unverfrorenheit!) seid wachsam, kann hier einzig Devise und Maßstab sein. Wodurch wir auch wieder zu dem verzweifelten Ausrufe gedränget werden: Wir brauchen wieder Frauen und Männer mit Verstand und Sprachgefühl, für die die Sprache eben eine Form der einzig wirklichen Magie und der Hochkultur ist, anstelle der tumben Gnome, die die Sprache Garküchenhackfleischklößchen ähnlich ganz nach schlechtem Gutdünken verpfeffern und versalzen. Waget es, wehret euch des Vandalenthums!

Ruben Philipp Wickenhäuser

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2 Kommentare

  1. Danke für diesen tollen Artikel und die Warnung! Leider muss ich zugeben, dass ich den Halbgeviertstrich selbst oftmals nutze – nur an angebrachten Stellen selbstverständlich.
    Ich muss mich tatsächlich zügeln, denn es hat auch in meine Texte Einzug gehalten.

    Schmunzeln musste ich schließlich bei der Bildsprache zum Schluss, da mir die “Garküchen” und “Gastmahle” der Literatur aus einigen Romanen und anderen Texten des 18. Jahrhunderts durchaus geläufig sind.

    Also nochmals: Besten Dank für den Artikel – auch wenn viel zu viele Halbgeviertstriche darinnen vorkamen.

  2. Au contraire! Wir haben viel zu wenige Satzzeichen, die uns den Sprechrhythmus anzeigen. Wir brauchen nicht nur -, ;, sondern noch viel mehr. Nicht, um damit rumzuspielen (das von mir aus auch), sondern um den Texten ein wenig mehr künstliches Leben zu geben! Wir haben sonst nur Wörter für Wörter!

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