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Urheberrecht: Schirach heult und Mattusek wirft die Atombombe

Matussek ist kein Bittsteller, das ist nicht sein Stil

Matthias Matussek (Foto: Birgit-Cathrin Duval)
Matthias Matussek (Foto: Birgit-Cathrin Duval)

Matusseks Essay »Der neue Mensch« kann man vieles vorwerfen, allerdings nicht, dass er sich darin in die Rolle eines Bittstellers begibt. So etwas entspricht einfach nicht dem Stil dieses Mannes. Wenn er gleich zu Beginn anmerkt, dass so viele Meinungsmacher offenbar vor den Piraten und ihrem Medien-Charisma in die Knie gehen, ohne deren Ziele oder Strukturen je seriös hinterfragt zu haben, merkt man ihm seine professionelle Empörung darüber durchaus an. Matussek bittet nicht. Außerdem hat er als konservativer Wertebewahrer von eigenen Gnaden in einem freien Land bestimmt jedes Recht der Welt, über die Piraten herzuziehen. Selbst dass er persönlich wird, kann man ihm so ohne weiteres nicht ankreiden, schließlich entspricht er so ziemlich genau dem Feindbild des typischen Piraten.

Um in dieser Beziehung ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, macht er auch gleich zu Beginn die seiner Meinung nach typische Piratenzielgruppe herunter, indem er sie »wohlstandsverwahrloste Teenager« tituliert, die von ihren Eltern eigentlich eher etwas hinter die Ohren verdienten als die Aufmerksamkeit, die breite Teile der deutschen Öffentlichkeit ihnen so bereitwillig entgegenbringen.

Schön auch, wie Matussek in seinem Text mit historischen Beispielen um sich wirft, Zitat: »Die naive Spaßguerilla der Kommune 1 hat durchaus mitgearbeitet am Terror der RAF, weil sie den Systemsturz zum Pop machte.« Eine steile These, die so sicherlich von jedem Historiker unterschrieben würde – solange der nur sein Handwerk bei Ernst Nolte lernte.

Aber Matussek hat noch viel mehr als nur das in petto:

»Die Verletzungsbereitschaft und Geistfeindlichkeit mancher Netzpropagandisten und Kolumnisten sprechen jenseits aller Inhalte eine eigene Sprache. Es ist das rote Glühen einer neuen Religiosität, einer Selbstgerechtigkeit, die mit Zauderern nicht viel Federlesens machen wird. Auch das Begeisterungsfeuer von Halbwüchsigen kann, wie wir von den totalitären Jugendkohorten des vergangenen Jahrhunderts wissen, zu Verheerungen führen.«

Damit liegt der Mann womöglich gar nicht so weit daneben. Es existiert wirklich eine dümmlich überzogene Kultur der Beschimpfung im Netz. Gepflegt wird sie vorwiegend von Maulhelden. Im Netz kommen Maulhelden deutlich schneller als anderswo zu ihrer 15-Minutes-of-Fame-Karriere, als Vertreter des gesunden Menschenverstandes. Für gesunden Menschenverstand ist das Internet in bestimmten Ecken nämlich viel zu schnelllebig und oberflächlich.

Irgendein Blödmann findet sich immer

Gerade auf den diversen Social-Media-Seiten garantieren Tabubrüche Aufmerksamkeit. Irgendein Blödmann findet sich dort immer, der selbst noch den gröbsten Unfug cool findet. Nur darf man eben – wie Herr Matussek das tut – die Maulhelden-Ausnahmen nicht einfach so zur Regel erklären.

Schärfer beobachtet ist da schon seine Unterstellung, die Piraten träumten insgeheim von einem Hybriden aus Mensch und Maschine, der sich zuletzt vollends in den Speichern irgendwelcher Supercomputer verliert. Nicht nur für Herrn Matussek eine Schreckensvision. Außerdem gibt dies eine nette neue Verschwörungstheorie her, an der sich sicherlich auch noch so einige andere Edelfedern abarbeiten werden.

Auch Matusseks These, Piratenaktivisten unterstellten der realen Welt außerhalb ihrer Computer so einige Programmierfehler, scheint so weit hergeholt nicht. Im Gegensatz zu Matussek finde ich ja sogar, dass einige dieser Programmfehler nicht immer nur in den Köpfen von Piraten existieren.

Auch Sätze wie diese lässt man ihm durchgehen: »In der Copy-and-Paste-Kultur des Netzes von heute dagegen wird nicht mehr gelesen, sondern gescannt. Von Büchern bleiben Slogans und Klappentexte, und schon das ist eine Entwertung der Autoren.« Allerdings ergibt sich der derzeit sichtbarste Beweis einer solchen Copy-and-Paste-Kultur aus dem Umgang gewisser Politiker mit ihren Doktorarbeiten.

Matussek bringt aber auch hier nur überspitzt zum Ausdruck, was wohl viele seiner Generation über das Netz und dessen Nutzen denken. Man sieht in ihm einen anarchischen rechtsfreien Raum, der nun seit dem Auftauchen der Piraten auf irgendeine magische Art ins reale Leben überzuschwappen droht. Das Abendland in Gefahr.

Ab einem bestimmten Punkt verhakt Matusseks Essay sich endgültig. Da macht er sprachlich und philosophisch total mobil. Mir jagen Absätze wie dieser jedenfalls Schauer des Grauens über den Rücken:

»Diese Maschinenmenschen rufen zwar ständig den Tod des Autors aus, aber das tun sie dann doch mit der allergrößten Autoren-Angeberei. Alles, so die Behauptung, sei ein großer Textfluss, der über die Bildschirme ströme, der von Tausenden Autoren stamme und sich nur zufällig verdichte im Einzelnen. Da ist der Gedanke an eine völkische Textgemeinschaft nicht weit. Interessanterweise wurde der Urhebergedanke auch während der Nazi-Zeit stark abgewertet – da galt der Autor dann lediglich als ›Treuhänder des Werkes‹ für die Volksgemeinschaft. Ihr Protest, so die Piraten, richte sich gegen die Verwerter, ein Begriff, der eine grauenhafte Konnotation enthält, nämlich die einer selbst nicht kreativen Zwischenschicht, die sich vampiristisch auf der einen Seite am Talent und auf der anderen Seite am (Netz-) Volk gütlich tut. In den Karikaturen der dreißiger Jahre kam sie als Parasitenbande von jüdischen Krämern, Händlern und Finanzbossen vor.«

Der Ton innerhalb der Urheberrechtsdebatte ist schärfer geworden und wird sich voraussichtlich weiterhin verschärfen. Aber das war eine unnötige und dumme Provokation. Da die größten Maulhelden gewöhnlich auch die dümmsten Typen im Sandkasten sind, darf man hoffen, dass sie sich von Matusseks bewusst gehobenem Stil so weit abschrecken lassen, nie bis zu dieser Stelle seines Essays vorzudringen.

Die Urheberrechtsdebatte weiter zu führen ist für alle Seiten im Konflikt unerlässlich. Aber der Antisemitismusvorwurf stellt die Atombombe im Spracharsenal des deutschen Feuilletons dar. Gerade bei einem derartig gewieften Stilisten wie Matussek sollte man voraussetzen, dass ihm dies bewusst sei.

Ferdinand von Schirachs Essay endet in einer weinerlichen Bitte. Von Schirachs Auffassungen stehen stellvertretend für eine gewisse Anzahl von Autoren und deren Hilflosigkeit im Angesicht des Internets, das sie derzeit einzig als Drohkulisse wahrnehmen wollen. Matussek zündet in seinem Essay kalkuliert eine Atombombe. Der eine nimmt Zuflucht zu einer unnötigen Bitte, der andere schwingt Pershingraketen. Was beide Essays in all ihrer Unterschiedlichkeit in Tiefe, Witz und Bildung eint, ist der Grundtenor von Angst. Aber Angst ist nicht immer ein guter Ratgeber. Und Angst hat Gründe. Nicht immer nur die ganz offensichtlichen.

Von einem der Wahlplakate der Piratenpartei grinst selbstsicher ein pausbäckiges Mädchengesicht herab, der Slogan dazu lautet: »Schock Deine Eltern – wähl die Piraten«.

Das ist es was der Urheberrechtsstreit eben auch ist, nämlich ein Generationenkonflikt. In gewissen Teilen des deutschen Bildungsbürgertums scheint es für die Kids und Teens wirklich möglich zu sein, Eltern damit zu schocken, das Wahlkreuzchen bei den Piraten zu machen.

Matusseks Angst vor der Jugend muss schon tief sitzen, wenn er Zuflucht zu verbalen Atombomben nimmt. Es bleibt nur zu hoffen, dass seine Ansichten nicht für die einer breiteren Gesellschaftsschicht stehen. Andernfalls sehe ich keine Möglichkeit den Urheberechtsstreit in absehbarer Zeit auf ein Niveau herabzukühlen, auf dem es möglich ist, sich für alle Seiten annehmbar darüber zu einigen.

David Gray

Ãœber den Autor dieses Artikels

David Gray ist das Pseudonym eines deutschen Journalisten und Filmkritikers. Geboren 1970 in Leipzig, weist sein Lebenslauf längere Aufenthalte in Südostasien, Irland und Großbritannien auf. Er hat einen historischen Roman, einen Polizeithriller und eine Shortstorysammlung auf amazon.de veröffentlicht.
Autorenseite von David Gray bei amazon.de

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6 Kommentare

  1. Wie immer – mittelmässige begabte und mittelmässig erfolgreiche – Autoren wie der unbekannte David Gray werfen den Leuten, die tatsächlich Bestseller schreiben können, vor…sie würden das Problem nicht verstehen.
    Das Gegenteil ist der Fall. Leute wie Gray müssen keine Angst vor illegalen Downloads haben, weil sich sowieso keine grössere Leseranzahl für ihre Werke interessiert. Daraus resultiert auch der Neid und Hass auf die Kollegen, die tatsächlich Bücher schreiben, die huntertausende von Leuten lesen wollen. Falls Autoren Probleme haben, Verlage zu finden….können Sie im Zeiten des Webs toll ihre eigenen Bücher verbreiten. Aber sie sollen Ihre – aus mangelndem Erfolg und mangelndem Zuschauertinteresse geborene Philosophie nicht uzum Gesetzesgut erheben. Schirach hat mit jedem Wort recht gehabt. Wenn hunderttausende von Menschen ein Buch lesen wollen, so haben sie dafür zu zahlen. Genauso, wie sie für eine Wurstsemmel, ein Fahrrad oder eine Reise bezahlen. Sie nutzen das Werk, sie zahlen dafür. Einmal wieder merkt man, dass diese ganze Debatte von den erfolglosen Autoren / Musikern / Filmemachern, die sowieso nichtsz u verlieren haben, dazu genutzt wird, ihren erfolgreicheren Kollegen ein Bein zu stellen. Kunst ist kein Hobby. Musik ist kein Hobby. Jederfalls nicht für die Künstler, die man wahrlich als solche bezeichnen kann. Es ist ihr Leben, ihr Beruf. Wenn man ihre Werke nutzen möchte, hat man dafür zu bezahlen. Sollte eigentlich ein 5 jähriger verstehen. Weinerlich war Schirach’s Tonfall nicht mal im Ansatz, er hat einfach nur die Realität eines professionellen Autors geschildert, die Arbeit hinter einem Werk. Die Realität eines Hobbyautors wie David Gray ist eine andere.

  2. @Vincent
    Der Kommentar ist gespickt mit Bewertungen und Unterstellungen, die mich erschaudern lassen. Als mittelmäßig begabter, mittelmäßig erfolgreicher und in logischer Folge dessen auch unbekannter Autor, erlaube ich mir diesen versierten Kommentar zu kommentieren. Ich hoffe sehr, dass mir deshalb nicht zwangläufig ‘Neid und Hass’ unterstellt wird. Ich versichere im Voraus, dass dies beides Gefühle sind, die zu fühlen ich nicht im Stande bin. Und jemanden ein Bein zu stellen halte ich für ebenso dümmlich, wie eine pauschale Unterstellung, Selbiges zu tun.

    Tatsache ist, dass durch die Existenz des Internets, neben viel Positivem u. A. eben auch ein Problem entstanden ist (illegale Downloads), auf das bisherige Verwertungsformen und Gesetze nicht vorbereitet waren – und wohl derzeit auch nicht sind. Es geht gleichsam um die (Ent-)Kriminalisierung von Nutzern und um die Bezahlung von Künstlern. Die Frage ist nicht ob – sondern wie. Ob ein 5-jähriger diesen Sachverhalt begreifen würde, wo doch selbst als gebildet geltende Erwachsene dazu kaum in der Lage scheinen, erlaube ich mir zu bezweifeln.

    Und nein – Schirach hat nicht mit jedem Wort recht. Wo gibt es denn so was?

    Zu Matussek bliebe zu sagen, dass auch ein latenter und geschickt verworteter Hitlervergleich nichts weiter als ein Hitlervergleich ist. Also der Hitler und den Vergleichen. Was ein Quatsch.

    Ein bisschen weniger Angst und Wut – und ein bisschen mehr Verstand und Gelassenheit. Das Problem ist groß genug, es nicht mehr verdrängen zu können. In dieser Hinsicht sind mir die Beiträge hier eine wahre Freude.

  3. Was die Urheberrechtsdebatte ist noch im Gange, zum Glück schau ich kein TV und lese auch keine Nachrichten, sonst wäre ich wahrscheinlich schon wechgelaufen.
    Was glauben diese Affen denn? Was wenn die ein Gesetz machen das sagt, dass ihr alle um 14.30 Uhr einmal hüpfen müsst, und deswegen auch noch den Hüpfkontrolldienst ins Leben rufen, -wie die Polizei kommt der vorbei, und wenn ihr nicht spurt bringen die euch ins Irrenhaus.
    Gesetze fordern, so ein Schwachsinn!
    Für Gehirnausfall sollten Gebühren erhoben werden.

  4. Hm, ich verstehe die Kritik, aber nicht die Hochachtung vor dem Kritisierten -Atombombe? wenn ein Kleingeist es geschafft hat, sich einen “gehobenen” Stil anzueignen und in der Medienschickeria mitmischen darf, neigt man wohl zur Ãœberhöhung. Für mich hat Hr.M. die Piraten schlicht mit Dreck beworfen -und zwar mit allem, den er aus der Gosse kratzen konnte -sein Beitrag zur Debatte war unsäglich dämlich, pardon. Aber es bleibt ja immer etwas hängen, und so können viele Bildungsbürgerlein über die Piraten ihr Näschen rümpfen und sich auch noch tolerant fühlen: “Ach, ja, aber so hart wie der Matussekt würd ich das nicht sagen” Einen echten Beitrag zur Debatte findet man in der Berliner Gazette:
    http://berlinergazette.de/piratenpartei-erfolgsgeschichte-bieber/

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