StartseiteNotizenUnspektakuläres Unwort: Herdprämie

Unspektakuläres Unwort: Herdprämie

HerdprämieWieder einmal hat eine selbsternannte selbstständige Jury das Unwort des Jahres 2007 gewählt. Doch auch in diesem Jahr muss man sich über die Entscheidung wundern. Dies konnte man bereits 2005 tun, als mit »Entlassungsproduktivität« ein Wort gekürt wurde, das niemand kannte. Ein unbekanntes Unwort.

Im Jahr 2007 soll »Herdprämie« das Unwort des Jahres gewesen sein. Es »diffamiere Eltern, insbesondere Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen«, so die Jury in ihrer Pressemitteilung. Detlef Gürtler schreibt in seinem Blog, dass diese Begründung unsinnig und das Unwort kein Unwort sei. Die Juryentscheidung sei, so Gürtler, lediglich vom »dümmsten Juryvorsitzende der Welt durchgesetzt« worden. Gürtler weiter: Es handelt sich bei der Herdprämie vielmehr um einen Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung darum, unter welchen Umständen der Staat wieviel Betreuungsgeld zahlt. Wenn also mit dem Begriff Herdprämie jemand beleidigt wird, dann die CSU, und die hält das aus.

Anders als beispielsweise die euphemistischen Unwörter »Humankapital« (2004) oder »Kollateralschaden« (1999) soll der Begriff »Herdprämie« bewusst provozieren. Gürtler lobt die Wortschöpfung sogar: Ein Betreuungsgeld, das nur unter der Bedingung gezahlt wird, dass die Mutter keiner Erwerbsarbeit nachgeht, hat den Namen Herdprämie voll und ganz verdient – es handelt sich nicht einfach nur um ein prägnantes Wort, sondern auch um einen polemischen Debattenbeitrag, der einen gesellschaftlichen Konflikt mit wenigen Buchstaben zum Ausdruck bringt.

Die in diesem Begriff steckende sarkastische Ironie zielt also in der Tat in eine ganz andere Richtung, was die Jury offenbar nicht erkannt hat. Den Ironie ist bekanntlich nicht jedermanns Sache.

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4 Kommentare

  1. Welchen Sinn diese ganze Aktion vermitteln soll ist mir schleierhaft. Die Energie die diese Jury aufbringt, um Worte die niemand kennt und niemand braucht zu erfinden, spiegelt ungefähr wieder, wie wenn jemand gegen die Wand äuft obwohl er doch weis das es wehtut. Als Provokation nicht eindringlich und radikal genung um weiterhin beachtet zuwerden.

  2. Wenn das Tätervolk genügend Humankapital angehäuft hat, um einen Kollateralschaden zu vermeiden und die Entlassungsproduktivität Minderheiten zur freiwilligen Ausreise zwingt, dann ist die Herdpämie die Ich-AG der Gotteskrieger, deren sozialverträgliches Ableben in national befreiten Zonen erleichtert wird (um mal die Unwörter der vergangenen zehn Jahre zusammen zu führen).

  3. Man hat gerade so das Gefühl, daß mit diesen harmlosen Unworten des Jahres von wirklichen Problemen abgelenkt werden soll. Wie wäre es zum Beispiel mit: “Überwachungsrepublik Deutschland” oder mit “unterbezahlte Sklavenplätze” oder mit “Hetzparolenwahlkampf”. Ich weiß, das sind keine Unwörter, das sind Tatsachen. Und Untaten,
    die dringend zum Gegenstand von Häme gemacht werden sollten.

  4. Man kann, darf die “Wortwahl” so sehen, wie es Detlef Gürtler betrachtet. Soll/muß man? Ruprecht Frieling -s.o. 2.- geht einen anderen und interessanteren Weg, und er hat mehr von dem aufgespürt, was in dem letztlich doch Ungeist des Wortes steckt. Ist es Aufgabe des Staates, in einem angeblich doch so sehr prosperierenden Wirtschaftsumfeld die Kindererziehung zu finanzieren, oder ist es Selbstverständlichkeit, durch Arbeitseinkommen dasjenige zu generieren? Herdprämie, ein für Feministinnen ohnehin unerträgliches Wort, auch wenn der Betrag willkommen ist. Es läuft also alles darauf hinaus, daß wir mit Sprachgebrauch bereits wieder Gesinnung kenntlich machen, bis sich jemand darauf besinnt, den Sprachmüll von Leiharbeitern beseitigen zu lassen.

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