StartseiteFrankfurter Buchmesse 2014#Twitteratur: Autoren twittern hoffentlich keine Kurzromane von der Buchmesse

#Twitteratur: Autoren twittern hoffentlich keine Kurzromane von der Buchmesse

#Twitteratur auf der Frankfurter Buchmesse 2014

Der Kurznachrichtendienst Twitter und die Frankfurter Buchmesse haben eine Kooperation bekannt gegeben: Während der Messe vom 8. bis 12 Oktober 2014 wird täglich eine Autorin oder ein Autor literarisch twittern.

»Autoren twittern Kurz-Romane«, verbreiteten gestern viele Online-Medien mit Bezug auf die Pressemitteilung der Buchmesse.

Doch es ist zu hoffen, dass das gerade nicht passiert und Autoren wie Marc Elsberg und Zoë Beck den Twitter-Dienst weitaus kreativer nutzen.

Kurztexte ins Netz blasen

Bereits im letzten Jahre hatten wir im literaturcafe.de darauf hingewiesen, dass Twitter-Romane oft ein Etikettenschwindel sind. Wie bei »Black Box« von Jennifer Egan wird dabei meist ein vorbereiteter Text automatisiert in 140-Zeichen-Häppchen ins Netz geblasen. Abgesehen von einem möglichen Bonmots-Charakter einzelner Passagen kann man den Text genauso gut gedruckt oder als E-Book lesen. Wir haben seinerzeit erklärt, wie man einen solchen »Twitter-Roman« selbst realisieren kann.

Twitter und Literatur – das ist oftmals nur ein Marketing-Gag, mit dem sich kleine Start-Ups ins Gespräch bringen wollen. Doch während der Buchmesse kooperiert Twitter höchstselbst mit der Buchmesse. Unterstützt wird #Twitteratur von der Random House, sodass überwiegend Autoren dieser Verlagsgruppe twittern werden.

Lyrik mag vielleicht für 140 Zeichen besser geeignet sein, wie selbst Goethe lange vor Twitter bewies:

Ãœber allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Das literaturcafe.de hatte bereite dreimal einen Lyrik-Wettbewerb via Twitter veranstaltet.

Aber Romane?

Geschenkbuch-Charme für Twitter-Nerds

Erwähnt man Twitter und Literatur, winken die meisten ab: Wie soll man auf 140 Zeichen eine Geschichte erzählen? Florian Meimberg hat zwar mit @tiny_tales bewiesen, dass man viel Geschichten und Bedeutung in 140 Zeichen packen kann. Aber sind das Romane?

Zudem gibt es unter dem Namen »Twitteratur« bereits ein Buch, in dem die Autoren Werke der Weltliteratur mit 140-Zeichen-Häppchen zusammenfassen. Mehr als Geschenkbuch-Charme für buchbegeisterte Twitter-Nerds ist dabei jedoch nicht entstanden.

Aber geht da noch mehr? Wie kann man mit Twitter Geschichten erzählen? Nimmt man den 140-Zeichen-Dienst ernst, so müsste man seine wesentlichen Merkmale aufgreifen:

  • Den Live-Charakter
  • Das Einfließen aktueller Geschehnisse, weltweit oder vor Ort
  • Die Reaktion auf andere Nutzer wie Antwort (Reply) oder Retweet
  • Der Hinweis via Links oder das Einbinden von Fotos und kurzen Filmen
  • Die Verknüpfung von Fiktion und Wirklichkeit

Felix Pace, der bei Twitter für die Betreuung von Musikern und anderen Künstlern zuständig ist, erhofft sich, dass die beteiligten Autoren den Dienst tatsächlich mit solchen Elementen kreativ nutzen. Doch für die Autorinnen und Autoren gibt es keine Vorgaben, erzählt er uns.

Die Möglichkeiten ausloten

Mit #Twitteratur zur Buchmesse versucht Twitter das #TwitterFiction-Festival nach Deutschland zu bringen. Im englischen Sprachraum fand dieses virtuelle Literaturfestival im Frühjahr 2014 statt. Als Partner und Sponsoren beteiligt waren neben Twitter ebenfalls die Peguin-Random-House-Gruppe sowie der amerikanische Verlegerverband und die Zeitung USA TODAY.

In das gut aufbereitete Online-Archiv unter twitterfictionfestival.com lohnt sich ein Blick auf die literarischen Twitter-Projekte des Frühjahrs.

Die literarischen Twitter-Werke der deutschsprachigen Autorinnen und Autoren wird man unter www.twitteratur.buchmesse.de erreichen. Natürlich kann man den beteiligten Schriftstellern an den jeweiligen Tagen (und auch sonst) direkt bei Twitter folgen. Neben Buchautoren sind auch die YouTuber Cengiz und iBlali und die #aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek mit dabei.

Um die Online-Werke jedoch gezielt zu verfolgen, sollte man nicht unbedingt nach dem Stichwort (Hashtag) #Twitteratur bei Twitter suchen, da es hier zu viel »Grundrauschen« geben wird. Sinnvoller ist es, die Suche zusätzlich auf den jeweiligen Twitter-Namen einzuschränken. Will man beispielsweise Zoë Beck am 8. Oktober 2014 literarisch verfolgen, so sollte man dies über diese Suchabfrage tun. Wer wann für #Twitteratur unterwegs ist, zeigt die Website zur Aktion.

Es ist also zu wünschen, dass die beteiligten Autorinnen und Autoren das Medium kreativ und literarisch ausloten und alles andere machen, als nur »Kurz-Romane« ins Netz zu stellen. Wenn beispielsweise Mark Elsberg auch gesellschaftliche Themen wie Datensammlung und Überwachung mit einbinden sollte, dann reicht Twitter-Literatur sogar in politische Dimensionen.

Vorbereiten kann man eine Idee und einen Grundrahmen, doch bestenfalls reagiert die twitternde Autorin und der twitternde Autor dann direkt und live. So will es auch Zoë Beck handhaben, die sich auf die Aktion freut und das ganze als Experiment betrachtet. Auch für Beck sind noch viele Fragen offen. So wird sie zwar unter ihrem normalen Twitter-Account @beck_zoe schreiben. Aber ist sie dann an am 8. Oktober 2014 die twitternde Autorin Zoë Beck? Oder wird sie zu ihrer eigenen Romanfigur, die den gleichen Namen trägt? Und werden ihre bisherigen Follower das alle verstehen?

Man sieht also, dass es durchaus viele Fragen auszuloten gibt, und es ist zu hoffen, dass die Autorinnen und Autoren die fünf Tage #Twitteratur entsprechend nutzen und vieles ausprobieren. Auch wenn nicht alles gelingen mag, dürfte es um einiges spannender werden, als vorbereitete Textschnipsel ins Netz zu stellen.

Wolfgang Tischer

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