StartseiteTextkritikTextkritik: Muttertexte–Vatertexte – Prosa

Textkritik: Muttertexte–Vatertexte – Prosa

Eine Textkritik von Malte Bremer

Muttertexte – Vatertexte

von Benjamin Felkel
Textart: Prosa
Bewertung: von 5 Brillen

Muttertexte

Muttertexte sind zerbrechlich wie Glas. Sie schleifen die Flügel nach und lahmen. Der Stachel sitzt sehr tief. Das Leid umwickelt sich mit feuchten Tüchern. Sie spreizen die Zehen gegen das Unheil. Es riecht nach Essig und Tränen.
Muttertexte treten durch das Wintertor. Sie frösteln im weißen Kirschgarten und schielen nach den walnussgrünen Häusern. Dann verhüllen sie ihr Gesicht, damit sie die Amseln nicht sehen, die saure Kirschen zerpicken.
Muttertexte schnüren ein und gären zu früh. Aber der Dom wacht über sie und wiegt sie im Dröhnen seiner Glocken. Dann fallen sie in den Schatten der Linden auf das raue Kopfsteinpflaster und betäuben sich mit sahnigen Torten.Eines Morgens lagen sie auf der geteerten Straße wie hölzerne Puppen. Ihre Kleidung in Fetzen und Kieselsteine im Mund. Sie starrten in den Himmel und warteten auf die frühen Stare.

Vatertexte

Vatertexte haben schwarze Ränder. Sie ducken sich in der Traumhöhle und streben nicht ans Licht. Leise, ganz leise spielt der Wind im Gesicht und die Buttermilch gerinnt.
Vatertexte bemühen sich um so viel mehr, doch dann kriechen sie still in den glänzenden braunen Schuh und vergessen das Holz. Leise, ganz leise fällt der Regen in den Fluss und die Nussschale schwankt.

© by Benjamin Felkel. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Ein leises Stück lyrische Prosa über Kitsch und Aufgeben mit kleinen Mängeln.
Hier werden keine Klischees bedient, hier werden sie benutzt, um bestimmte Texte zu karrikieren: die Über-Absichten-nie-Hinausgekommenen und die Aus-dem-Leid-Gequälten: die Vatertexte und die Muttertexte. Ich sehe hier vor allem Lyrik vor meinem geistigen Auge, alldieweil sich in dem Text allerlei lyrische Zutaten tummeln (ohne dass der Text gerinnt): heimliche Reime (Gesicht – nicht – Licht), Spiel mit Vokalen und Konsonanten (starrten.– warten – Stare; Texte – treten – Wintertor), Wiederholungen (2x Leise, ganz leise) usw. Von den heimlichen Vatertexten bekommen wir kaum was zu lesen – deswegen ist nicht viel darüber zu sagen; aber die Muttertext gedeihen prächtig – wie jedes Unkraut!

Die Kritik im Einzelnen

Und schon zersplittert das Eingangsbild: Wären die Texte aus Glas, hätten sie keine Flügel mehr, die sie schleifen lassen könnten! Ich würde folgerichtig den ersten Satz streichen und mit diesem beginnen, zumal auch der darauf folgende Stachel nicht sehr tief sitzen könnte im Glas! Und zuguterletzt spricht alles, was anschließend über Muttertexte gesagt wird, gegen Glas – es sei denn Panzerglas –, aber das wäre schwerlich zerbrechlich! zurück
Es entwickelt sich das Bild einer verhärmten Hausfrau, deren Leid so selbstverständlich ist, dass es sich bereits selbständig Essigumschläge verpasst, und die sich mit untauglichen Mitteln – nämlich den Zehen statt den Händen (diese schleifen ja auch am Boden) – gegen Unheil wehren möchte. Was ist die Aufgabe der Frau? Leiden und Sorgen-Für. (Meinen viele – nicht ich!) zurück
Die Muttertexte sind eigentlich blind und zur falschen Zeit am falschen Ort: Sie werfen sich auf sich selbst zurück, wollen das andere nicht sehen. zurück
Die Hoffnung stirbt zuletzt, und Muttertexte tragen wirklich dick auf. zurück
Jetzt folgt ein Sprung in die Vergangenheit (lagen – starrten), aus dem Glas wird Holz (Obwohl: Das Glas hatte ich ja entfernt) – aber warum? So, wie Muttertexte bislang beschrieben werden, sind die nicht irgendwann (eines Morgens) fertig, sondern immer im Nu; denn wenn Hinz oder Kunz sich Herzschmerzkitsch aus der Seele (oder was auch immer) melkt, dann flutscht das nur so und wird im schlimmsten Falle im Internet gepostet (welch Wort), damit welt auch teilnimmt – Nein: Mit dem Sprung in die Vergangenheit kann ich nichts anfangen zurück
Richtig. An Vatertexten wird heftig gearbeitet – und die schwarzen Ränder unter den Nägeln werden vorgezeigt (aber nicht die Todesanzeigen der nie veröffentlichten Werke): Da nimmt einer Sprache und Inhalt ernst. zurück
Vater gibt sich solche Mühe bei der Zubereitung, aber er hat beim sonntäglichen Kochen vergessen, dass man Buttermilch nicht kochen darf – war wohl nichts, sieht auch nicht besonders lecker aus! zurück

© 2009 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.