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Textkritik: Kleine Mängel, leicht zu beheben

Textkritiker Malte Bremer schaut sich einen Prosabeitrag an. Sein Zusammenfassendes Urteil: eine leise, hintersinnige Kurzgeschichte.

Die kleinen Mängel im Text sind schnell behoben. Oft sind es überflüssige Adjektive. Eine »Hauptstraße« muss keine »einzige« und abgestandener Kaffee wird immer »alt« und selten frisch sein. Zudem hat der Text ein regionales Problem am laufen. Doch das sind Kleinigkeiten.

Karfreitagsprozession

von Ella Rosenmichel
Textart: Prosa
Bewertung: 4 von 5 Brillen

Das leise Gemurmel der Betenden beginnt, sich in der einzigen Hauptstraße des Dorfes zu sammeln. Die schwarzen schweren Röcke der Frauen schleifen über die Pflastersteine. Alte Hände halten Gesangbücher. Zwei junge Burschen tragen mit unbewegter Miene das hohe Kreuz. Die Frau am Rande der Straße hält inne. Sie stützt sich auf ihren Kehrbesen, während ihr erster Blick auf den Pfaffen fällt. Sein liturgisches Gewand berührt im Vorbeiziehen beinahe ihre Alltagsschürze. Sie schreckt zurück vor dem Geruch von Mottenkugeln und Haarwasser. Das gemurmelte Beten der alten Frauen schwillt an. Sie senken die Köpfe. Die Frau am Straßenrand erkennt dennoch das eine oder andere gelblich-eingefallene Gesicht, und sie sperrt ihren Atem vor dem Geruch von Lavendel auf alter Haut. Die Gruppe der Männer in dunklen Anzügen betet lauter und tiefer. Als wolle sie die Kreuzesträger in ihrer Mitte schützen vor dem Ansturm der Frühlingsluft. Die frisch umgepflügte Erde verbreitet ihren würzigen Geruch. Sie trägt die dunkle Farbe des Holzkreuzes. Die Frau sucht den Blick des rechten Kreuzträgers. In der Nacht hatte sie den weichen Flaum seines braunen Haares an ihrer Brust gespürt. Später schäumte sie mit einem cremigen Kamillenshampoo dieses kräftige junge Haar, um ihre Nase darin zu baden. Die vorwitzigen Schaumkronen verliefen sich immer noch auf ihrem Gesicht, als er ihr Haus bereits verlassen hatte.

Nun schaut er weg, weit weg, ganz weg. Sie glaubt dennoch, der Duft der Kamille wehe zu ihr hinüber. Es ist aber der strenge Geruch des jahrhundertealten Holzkreuzes, der jeden anderen Sinneseindruck überbietet. Sie fängt den Blick des Gekreuzigten auf und wendet sich mit schnellem Atem ab, als die letzte Gruppe der Murmelnden an ihr vorbeigezogen ist. Raschen Schrittes, nicht mehr auf den Besen achtend, läuft sie ins Haus .

Ihr Atem beginnt zu rasseln. Die Ausdünstungen der Küche nach altem abgestandenen Kaffee, heruntergebrannten Holzscheiten und Morgenschweiß legen sich auf ihre Bronchien wie zäher Schleim.

Als der Menschenzug zurückkommt, steht niemand mehr am Straßenrand. Die alten Frauen singen in hohen schrillen Tönen: »Oh Haupt voll Blut und Wunden.« Die Kreuzesträger blicken zu Boden. Das hohe alte morsche Kreuz ist schwer geworden. Der Pfaffe schweigt noch immer.

Ein Mädchen mit langen blonden Zöpfen hüpft in gebührender Entfernung dem verhallenden Singsang hinterher. Es hält kurz inne angesichts der weit geöffneten Tür jenes kleinen Hauses am Straßenrand. Zu Hause wartet das Fastenessen mit jenem Karpfen, dessen tote Augen glotzen. Das kleine Mädchen hüpft auf den Türschlund zu. Ahnungslos. Ihre blonden Zöpfe schaukeln in der Frühlingsbrise. Der tote Karpfen kann warten.

© 2013 by Ella Rosenmichel. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Eine leise, hintersinnige Kurzgeschichte

Kleine Mängel, die leicht behoben werden können!

Die Kritik im Einzelnen

Wie viele Hauptstraßen kann ein Dorf vertragen? Eben: einzige streichen!

Aber großes Lob, dass hier nicht platt erzählt wird, sondern überlegt: Bevor man die Prozession sieht, hört man sie! Und das trifft sicher zu für die Frau mit dem Besen, um die es geht, die aber erst später auftaucht. Das Gemurmel sammelt sich, wird also immer lauter! zurück

Zwischen den beiden Adjektiven sollte ein Komma stehen; zudem würde ich die Reihenfolge ändern, denn der optische Eindruck ist der erste: die schwarzen, schweren Röcke. zurück

Hier beginnt etwas Neues, nämlich der Blick auf die Frau. Deshalb empfehle ich einen Absatz am Anfang. Aus am Rande der Straße würde ich Straßenrand machen, weil das nur 1 Substantiv ist – sonst nehmen die überhand! zurück

Während gibt einen Zeitraum, d. h. sie stützt sich so lange, wie der Blick fällt: Das kann nicht so lange dauern, dass es ein während verdiente! Ich würde während einfach streichen: Die Frau hält inne, stützt sich auf den Besen und sieht den Pfarrer (der ja sehr nahe ist, wie man gleich erfährt). zurück

Wegen der Ähnlichkeit (vorvon) schlage ich vor: vor dem Geruch nach Mottenkugeln und Haarwasser. Gut, wie hier alt und neu zusammengebracht werden, und ebenso, wie das abwertende Pfaffe ganz allein ausdrückt, was die Frau von diesem Kirchenmann hält! zurück

Auch das ist gelungen: Die Alten ignorieren die Frau, demonstrieren das auch noch, aber diese erkennt dennoch einige Gesichter. Es wird seinen Grund haben, warum diese Frau nicht bei der Prozession dabei ist. zurück

Hier würde ich den folgenden allein stehenden Nebensatz durch ein Komma anbinden, es wäre ja der einzige. Sofern Leser diesen Gedanken jedoch als einen spöttischen der Frau auffassen, was durchaus möglich und berechtigt wäre, gäbe es auch die Lösung, mit dem isolierten Nebensatz einen neuen Absatz zu beginnen und mit einem Ausrufezeichen zu beenden, was den Kommentar-Charakter verstärkte! zurück

Das stimmt nicht, es gibt fünf Sinne! Hier geht es ausschließlich um den Geruch, also streichen! zurück

Was soll mit schnellem Atem bedeuten? Atem hat nichts mit Tempo zu tun, wohl aber Atmen! Der Blick des Gekreuzigten bewirkt etwas in ihr, was zu einem veränderten Atmen führt: schnell sagt wenig aus: Vielleicht heftig? Weil es die allein stehende (?) Frau stark berührt, von dem jungen Burschen so ignoriert zu werden, wo sich Jesus doch um die Huren bemühte? Das wäre Interpretationssache, entsprechend müsste das Adjektiv fürs Atmen gefunden werden: und wendet sich heftig atmend ab könnte es z. B. lauten. zurück

Raschen Schrittes ist zuviel, schließlich benutzt sie wohl nicht die Hände! Rasch genügt vollauf! Aber jetzt kommt das Problem mit dem Laufen: Im Süddeutschen Raum bedeutet das gehen, im Hochdeutschen das, was in Dauerlauf steckt, also im Süddeutschen rennen. Da es am Anfang rasch heißt, sollte jetzt gehen folgen, denn ein Lauf bzw. ein Rennen ist von vornherein rasch: Rasch geht sie ins Haus.

Den Besen habe ich dabei eliminiert, denn ich gehe davon aus, dass sie ihn beim Abwenden einfach hat fallen lassen, so deute ich zumindest diese umständliche Formulierung »nicht mehr auf den Besen achtend«. zurück

Abgestandener Kaffee muss alt sein, es gibt keinen frischen abgestandenen, allenfalls einen aufgewärmten! Weg mit diesem Adjektiv! zurück

Hier würde ich keinen Abschnitt machen, sondern nur einen Absatz, denn hier ereignet sich nichts Neues! zurück

Schrille Töne sind hoch, sonst wären sie nicht schrill. Also weg mit hohen! zurück

Christliche Kreuze sind immer hoch, das darf also ebenfalls weg! zurück

Hier fängt etwas Neues an, also sollt hier ein Abschnitt voraus gehen! zurück

Das ist jetzt ZU deutlich! Hier wird eine möglich Gefahr für das Mädchen angedeutet, und genau darauf würde ich verzichten! Wer bis jetzt noch keinen Verdacht gehegt hat, dass die (angeblich) männerverschlingende und abgelehnte Frau mit dem Besen als Hexe betrachtet werden könnte, sollte jetzt nicht gewaltsam darauf gestoßen werden! Denn sie muss ja keine sein, nur weil andere sie dafür halten! Warum also sollte dem Mädchen Gefahr drohen? Wovon hätte sie eine Ahnung haben sollen? Ahnungslos streichen! zurück

Oh nein, das tun sie gewiss nicht: Die Zöpfe schaukeln notwendig, weil das Kind hüpft! Also hinweg mit der Frühlingsbrise! zurück

So liest sich die verbesserte Version:

Das leise Gemurmel der Betenden beginnt, sich in der Hauptstraße des Dorfes zu sammeln. Die schweren, schwarzen Röcke der Frauen schleifen über die Pflastersteine. Alte Hände halten Gesangbücher. Zwei junge Burschen tragen mit unbewegter Miene das hohe Kreuz.

Die Frau am Straßenrand hält inne, stützt sich auf ihren Kehrbesen, und ihr erster Blick fällt auf den Pfaffen. Sein liturgisches Gewand berührt im Vorbeiziehen beinahe ihre Alltagsschürze. Sie schreckt zurück vor dem Geruch nach Mottenkugeln und Haarwasser. Das gemurmelte Beten der alten Frauen schwillt an. Sie senken die Köpfe. Die Frau am Straßenrand erkennt dennoch das eine oder andere gelblich-eingefallene Gesicht, und sie sperrt ihren Atem vor dem Geruch von Lavendel auf alter Haut. Die Gruppe der Männer in dunklen Anzügen betet lauter und tiefer.

Als wolle sie die Kreuzesträger in ihrer Mitte schützen vor dem Ansturm der Frühlingsluft! Die frisch umgepflügte Erde verbreitet ihren würzigen Geruch. Sie trägt die dunkle Farbe des Holzkreuzes. Die Frau sucht den Blick des rechten Kreuzträgers. In der Nacht hatte sie den weichen Flaum seines braunen Haares an ihrer Brust gespürt. Später schäumte sie mit einem cremigen Kamillenshampoo dieses kräftige junge Haar, um ihre Nase darin zu baden. Die vorwitzigen Schaumkronen verliefen sich immer noch auf ihrem Gesicht, als er ihr Haus bereits verlassen hatte.

Nun schaut er weg, weit weg, ganz weg. Sie glaubt dennoch, der Duft der Kamille wehe zu ihr hinüber. Es ist aber der strenge Geruch des jahrhundertealten Holzkreuzes, der jeden anderen überbietet. Sie fängt den Blick des Gekreuzigten auf und wendet sich heftig atmend ab, als die letzte Gruppe der Murmelnden an ihr vorbeigezogen ist. Rasch geht sie ins Haus.

Ihr Atem beginnt zu rasseln. Die Ausdünstungen der Küche nach abgestandenem Kaffee, heruntergebrannten Holzscheiten und Morgenschweiß legen sich auf ihre Bronchien wie zäher Schleim.

Als der Menschenzug zurückkommt, steht niemand mehr am Straßenrand. Die alten Frauen singen in schrillen Tönen: »Oh Haupt voll Blut und Wunden.« Die Kreuzesträger blicken zu Boden. Das alte morsche Kreuz ist schwer geworden. Der Pfaffe schweigt noch immer.

Ein Mädchen mit langen blonden Zöpfen hüpft in gebührender Entfernung dem verhallenden Singsang hinterher. Es hält kurz inne angesichts der weit geöffneten Tür jenes kleinen Hauses am Straßenrand. Zu Hause wartet das Fastenessen mit diesem Karpfen, dessen tote Augen glotzen. Das kleine Mädchen hüpft auf den Türschlund zu. Ihre blonden Zöpfe schaukeln. Der tote Karpfen kann warten.

© 2013 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.