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Textkritik: Der Staat New York gegen Adam – Drama

Eine Textkritik von Malte Bremer

Der Staat New York gegen Adam

von Christoph Maurer
Textart: Drama
Bewertung: 1 von 5 Brillen

Auszüge aus der Verhandlung
Ort: ein einfacher Gerichtssaal, völlig überlaufen, aber wohl geordnet, es herrscht Stille.

ADAM:  … und schwöre die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit.
1. STAATSANWALT: Ihnen wird zur Last gelegt, am Abend des 19. … von ihrer Frau wissentlich… einen Apfel entgegengenommen zu haben.
2. STAATSANWALT: Als Nebenkläger treten auf ihre ehemalige Frau, Miss Eva Klein, und die versammelte Menschheit. Sie wurden auf ihre Rechte hingewiesen und haben entschieden, sich selbst zu verteidigen. Die Verteidigung hat das Wort.

1. STAATSANWALT: Ich bitte die erste Zeugin zur Aussage.
Eva: Und er versprach uns einen Baum, dessen Früchte uns machen würden wie Gott, dass wir unterscheiden könnten zwischen gut und böse. Und er gab mir diese Schlange, die mich zwang…

2. STAATSANWALT: Ich bitte zur Klärung der Umstände die Herren Augustin und Schiller.
SCHILLER: Der Beginn der Freiheit. Vom instinktgesteuerten Tier zum freien Menschen, der in Würde und durch Vernunft moralische…
AUGUSTIN: Der Beginn des Elends. Die Verfehlung für die ganze Menschheit. Nur einige sind auserwählt, der Rest fällt der Verdammnis anheim.
SCHILLER: Die Möglichkeit, mit freiem Volk auf freiem Grunde zu stehen!
AUFGEBRACHTES PUBLIKUM: Wir wollen deine Freiheit nicht!

ADAM: Und ich schwöre, ich hatte nichts im Sinn als die… was ist das für ein Gott, der… Ich bitte zu hören die Unterdrückten!

GERICHTSSPRECHER: Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil.

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Zusammenfassende Bewertung

Zu viel Ballast & Ungereimtes stört die Dramaturgie. Die Idee allein trägt nicht hinreichend.
Ich frage mich, warum diese Gerichtsverhandlung im Staate New York stattfindet und nicht etwa in Den Haag oder in Vaison la Romaine – muss denn überhaupt ein Ort genannt sein? Hier geht es doch eher um eine (pseudo)philosophische Auseinandersetzung ohne jeden realen Boden!
Ich fände es zudem raffinierter, wenn die drei Herren mit Originalzitaten vertreten wären, die einer Überprüfung standhielten: so viel Mühe muss sein! Und bei der Gerichtsverhandlung geht etliches daneben: auch hier wäre mehr Sorgfalt angebracht!
Solch kleine Dramen sind schwer – aber es gibt vorzügliche! Ich nehme die Gelegenheit wahr, eins meiner Lieblingsminidramen zu präsentieren, es passt zufällig zum Thema; geschrieben hat es Arthur Schopenhauer und heißt

Gespräch anno 33
A  Wissen Sie schon das Neueste?
B  Nein, was ist passiert?
A  Die Welt ist erlöst!
B  Was Sie sagen!
A  Ja, der liebe Gott hat Menschengestalt angenommen und sich in Jerusalem hinrichten Lassen: dadurch ist nun die Welt erlöst und der Teufel geprellt.
B  Ei, das ist ja ganz scharmant.

Die Kritik im Einzelnen

Nun fand die Apfelübergabe aber keineswegs an einem 19. wasauchimmer (steht für die Auslassungszeichen) statt, sondern am Ende des 7. Tages, als Gott sich ausruhte. Es könnte also eher ein 7.1. gewesen sein, obwohl damals subjektiv noch keine Tage gezählt wurden, wozu auch: Die beiden Menschen waren schließlich unsterblich – bis Adams Apfelbiss uns den Tod eingebrockt hat. Welchen Sinn die Auslassungszeichen nach wissentlich haben, kann ich nicht ergründen. Erfreulich übrigens, dass hier der Richtige angeklagt wird! zurück
Warum heißt Eva Klein und nicht einfach Frau Eva? Adam heißt offenbar auch nicht Adam Klein. Die Miss entstand aus der Verlagerung nach New York, könnte also bei fehlender Konkretisierung einfach ersetzt werden. zurück
Zwar folgt jetzt eine Auslassung, aber sinnvoller wäre es, der Verteidigung nicht das Wort zu geben, also den letzten Satz zu streichen, zumal anschließend Eva als Zeugin spricht, obwohl sie gerade erst als Nebenklägerin eingeführt wird…
Dabei muss noch aufgeklärt werden: wieso müssen sich Nebenkläger eigentlich verteidigen? Und was soll der Hinweis auf die Rechte bei Nebenklägern, schließlich werden die Kläger von der Staatsanwaltschaft vertreten? Hier hakt es aber ganz gewaltig! zurück
Falls mit Er Gott gemeint sein sollte, ist das falsch: Gott hat den Baum nicht versprochen, sondern ihn geschaffen – mitten im Paradies, bereit zur Plünderung. Gott hat auch nicht vor den Folgen des Fruchtgenusses gewarnt oder irgendwelche Wirkungen versprochen: er hat sich völlig darauf beschränkt, den Genuss der Früchte kategorisch zu verbieten. Es war die Schlange, die über die Wirkung dieses Obstes aufklärte! (Dank an Teresa Hayer, die festgestellt hat, dass ich hier etwas übersehen habe!) zurück
Auch hier würde ich auf die Auslassungszeichen verzichten, sondern es bei die mich zwang belassen, wenn es denn unbedingt sein muss, schließlich ist es eine faustdicke Lüge. Besser wäre ein Ende ihrer Aussage mit: Und er gab mir diese Schlange. Das ist immerhin eine Tatsache, an der die Religionswissenschaftler immer noch und immer wieder zu beißen und zu verdauen haben. zurück
Das soll Schiller gesagt haben? Könnte schon sein, irgendwie und so; wie auch immer: auch hier würde ich auf die Auslassungszeichen verzichten! zurück
Ich nehme an, Augustin soll Augustinus sein – und auch hier habe ich leise Zweifel, ob er das so rigide geäußert hat – aber schließlich kann ich nicht alles wissen, wer bin ich denn? Eben!  Doch dürfte es ruhig Augustinus heißen, wenn er es denn ist. zurück
Das hat Schiller garantiert nicht geschrieben: das äußert Faust höchstpersönlich ungefähr, als er – erblindet – das Spatengeklapper beim Ausheben seines Grabes irrtümlich für das Anlegen von Entwässerungsgräben hält. Folgerichtig müsste Goethe ebenfalls als Sachverständiger geladen werden. zurück
Da die versammelte Menschheit Nebenkläger ist, kann niemand im Publikum sitzen (abgesehen von Fauna & Flora): also wäre es besser; die versammelte Menschheit brüllte unisono auf! zurück
Der Rest seit dem letzten Link ist überflüssig: wenn die Nebenkläger diese Freiheit nicht wollen, reicht es; zudem wird eh kein Urteil gesprochen, und Adam spart das Wichtigste aus. Eine Reaktion von Herrn Adam kann man getrost einem Regisseur oder besser: einem Schauspieler überlassen.
Was bleibt? Wenn ich gleichzeitig noch den Prozess-Unsinn nach bestem Wissen und Gewissen eliminiere – ich lasse mich gerne belehren -: das hier:

Der Prozess gegen Adam
RICHTER: Herr Adam, Ihnen wird zur Last gelegt, am Abend des 7.1. von ihrer Frau wissentlich einen Apfel entgegengenommen zu haben. Als Nebenkläger treten auf Ihre ehemalige Gemahlin, Frau Eva, und die versammelte Menschheit.
STAATSANWALT: Frau Eva, ich bitte um Ihre Aussage.
EVA: Und er verbot uns einen Baum, dessen Früchte uns machen würden wie Gott, dass wir unterscheiden könnten zwischen gut und böse. Und er gab mir diese Schlange.
STAATSANWALT: Ich bitte zur Klärung der Umstände die Sachverständigen Herren Schiller, Augustinus und Goethe.
SCHILLER: Der Beginn der Freiheit. Vom instinktgesteuerten Tier zum freien Menschen, dem in Würde und durch Vernunft moralischen.
AUGUSTINUS: Der Beginn des Elends. Die Verfehlung für die ganze Menschheit. Nur einige sind auserwählt, der Rest fällt der Verdammnis anheim.
GOETHE: Die Möglichkeit, mit freiem Volk auf freiem Grunde zu stehen!
VERSAMMELTE MENSCHHEIT: Wir wollen diese Freiheit nicht! zurück

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