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Textkritik: Aus der Kitschkiste zusammengepfuscht

Manchmal sind Schriftsteller wie amerikanische Schauspieler: Sie steigern sich in etwas hinein und versuchen, die letzte Kante und die letzte Ecke eines Gefühls auszuloten. Das kann bei Schauspielern in einem glaubhaft dargestellten Charakter enden – und bei Schriftstellern in einem unsäglichen Geschwafel. Sie wissen schon: Goethe, Quark und so. Alles gerät außer Form, weil es nie eine hatte und der Autor lieber Worte absondert, anstatt sie zu gestalten.

So arbeitet sich unser Textkritiker Malte Bremer diesmal durch einen großen Berg an spätpubertärerem Gefühlkitschmatsch.

26 Rosen und kalter Kaffee

von Carmen Rodrigues
Textart: Prosa
Bewertung: 0 von 5 Brillen

Müde hält sich mein Blick an der Frau dort draußen fest.
Verwirrt und leer starre ich durch die Scheibe meines Schlafzimmerfensters und sehe, wie sie unten aus der Haustür tritt.

Meines Schlafzimmerfensters … wie das klingt!
Fremd tönt das in meinen Ohren und in meinem Herzen … »mein Schlafzimmer«, das bis gerade eben noch »unser Schlafzimmer« gewesen ist. Und die da vor meinem Haus, das ist auch nicht irgendeine, es ist meine Frau!
Zumindest war sie das. Bis heute früh.
Und jetzt?
Ich wage nicht darüber nachzudenken – wissend, dass es im Augenblick weder Erklärungen noch Lösungen gibt. Nichts.

In mir ist es kalt, ich fühle mich benommen und mein Herz scheint still zu stehen, als sie einen Fuß vor den anderen setzt.
Unaufhaltsam geht sie weiter – fort von mir!

Und hier stehe ich also, ohnmächtig an meinem Fenster und blicke ihr hinterher, meiner Frau, die mich verlassen hat. Einfach so – nach vier glücklichen Jahren.

Ich hatte ihr vorhin am Frühstückstisch Kaffee eingeschenkt und es mir mit der eigenen Tasse auf dem Stuhl bequem gemacht. Sie trank einen Schluck und ich lächelte sie an. Gerade wollte ich ihr von meinem seltsamen Traum in der Nacht erzählen, als ich irritiert verstummte, denn sie erwiderte mein Lächeln nicht.
Ich schluckte, weil ich spürte, dass jetzt etwas geschieht.
Und dann fing sie an zu sprechen.

»Wir sind noch so jung«, sagte sie.
»ICH bin noch so jung. Und ich empfinde keine Liebe mehr für Dich, Uli. Ich möchte nicht länger mit Dir zusammen leben. Es tut mir leid.«
Dabei lag ihre Hand sanft auf meiner und sie sah mich an.
Aus dem Nichts kamen diese Worte, ich war vor den Kopf gestoßen!

Tags zuvor hatte ich mit ihr im Prospekt für den kommenden Sommerurlaub geblättert und wir hatten uns ausgemalt, wie gut uns die Erholung in Griechenland tun würde! Wie wir ihren Geburtstag dort feiern wollten, mit einem schönen Abendessen und einer Flasche gutem Wein, alleine – gemütlich! Dieser Blumenstrauß für sie –  vor meinem geistigen Auge: 26 Stück, für jedes Lebensjahr eine weiße, duftende Rose!
Sommer und Sonne … und ihre Hand wollte ich halten, jene, die heute früh so kalt auf meiner ruhte.
Am Strand verliebt in ihre Augen sehen, dieselben dunkelgrünen Sterne, die mir bei ihren Worten in mein tiefstes Inneres zu blicken schienen.
Den Duft ihrer schwarzen Haare atmen, die wie Seide über zarte Schultern flossen.

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich war sonst nie um Worte verlegen, aber der Schmerz lähmte mir in diesem Augenblick die Stimme und ich schwieg sie hilflos an.
Was hätte ich auch erwidern sollen? Es war endgültig, und ich erkannte an der Art, wie sie gesprochen hatte, dass es ihr Ernst war. Sie würde gehen. Mich verlassen.
Einfach so.

Und dann war sie aufgestanden, ohne ein weiteres Wort.
Ihr Blick war das Schrecklichste in diesem Moment!
Ich konnte in ihren Augen sehen, dass ich ihr leid tat, aber warme Gefühle erblickte ich darin keine.
Sie hatte die Wahrheit gesagt … da war nicht ein Funken Liebe mehr in ihr.
Ich sah ihr zu, wie sie nach oben ging, ich wusste, sie würde packen und dann gehen.
Ich wollte ihr gerne soviel sagen, aber ich hatte keine Ahnung, wie! Ich konnte es nicht begreifen, ich war der ganzen Geschichte hilflos ausgeliefert.
So starrte ich kopfschüttelnd und entsetzt in meine Kaffeetasse.

Der Inhalt war längst kalt, als ich endlich erahnte … langsam … was vor sich ging.
Träge stand ich auf und schlurfte ihr hinterher, nach oben. In unser Schlafzimmer.
Traurig setzte ich mich auf die Bettkante und sah ihr zu, wie sie die letzten Dinge in ihren Koffer packte.
Ich wusste, ich konnte sie nicht halten, also schwieg ich, weiterhin verletzt und mit Tränen in den Augen.
Als sie fertig war, erhob sie sich und umarmte mich stumm. Sie blickte mich an, gab mir einen Kuss auf die Stirn und murmelte:
»Verzeih mir bitte, wenn du das kannst. Mach es gut, Uli.«
Und dann war sie auch schon verschwunden, mit ihrem Koffer.
Die leere Schrankhälfte stand noch offen und gähnte ins Zimmer hinein.

Und so stehe ich nun hier am Fenster und schaue ihr nach. Wie sie ihr Auto erreicht und die Türe aufschließt. Sie blickt sich nicht um.
»Machs auch gut, Susanne!« sage ich leise und nehme wahr, wie sie um die Ecke fährt, fort von mir in ein neues Leben. Gedankenversunken verweile ich, seit einer Stunde und dennoch will sich mir ein Sinn hinter allem, was geschehen ist, nicht erschließen.

Als das Telefon klingelt, schrecke ich hoch und hoffe sofort, dass sie es ist!
Sie hat es sich anders überlegt! Oh mein Gott! Fast hechte ich übers Bett, auf meine Seite und reiße den Hörer aus der Ladestation. Es knackt kurz in meinem Rücken, aber das ignoriere ich tapfer, das war jetzt nicht wichtig!

»Susanne??« rufe ich hoffend und presse das Telefon ans Ohr, als ginge es um mein Leben. Genau darum geht es ja auch!

»Nee, Uli, altes Haus! Ich bin’s, Gerd! Sag mal, hast Du Lust auf ne Runde joggen am See, heute Mittag?«

Mein Gesicht fällt in Scherben und ich schüttle den Kopf. Mein Rücken schmerzt, mindestens so sehr, wie mein Herz.

»Ach lass mal, Gerd.«

Ich hatte wirklich keine Lust mit ihm zu reden, und schon gar nicht über das, was vorgefallen war.
Nicht jetzt.

»Ich hab mir wohl grade nen Nerv im Rücken verklemmt, ich glaube mit dem joggen, das lassen wir besser sein …« antworte ich tonlos.
»Ha, Du willst sagen, Du hast Dir heute Nacht dein Kreuz verbogen? Hehe, in Deinem Alter …«, ich höre seine Worte nur halb und den Satz beendet er nichtmal.

»Ach was, Gerd! Mit fünfzig geht das Leben ja erst richtig los!« sage ich, mühsam die Erkenntnis überspielend, die meinen Geist beschleicht und mein Herz zerbricht.

»Weißt doch, wir sind doch noch jung!«

Ich lege auf.

»Wir sind doch noch jung …« hämmert es hinter meiner Stirn, und ich blicke in den Spiegel meines Kleiderschranks und fühle mich plötzlich sehr, sehr alt.

© 2013 by Carmen Rodrigues. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Sprachlich und inhaltlich spätpubertärer Gefühlkitschmatsch eines 50-Jährigen

Die Kritik im Einzelnen

Das fängt gar nicht gut an: Da blickt jemand gleich zu Beginn aus dem Fenster! Das ist einer der peinlichsten und desterwegen höchlichst zu vermeidenden Anfänge (Platz 3)
Doch damit nicht genug: Der Blick, der sich an einer Frau festhält, kann sich gar nicht an der Frau festhalten, denn die ist noch nicht da, sondern tritt unten aus der Haustür … woran hat er sich dann festgehalten? An der Erwartung des Heraustretens?
Halt, Stopp: Irrtum, Kommando zurück: Nicht die Frau tritt durch die Haustür, sondern die Scheibe, durch die er zugleich auch noch starrt! Das liegt an diesem sie, das sich grammatisch auf das letzte vorangegangene weibliche Substantiv bezieht, und das ist nun einmal die Scheibe! Wobei auf Scheibe verzichtet werden kann, denn wenn er durch sein Schlafzimmerfenster starrt, wird er kaum geschlossene Roll- bzw. Fensterläden blicklings penetrieren!
Und wie kann jemand verwirrt sein, wenn er doch leer ist? Verwirrung ist ziemlich hirnfüllend, da ist kein Raum mehr für Leere!
Fazit nach zwei Sätzlein: Hier wird verwirrt aus der Kitschkiste zusammengepfuscht! zurück

Zunächst kleine Rechtschreibübung, weil folgender Fehler allzu häufig in Einsendungen auftaucht: Die drei Auslassungspunkte (bei Word: ctrl+alt+. und beim Mac alt+.) folgen, sofern ein Satz abgebrochen wird, nach einem Leerzeichen. Das war in diesem Text meist nicht der Fall und wurde per Suchen und Ersetzen korrigiert. Wird aber ein Wort nicht ausgeschrieben, z. B. eine Beschimpfung (F… dich, du A…), dann folgen diese Punkte ohne Leerzeichen, und sollte das am Satzende stehen, folgt kein weiteres Satzzeichen (ausgenommen das Redeschlusszeichen bzw. die Schlussklammer).
Meines Schlafzimmerfensters: Das klingt tatsächlich saudoof: mein Schlafzimmerfenster, dein Klofenster … Kommt hier unerwartet Humor ins Spiel?
Klingen tut es aber nur, sofern man so etwas laut sagt. Sagt unser Protagonist das denn laut? Aber ja: Es klingt in seinen Ohren und seinem Herzen! Sind das dann diese Herzenstöne, also die, die aufs Gemüt schlagen bzw. es erheben?
Offenbar, denn unvermutet wird mein Schlafzimmerfenster reduziert auf mein Schlafzimmer: Ist das jetzt eine missglückte klammheimliche Korrektur, weil es ja albern wäre, hätte er je mit seiner Frau von unserem Schlafzimmerfenster gesprochen? Was ein Schmarrn!
Zu allem Übel wagt er jetzt nicht nachzudenken, weil er nämlich etwas weiß, also wissend ist – wie soll das denn bitte gehen, er ist laut persönlicher Auskunft doch bereits einige Zeilen lang verwirrt und leer? Zum Glück werden wir jetzt aufgeklärt, was das Nichts ist: Wenn es weder Erklärungen noch Lösungen gibt. zurück

Standardzutaten für Gefühlkitsch werden überflüssigerweise ergänzt: die innere Kälte, der scheinbare Herzstillstand! Zu Verwirrung, Leere und Wissen gesellt sich fröhlich die Benommenheit, und Protagonist stellt fest: Seine Frau geht fort. Ächz … zurück

Auch die Ohmacht darf jetzt ihr Scherflein beitragen zum Kitschchor, und Protagonist hat wieder SEIN Fenster zurückerobert und behauptet steif und fest, dass seine Frau unaufhaltsam weitergeht … zumindest hat sie noch nicht der Schlag getroffen oder ein Panzer überrollt!
Warum rennt dieser Heini nicht hinter ihr her und hält sie auf? »Kann nicht, ich bin ohnmächtig und leer und verwirrt und wissend und innen kalt und benommen und mein Herz scheint still zu stehen und es klingt in ihm, und sie ist eh unaufhaltsam!«
Ja dann: zurück

DAS war zu befürchten: JETZT wird erklärt, wie es dazu kam, warum Heini an seinem Schlafzimmerfenster steht, dessen Scheibe er durchschaut – damit wäre auch der nächste hochnotpeinliche Erzählfehler (Platz 2) überzeugend erfüllt. Und ein weiteres Klischee wurde gesucht, gefunden und eingebunden: Wenn eine Frau nicht zurücklächelt, geschieht etwas – das irritiert Heini, worauf er schluckt (was soll er auch sonst anstellen mit seinem Kaffee?) – und was geschieht? Seine Frau redet! Boah Alda! Jetzt wirds spannend!
Und dass er es sich mit der eigenen Tasse auf dem Stuhl bequem gemacht hatte, das merke man sich genau, das hat nämlich Folgen! zurück

Dass der Heini Uli fünfzig ist, erfährt der Leser am Ende, und dass jener vier Jahre glücklich verheiratet war mit Susanne (auch das erfährt der Leser erst später: Bislang war Susanne nur seine Frau, also so etwas wie sein Schlafzimmerfenster.
Es gibt wohl einen größeren Altersunterschied zwischen den beiden, denn warum sollte sich Susanne sonst verbessern bei ihrer seltsamen Feststellung, beide bzw. nur sie wäre noch jung?
Dass sie ihn bei ihrer langen Rede seit Beginn angesehen und ihre Hand auf seine gelegt hatte … (Ha! Gemerkt? Uli sitzt bekanntlich auf seinem Stuhl mit seiner Kaffeetasse in der Hand! Und da legt die ihre Hand drauf?) … also von dieser Handauflegung erfährt der Leser erst am Ende ihrer Ansprache: Warum eigentlich? Uli war irritiert, weil Susanne nicht zurückgelächelt hat, und ist überhaupt nicht irritiert, als sie unvermittelt ihre Hand auf seine legt und ihn dabei anschaut?
Wenn dem aber so ist und man dem Text glauben können sollte, dann hat sie Uli NICHT angeschaut, als der sie angelächelt hat (was demnach ein sinnloses Anlächeln gewesen wäre), konnte also logischerweise auch nicht zurücklächeln.
Gern hätte ich erfahren (aber nicht durch diesen Ich-Erzähler!), was in Uli vorging bei der unvermittelten Berührung.
Das ist alles so beliebig verquer aus dem Ärmel geschüttelt: Da stimmt inhaltlich gar nichts!
Die Essenz von diesem substanzlosen Gesummse: Seine Frau ist ein Nichts, denn aus diesem kamen die Worte, und er war vor den Kopf gestoßen – das fehlte noch im Kitschchor, macht aber nichts: Benommen war er schließlich schon. zurück

Jetzt wird ausgebreitet, was am Tag vorher passiert ist (Platz 2 zum zweiten), denn das muss besonders schööön gewesen sein, damit Susannes Absage eine richtig saftige Bedeutung bekommt für den ohnmächtigen Uli – und genau so ist es auch!
24 Jahre beträgt der Altersunterschied nämlich! Gestresst waren sie, brauchten Erholung in Griechenland, Susannes Geburtstag wollten alldort sie feiern mit 26 Rosen (da hatte Uli ihr schon sein Geburtstagsgeschenk verraten!) und Alkohol und Schmalz und Sülz und Trallala und Drohungen von Ulis Seite: Er werde verliebt in ihre Augen schauen usw. usf., war alles zu lesen.
Schauder: Da hätte ich an Susannes Stelle auch Schluss gemacht: Wieso verschiebt Uli das auf den Urlaub? Kann er sonst nicht verliebt in ihre Augen schauen? Ist er sonst nur mit Verwirrnis, Ohnmacht, Leere und Konsorten beschäftigt?
Und wir erfahren, dass Susannes Hand sanft, aber kalt auf seiner gelegen hatte am folgenden Morgen: Wieso hat er es da nicht gleich bemerkt und seine Hand entzogen? Okay, wäre vielleicht Kaffee verschüttet worden und Flecken und so.
Aber es stimmte ja eh nichts bei dieser Frühstücksbegegnung … zurück

Ja was denn jetzt: Wusste Uli nicht, was er antworten sollte, oder konnte er nicht, weil der Schmerz seine Stimme lähmte (auch so ein Klischee … wahrlich eine Fundgrube hier in diesem Text)? Vermutlich ersteres, das zweitere ist nur feige Ausrede! Gibt er dann auch zu: »Was hätte ich auch erwidern sollen?« Löschte man den ersten Absatz dieses Abschnittes, fehlte nichts – aber Verbesserungsvorschläge sind in diesem Fall sinnlos, dieser Text ist nicht zu retten.
Der letzte Satz ist ein einziger Unfug: Sie hat ihn nicht Einfach so verlassen, sie hat es ihm gesagt! Und er hat es geahnt, sonst hätte er ihr nicht diesen oberkitschigen Versöhnungsurlaub angedienert. Später gibt er ja zu, dass er wusste, was kommt. Warum in aller Welt tut er hier so scheinheilig? zurück

Ihr Blick war das Schrecklichste, weil Uli sehen konnte, dass in ihren Augen keine warmen Gefühle mehr waren! Mitleid, wie wir alle wissen, ist ja bekanntermaßen eiskalt, so wie Susannes Händchen auf dem seinigen: Erneut haut ein Satz voll daneben, denn es geht Uli doch nur um einen Funken Liebe, keineswegs um irgendwelche warmen Gefühle.
Wieder werden Wörter verplempert für Banales, Uli wusste, was passieren würde blah blah blah, und er wollte ihr soviel sagen blah blah blah –
Ja geht’s noch? Keine Stimmlähmung mehr? Und was denn sagen? Ach, es geht nur noch um das Wie? Worte hätte der Sonst-um-Worte-nie-verlegene Uli schon noch gehabt? Ja zum Kuckkuck: welche denn? DU, Heini Uli, bist doch der Ich-Erzähler! DU musst das doch wissen! Warum verschweigst du dem Leser das alles und suhlst dich stattdessen besoffen in deinem schnarchlangweilig pubertären Selbstmitleid?
Tärä: Den Kitschchor unterstützen jetzt noch Gevatter Hilflosigkeit und Bruder Entsetzen – bald haben wir alle fröhlich zuhauf beieinand! zurück

Es geht noch schlimmer: Heini wusste gerade noch, was geschehen würde (nämlich hinaufgehen & packen), aber jetzt erahnte er langsam, was vor sich ging. Nach so wenigen Zeilen kann das nur Zeichen für eine verschärfte Variante von Demenz sein (die gehört zum Glück noch nicht in den Kitschchor!).
Überaus wichtig ist auch, dass er nach oben ging, das wird besonders betont, da nachgestellt. Seltsam aber, dass Susanne bereits schon nach oben gegangen ist, ein paar Zeilen zuvor, und er ihr hinterher schlurfte … wohin also? Eben. Ein weiteres Anzeichen von Demenz, diesmal allerdings durch scharfes Nachdenken erfolgreich bewältigt!
Weitere sprachliche Schlampereien: Er sah ihr zu, wie sie packte statt Er sah zu, wie sie packte; dass es ausgerechnet die letzten Dinge sein müssen, die sie einpackt, sei ihr nachgesehen; die Anrede du wurde in der direkten Rede schon immer klein geschrieben (zumindest von denen, die sich um Rechtschreibung bemühten); selbst das Bild im letzten Satz dieses Abschnittes wird zerstört: Stünde da nackt und bloß und ganz einfach Die leere Schrankhälfte gähnte ins Zimmer, dann hätte ich mich endlich über 1 Satz freuen können, aber nein, da muss zugekleistert werden! Die Schranktüre muss offen sein (steckt bereits im Gähnen) und leer (auch das steckt bereits im Gähnen!), und sie gähnt nicht ins Zimmer, sondern ins Zimmer hinein (Zur Sicherheit! Sonst könnte der blöde Leser ja denken, sie gähnte ins Zimmer hindurch oder heraus!): Diese verschnarcht dumpfen Doppelungen gehen auf keine Kuhhaut drauf! Das sollte sich jeder Autor beiderlei Geschlechts in sein Buch hinein reinschreiben!
Den Kitschchor verstärken überraschend Verletztheit und Tränen in den Augen, die aber wohl bereits inkognito irgendwie da waren, da sie weiterhin da sind: immerhin dankenswert, dass sie eifrig extra nachgereicht werden. zurück

Jaja: »Und so steh ich nun am Fenster und schaue ihr nach«. Endlich fängt die Erzählung wieder an, war der Leser doch so gespannt, wie lange sich Heinis Blick an seiner Exfrau festhält, die sie schon am Beginn war, was aber verschwiegen wurde, um den Leser aufs Kreuz zu legen.
Warum einfach, wenns auch umständlich geht? Muss doch so sein, denn Uli weiß gar nichts zu erzählen in seiner matschigen Gefühlsunseligkeit! Frau weg, und er steht eine geschlagene Stunde gedankenversunken herum – DIE Gedanken hätte ich gerne gelesen (oder besser doch nicht bei diesem stümpernden Ich-Erzähler), die in die gnadenlose Erkenntnis münden, dass er keinen Sinn in den Ereignissen laber laber laber (wo er doch alles ahnte und wusste) … zurück

Als das Telefon klingelt, schreckt der bereits stehende Uli auch noch hoch statt auf und nennt Susanne dann Gott, weil er so blöd ist zu glauben, sie würde anrufen, obwohl er doch mehrfach behauptete zu wissen, dass ihr Abschied endgültig ist! Einen Beinahhecht über ein Bett kann ich mir nicht vorstellen, und wieso ein Hörer in einer Ladestation stecken soll, gleich gar nicht! Die Sprechmuschel schlummert wohl unter dem Bett in ihrer eigenen Ladestation. Gemeint ist wohl ein Mobilteil oder auch Telefon. Aber was solls!
Kryptisch ist das hilflose Komma nach Bett, und was die kryptische meine Seite bedeutet, wenn er übers Bett beinahhechtet statt aufs Bett, will sich mir nicht erschließen: Ich nehme einfach einmal an, dass das Telefon im Schlafzimmer steht, damit man immer erreichbar ist, man also bequem vom Bett aus danach greifen kann. Warum also übers Bett auf den Boden hechten? zurück

So, der zerstückelte Rest jetzt in einem Aufwasch! Immerhin folgt jetzt endlich einmal etwas weniger Langweiliges, weil noch jemand anders redet als der um Worte vollumfänglich verlegene Heini Uli:
Warum ruft Uli das hoffend? Was ist das für eine verschnarchte Information, hat er Susanne doch zwei Fragezeichen angehängt, die genau das bedeuten, darüber hinaus das Hoffen im vorigen Abschnitt bereits genannt war? Und dass es um Ulis Leben gehe, ist pubertärer Kitschgipfel! Wäre dem so, hätte er besser versucht, sich ins Sterbebett zu legen, aus dem nur der Susannegott ihn hätte erlösen können!
Zum Glück ruft die nicht an (obwohl das nach dem bisherigen Kitschgeraffel durchaus zu befürchten gewesen wäre: Endlich eine positive Überraschung!), sondern ein Dauerlaufkumpel namens Gerd. Folge: Ulis Gesicht fällt in Scherben, und er schüttelt den Kopf, dass die Scherben nur so durchs Schlafzimmer flirren! Welch Trümmerhaufen von schrägem Bild: Wie verhärtet müssen die Gesichtszüge sein, damit sie in Scherben fallen können? Und gar ein Gesicht – da bleiben doch vorne nur noch Knochen übrig!
Zum Kitschchor gesellt sich jetzt noch der – von Sprachmüden gerne einfallslos bemühte – Herzschmerz. Neu ist, dass der qualitätsmäßig gleichzusetzen ist mit Rückenschmerz (Richtig: der Knacks beim Beihnahhecht übers Bett).
Unser Heini Uli wiegelt ab, weil er nicht mit Gerd reden will – aber der wollte doch mit ihm dauerlaufen?! Da redet man doch nicht miteinand, im Gegenteil: Man stöpselt sich die Ohren zu, um nicht den Vogellärm zu hören oder die allfälligen Sirenen und Motorgeräusche oder gar das Hecheln der Mitläufer! Wäre doch optimal gewesen!
Immerhin kann Uli jetzt medizinische Gründe nennen. Gerd sondert daraufhin eine Machozote ab: Männer um die 50 denken immer nur an das eine, woran immer alle Männer denken. Ist auch Klischee, passt trefflich zu den anderen, und besonders zu Uli, der diesen Kumpel ja freiwillig hat.
Peinlich geht’s weiter mit der nächsten Plattitüde: Mit fünfzig (oder sechzig, siebzig, achtzig usw.) geht das Leben ja erst richtig los. Ächz&Stöhn!
Wegen seinem Dummspruch geht’s in Ulli jetzt endgültig und vollendet drunter und drüber: Da versucht er eine Erkenntnis zu überspielen, die keine Erkenntnis ist, da sie seinen Geist beschleicht, also noch gar nicht da ist, und die überdies in ihrer Nochnichtdaheit sein Herz zerbricht. Scherben über Scherben und immer noch kein Ende! Zäh ist er, dieser Heini!
Zum Abschluss hämmert es hinter seiner Stirn! Hör mal, wer da hämmert: Das ist die Erkenntnis, die schließlich seinen Geist doch noch erfolgreich beschlichen hat und diesen dazu bringt, dass er Ulis Augen dazu überredet, doch mal in den Spiegel zu schauen: Kein Gesicht mehr, und Herz auch noch kaputt! Da sieht Uli mit seinen pubertären 50 Jahren plötzlich ganz schön alt aus! zurück

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