Anzeige
StartseiteTextkritikTextkritik: Aberwitziges Wörterquälen

Textkritik: Aberwitziges Wörterquälen

Ein Text wird nicht besser oder gar literarischer, wenn man ihn mit überflüssigen und unlogischen Wörtern aufpumpt. Mit einem lauten Knall fliegt er unserem Textkritiker Malte Bremer um die Ohren.

Denn wie lautet nochmal eine der wichtigsten Regeln bei der Arbeit am eigenen Text?

Die Befreiung

von Micha Friedrich
Textart: Prosa
Bewertung: 0 von 5 Brillen

Schleichend zogen sich die wenigen Sonnenstrahlen zurück, die tagsüber die Kellerregale in fahles Licht getaucht hatten. Die Kellerluft schien kurz klarer zu werden, keine Staubschlieren waberten mehr in den Lichtkegeln. Doch rasch verschluckte dann lochschwarze Finsternis diesen Augenblick der Klarheit und ich stand allein im dunklen kalten Keller.

Er kam immer erst, nachdem es dunkel geworden war. In der ohrenbetäubende Stille hörte man sogar sein leises Hantieren, oben an der Kellertüre, gefolgt von schlurfenden Schritten, die vorsichtig im Dunkel die Kellertreppe hinab tappten, das Licht hat noch nie funktioniert. Die Türe öffnete sich und ich konnte schemenhaft seinen Schatten in der Türe stehen sehen, umrahmt vom diffusen Licht, das von der offenen Kellertüre oben herunter fiel. Im ersten Moment der Nachtblindheit tastete seine rechte Hand nach dem Lichtschalter, der auf der rechten Seite montiert war. Als er das Licht eingeschaltet hatte, blinzelte er, geblendet von so viel Helligkeit, die sich von der Deckenlampe ausgehend im ganzen Raum verteilt hatte. Er sah mich an.

Das war immer das Erste was er tat. Manchmal frage ich mich heute noch, was er wohl damals in mir gesehen hat. Aus seinen Blicken konnte ich niemals schlau werden. Die waren ernst, konzentriert. Andererseits lag in ihnen auch eine fast kindische Vorfreude, wie ein fernes nachhallendes Echo der längst verklungenen Weihnachtsvorfreude seiner Knabenjahre. Ich erinnere mich gut, wie er oft stundenlang einfach nur dagesessen war und mich angestarrt hatte. Auch ich stand dann ganz Still und rührte mich keinen Millimeter. Seine Gedanken schienen zu tasten, zu formen, sie spielten alle möglichen Welten durch. Manchmal dachte ich, sie rufen zu hören, sie riefen mich an, wie von weitem, wie über das Tosen eines rauschenden Stromes, der unüberwindlich zwischen uns floss und seine Gedanken von meinen trennte. Und ich sehnte mich nach seinem Rufen und wir liefen den reißenden Fluss entlang eine Furt zu suchen, dabei ließen wir uns nie aus dem Sinn. Doch die Strömung hatte den Fluss tief in das zerfurchte Bett der tönenden Unendlichkeit gegraben und nun schlängelte er sich durch Raum und Zeit und wir verloren einander. Hat er mich überhaupt erkannt, wusste er dass ich es bin, den er hier tastend fühlte? Ich glaube, er hat es geahnt, sehr unscharf, aber gesehen hat er mich noch nicht, seine Gedanken waren des Sehens noch nicht fähig damals. Den Tastsinn erweiternd, dehnte er sein inneres Fühlen in den Äther aus, ist da jemand? Wer ist da? Doch die schemenhaften Umrisse konnten noch nicht zu fester Form sublimieren, zu flüchtig, zu blass waren sie.

Von Zeit zu Zeit umkreiste er mich in dem engen kalten Keller, wie eine Zuchtstute, musterte mich von oben bis unten, begleitet von einem unverständlichen Murmeln, die Pfeife in seinem Mundwinkel erlaubte keinerlei artikulierte Laute. Wie eine im Kreis fahrende Dampflok blies er den Rauch in die Luft, wo er sich sofort ausbreitete und überall verteilte. Eines Abends war sein Blick anders, entschlossener. Er wartete nur wenige Augenblicke bevor er Hand an mich legte und dabei sang er ein Lied vor sich hin, ich werde das nie vergessen, man konnte es fast fröhlich nennen. Noch heute höre ich diese Melodien oft und immer kribbelt es in meinen Beinen, aus welchen mir nach diesem Abend die Taubheit gewichen war. Es war wie ein Zauber damals. Ich hatte mich lange Zeit sehr bedrückt gefühlt, gefangen, eingemauert in der bedrückenden Enge der Nichtexistenz. Die Platzangst war unerträglich. Wenn ich nur schreien hätte können, aber ich brachte keinen Ton heraus.

Dann kamen wieder die Phasen des Wartens, des Sitzens. Tagelang kam er nach Einbruch der Dunkelheit, setzte sich vor mich hin betrachtete mich, schien unschlüssig, zögerlich, ja fast resigniert. Ich möchte sogar sagen, die Blicke waren kalt und teilnahmslos. Er hatte mich verloren, er hatte sich verloren, der schöpferische Hauch ging ins Nichts, fand keine Dichte, um kondensieren zu können. Seine Gedanken waren still, kein Tasten und Fühlen, sie breiteten sich im Raum aus, wie der Rauch aus seiner Pfeife, wurden dünner und dünner, bis sie lustlos verpufften und ein abgestandener fader Einfall ihn aus dem Keller scheuchte. Das ging noch einige Tage so, bis er schließlich gar nicht mehr kam, für sehr lange Zeit und mich der tauben Finsternis des gedankenleeren Raumes überließ.

Dann, eines Tages, es muss im Winter gewesen sein, das Licht fiel nur sehr schwach in mein karges Gefängnis und tauchte den Kellerraum in geisterhaftes Halbdunkel, hörte ich es rumoren und etwas polterte die Treppe herunter. Er stürzte durch die Türe herein und sah mir genau in die Augen. Das hat er vorher noch nie getan, er hatte es tunlichst vermieden, mir auch nur ins Gesicht zu sehen. Jetzt sah er mich direkt an und es war, als ob er mich erkannte, als ob er einen lange vermissten Freund das erste Mal seit Jahren wieder sah. Klarheit leuchtete aus seinen Augen und ich hörte in der Stille, dass er meinen Namen nannte, einen Namen, den ich nie gehört hatte. Und trotzdem war es mein Namen, ohne Zweifel, ich fühlte es, jedes Molekül in mir wusste es, hatte es immer gewusst. Er musterte mich. Fast liebevoll wanderten seine Augen über mich, jede Falte nahm er in Augenschein, jedes Haar, jede Wölbung, jede Unebenheit. Seitdem ruhte er niemals mehr. Er sortierte meine Kleider, kämmte meine Haare, gab mir meinen Blick, den Blick, der ihn ansah und der seinen Genius widerspiegelte. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin, er hat mir neues Leben eingehaucht. Sein Wille und sein Geist waren es, die mich zuerst gesehen haben, noch bevor ich meiner Selbst bewusst gewesen bin. Wie das diffuse Sonnenlicht in dem Verlies waren meine Gedanken noch Teil des großen Ganzen, unverdichtet, aufgelöst in der Vielheit, umherirrend, suchend nach sich selbst, nach Klarheit und Bewusstheit. Ich wollte gefunden werden und brauchte jemanden der mich findet und mich erlöst, der mich zu mir selbst führt, der dem Chaos ein Ende macht und Ordnung stiftet, Sinn bringt. Und der mir meinen Namen nennt. Er hat mich in seinen Gedanken gefunden, mich als Teil seines Wesens erkannt. Nur als Manifestation seiner ureigensten Sehnsüchte und Wünsche bin ich für ihn das Nennbare geworden und aus der Vergessenheit des ewigen Kreislaufs der unbewussten Natur getreten. Erst dadurch wurde ich aus dem Marmor befreit und von leidenschaftlich liebender Menschenhand aus dem namenlosen Stück Stein gehauen scheint nun zeitlos blühend die Schönheit der Aphrodite für die Menschheit alle Tage, die noch kommen werden.

© 2014 by Micha Friedrich. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Aufgeblasen, inhaltlich völlig missraten!

Und alles bloß, um am Ende dem Leser ein Ätsch-Bätsch zu präsentieren: Es ist alles ganz anders, als du es dir vielleicht gedacht hast.

Die Kritik im Einzelnen

Kümmern wir uns zunächst einmal um die verkorksten Lichtverhältnisse:
Dass Sonnenlicht immer nur tagsüber strahlt, ist bekannt, sodass tagsüber getrost gestrichen werden kann; dass durch normale Kellerfenster nur wenig Licht kommt, ist nicht weniger bekannt, darf also ebenfalls weg. Warum dieses Licht aber nur die Kellerregale beleuchtet haben soll, ist unerfindlich und stimmt zudem nicht: Schließlich werden auch die Staubschlieren beschienen! Zudem: Sollten das jedoch tatsächlich Staubschlieren gewesen sein, dann lägen diese träge am Boden. Was die Ich-Erzählerin gesehen hat, sind tanzende Staubkörner! Und wenn man diese nicht sieht, dann sieht man was? Klarheit – behauptet die Ich-Erzählerin!

Letztlich werden hier die Sonnenstrahlen missbraucht, um den darob erstaunenden Lesern mitzuteilen, dass es in diesem Keller Kellerregale gab … auch wenn die im weiteren Text keinerlei Rolle mehr spielen! Es hätten folglich genau so unsinnvoll Skistiefel sein können. Was zu erwähnen unbedingt notwendig gewesen wäre, fehlt stattdessen: Dieser Raum im Keller hat eine Tür!

Diese seltsame Klarheit wird verschluckt durch lochschwarze Finsternis … was bitte soll das sein? Schaut man in ein Loch und kann den Boden nicht sehen, dann ist es da unten finster. Das Loch jedoch konnte man problemlos sehen, man wusste schließlich, dass man in ein Loch schaut! Ganoven steckte man früher gerne in finstere Löcher, aber die waren nicht schwarz, sondern eben finster. Das war’s dann schon! Löcher haben nichts mit Schwarz zu tun, sonst sähe man die Löcher in seinen schwarzen Strümpfen nicht!

Dass es im Keller kalt ist, bedarf keiner Erwähnung: Niemand denkt bei Keller an Wärme!

Nebenbei: Nach Klarheit sollte ein Komma stehen, schließlich folgt keine Aufzählung, sondern ein neuer Satz! Steht aber kein Komma vor diesem und, erwartet man eine Aufzählung, denn nur in diesem speziellen Fall darf vor und kein Komma stehen!

Jetzt geht’s den Zeitverhältnissen an den Kragen:
Die Sonnenstrahlen zogen sich schleichend zurück (ein langsamer Vorgang). Die Kellerluft scheint kurz klarer zu werden (ein kurzer Vorgang), und die Dunkelheit verschluckte rasch diese Klarheit. Verschlucken ist prinzipiell ebenfalls ein kurzer Vorgang – (es sei denn, man verschluckt sich). Damit wird rasch überflüssig. Da Verschlucken aber schnell ist, die Sonnenstrahlen sich aber davon schleichen, kann die Dunkelheit nur im gleichen Tempo zunehmen. Das hängt halt irgendwie zusammen …

Zu guter Letzt stand ein Ich allein im dunklen kalten Keller … tatsächlich stand es schon vorher allein im Keller, denn Staubkörner (oder auch Staubschlieren) und Sonnenstrahlen und Finsternis stehen nicht, allenfalls Kellerregale oder Skistiefel. Was bleibt? Das bleibt:

Langsam zogen sich die Sonnenstrahlen zurück, die den Keller in fahles Licht getaucht hatten. Die Luft schien klarer zu werden, denn ich sah keinen Staub mehr in den Lichtkegeln tanzen. Es wurde ganz dunkel. zurück

Jetzt geht es erneut den Lichtverhältnissen und zusätzlich den Raumverhältnissen und den Bewegungen an den Kragen, denn auch da stimmt es hinten und vorne nicht!

Nach der allgemeinen Einführung, dass da ein Er immer nach Einbruch der Dunkelheit in den Keller zu kommen pflegt, folgt das breitgetrampelte und völlig überflüssige Bild von der ohrenbetäubenden Stille, und in dieser hörte man (Ich-Erzählerin & Co? Wer war denn da noch?) sein leises Hantieren oben an der Kellertüre. Dass diese Tür geöffnet wurde, wird nicht gesagt, obwohl das lauter sein müsste als das Hantieren … warum ihn nicht gleich die Tür öffnen lassen?

Anschließend hört sie schlurfende Schritte tappen

Auweia! Schlurfen und tappen sind zwei Gangarten, die einander völlig ausschließen, denn beim Schlurfen werden im Gegensatz zum Tappen die Füße eben gerade nicht angehoben! Zudem können Schritte weder tappen noch schlurfen – das kann nur der Eigentümer der Gehwerkzeuge!

Wir erfahren, dass das Licht für die Kellertreppe noch nie ging – das bedeutet, eine Beleuchtung wäre zwar installiert, hätte aber nie funktioniert? Was ein Blödsinn!
Aber lassen wir den Er im Dunkel einfach mal die Treppe hinunter schlappen (es wird oberspannend): Jetzt öffnet sich nämlich die Türe! So steht’s geschrieben. Oben wird hantiert, dann geht’s treppab, dann wird die Tür oben geöffnet, sein Teleskoparm hat’s möglich gemacht.

Hätte zu Beginn die tumbe Ich-Erzählerin eine sonnenbestrahlte Tür erwähnt statt der doofen Kellerregale, wäre alles in bester Ordnung – so aber ist die einzig dem Leser bekannte Tür die Kellertür oben!

Es kommt noch schlimmer (aber was heißt hier noch schlimmer): Die Tür öffnet sich also, und jetzt sieht die Ich-Erzählerin einen schemenhaften Schatten in der Tür stehen (pardon: Türe – soviel Gediegenheit darf ruhig sein, auch wenn es den Text nicht rettet.). Was aber ist ein schemenhafter Schatten? Der Schatten eines Schemens? Das Schemen eines Schattens? Der Schatten eines Schattens, der dann schemenhaft schemt?

Tatsächlich sieht sie nur den Umriss einer von hinten angeleuchteten Gestalt. Das wiederum kann sie nicht sehen, denn sie weiß ja, dass die zum Umriss gehörende Gestalt die Treppe im Dunkel hinunter gestiegen ist. Und dunkel soll es gewesen sein, obwohl von der offenen Kellertür oben (die ja nie geöffnet wurde!) Licht bis nach unten fällt?
Als Lösung bleibt dann letztlich wieder nur der Teleskoparm: Der Mensch hantiert an der Tür, macht sie auf, geht hindurch, macht sie wieder zu, damit er im Dunkel vorsichtig schlurftappen kann, macht dann von unten die Tür mit besagtem Spezialarm auf, damit sein Schemen nach dem Öffnen der unteren Tür auch schön schattenhaft zur Geltung kommen kann … Herr, schmeiß Hirn ra!

Jetzt überfällt den armen Tropf Nachtblindheit (Ha: Ein weiterer Beweis, dass es auf der Treppe eben nicht dunkel war!), und obwohl er jede Nacht kommt (erfährt man später), tastet er nachtblind mit der rechten Hand (!) nach dem Lichtschalter, der – man liest es und traut seinen Augen nicht – auf der rechten Seite montiert war.

Zunächst einmal kann auf einer Seite nichts montiert werden, denn eine Seite hat kein oben drauf! Der Schalter müsste also an der Seite montiert werden.

Jetzt: Wenn ich von einer rechten Hand irgendeiner Person spreche, meine ich dessen rechte Hand, egal, wo und in welcher Lage diese Person sich befindet. Soweit ist alles klar.

Wenn ich aber von einer rechten Seite spreche, ist das abhängig von meiner Stellung im Raum. Die Ich-Erzählerin steht dem Schemenschatten gegenüber (sonst könnte sie weder Schemen noch Schatten noch Licht sehen): Sie schreibt, dass der Schalter an der rechten Seite montiert ist; was zur Folge hat, dass unser Schemenschatten (aus seiner Sicht) mit seinem rechten Arm auf der linken Seite nach dem Schalter tastet …

Was soll dieses umständliche Gefasel? Warum darf Schattenschem nicht einfach nach dem Schalter tasten und das Licht anmachen und damit juck? Wozu dieses aberwitzige Wörterquälen in einem literarisch-sein-wollenden Text?

Anschließend werden wir informiert, dass sich jedesmal das Licht von der Deckenlampe ausbreitet, nachdem es eingeschaltet worden war, dass es hell wurde, dass Schattenschem erst geblendet blinzelte und dann die Ich-Erzählerin ansah. Nichts davon wäre notwenig, außer vielleicht, dass das Licht tatsächlich anging – in diesem Haus weiß man ja nie …

Was bleibt? Das bleibt:

Er kam immer erst, nachdem es dunkel geworden war. Ich hörte, wie er die Kellertür öffnete und langsam die Treppe herab kam. Er öffnete die Tür zu meinem Raum, und ich konnte seinen Umriss auf der Schwelle sehen, umrahmt vom diffusen Licht, das durch die offene Kellertüre herunterfiel. Seine rechte Hand tastete nach dem Lichtschalter. Geblendet von der Helligkeit blinzelte er, dann sah er mich an.

zurück

Genug korrigiert! Eventuell noch interessierte Leser mögen sich die Zeit nehmen, den restlichen Text selbst zu entmüllen.

Zum Schluss noch einmal und immer wieder: Die Hauptregel für alle Autoren und die, die es werden wollen, lautet:

Streichen!
Streichen!
Streichen!

zurück

© 2015 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.