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Simone Regina Adams: »Schreiben lernen heißt Zuhören lernen«

Simone Regina Adams (Foto: Margrit Müller)
Simone Regina Adams (Foto: Margrit Müller)

Seit vielen Jahren unterrichtet die Freiburger Autorin Simone Regina Adams literarisches Schreiben. Demnächst wird auch im Stuttgarter Schriftstellerhaus eine von ihr geleitete fortlaufende Schreibwerkstatt starten.

Wir haben mit Simone Regina Adams über die alte Frage gesprochen, ob man Schreiben wirklich lernen kann und warum sie selbst von der Arbeit mit ihren Teilnehmerinnen immer wieder begeistert ist.

literaturcafe.de: Frau Adams, zunächst einmal müssen wir die Frage klären, was literarisches Schreiben ist und wie Sie es in Ihren Kursen verstehen.

Simone Regina Adams: Literatur will den Leser nicht einfach informieren, sondern geradezu verführen – der zum Lesen verführte Mensch taucht idealerweise ganz in die erzählte Geschichte ein und fragt in diesem Moment nicht mehr nach der außersprachlichen Realität. Das ist eine völlig andere Art des Lesens als wenn wir die Zeitung durchblättern oder eine Bedienungsanleitung lesen. Dieser Gedanke klingt selbstverständlich, hilft den literarisch Schreibenden aber erstaunlich oft bei der Frage, warum bestimmte Geschichten nicht oder noch nicht »funktionieren« …

literaturcafe.de: Inwiefern? Wie unterscheidet sich literarisches Schreiben von anderen Arten des Schreibens?

Simone Regina Adams (Foto: Margrit Müller)

Simone Regina Adams,
wurde 1967 im Saarland geboren und lebt in Freiburg im Breisgau.

Seit 1995 arbeitet sie als Psychotherapeutin in eigener Praxis.2010 begann Sie das Studium der Literaturwissenschaft an der Fernuniversität Hagen und arbeitet hauptberuflich als Autorin.

Für Ihren Debütroman »Nashornvögel« und für den Roman »Die Halbruhigen« erhielt sie Stipendien des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg. »Die Halbruhigen« wurde zudem 2011 mit dem Werner-Bräunig- Preis ausgezeichnet.

Simone Regina Adams: … um eben diesen Illusionsraum des Erzählens zu schaffen, setzen wir beim Schreiben bestimmte Signale. Der Satzanfang »Es war einmal« ist zum Beispiel ein einfaches, altes Signal aus der Welt der Märchen. Er bedeutet: Lehn dich zurück, leg die Füße hoch, ich erzähle dir eine Geschichte. – Jede Geschichte, die wir erzählen, braucht Raum, um sich zu entfalten, Klarheit und auch die Leidenschaft des Schreibenden. Nur eine Geschichte, die uns selbst wirklich interessiert, wird auch die Leser interessieren. Und darüber hinaus braucht es eben auch eine Bewusstheit für die sprachlichen Signale, die wir setzen.

literaturcafe.de: Was ist das Wichtigste, was Autorinnen lernen sollten?

Simone Regina Adams: Von sich selbst und den eigenen Vorstellungen absehen zu können. Schreiben lernen heißt zunächst einmal Zuhören lernen. Es braucht genügend Offenheit, damit Geschichten überhaupt entstehen können. Und dann auch, damit wir überprüfen können, wie sie wirken. Deshalb zitiere ich in der Kursausschreibung Norbert Wiener, der zwar Mathematiker war, aber auch für uns Literaten etwas sehr Wichtiges betont hat: »Ich weiß erst, was ich gesagt habe, wenn ich die Antwort darauf gehört oder gesehen habe.«

literaturcafe.de: Immer wieder wird diskutiert, ob man Schreiben lernen könne oder ob es einfach eine Frage der Begabung ist. Wie lautet Ihre Antwort auf diese Frage?

Simone Regina Adams: Seit der Zeit des »Sturm und Drang« hält sich ja bei uns die Vorstellung des Künstlers als Originalgenie. Karl Valentin dagegen meinte »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.« Oder, noch anders Robert Gernhardt, als er gefragt wurde, wie ein gutes Gedicht beschaffen sein sollte: »Gut gefühlt / gut gefügt / gut gedacht / gut gemacht.«

Das Gleiche gilt auch für einen Prosatext: Die Begabung alleine reicht nicht, es gibt sehr viel Handwerkliches zu lernen. Musiker oder bildende Künstler kämen nie auf die Idee, dass ihre Begabung alleine ausreicht. Und natürlich gilt auch das Umgekehrte: Ein wirklich guter und damit auch bewegender Text ist mehr als nur handwerklich »gut gemacht«.

literaturcafe.de: Sie kündigen auch an, dass Autoren in Ihren Seminaren ihre Schreibgewohnheiten überprüfen können. Gibt es denn schlechte Schreibgewohnheiten?

Simone Regina Adams: Hilfreich ist es, überhaupt aus der Gewohnheit herauszukommen. Also neue Formen, neue Themen auszuprobieren. Dazu gibt es viele verschiedene Schreibimpulse, die ich zum Teil aus dem »Creative Writing« übernommen, zum Teil aber auch selbst entwickelt habe.

Eine typische »schlechte« Angewohnheit, wenn man so will, ist die Vorstellung, dass das, was man erlebt hat, auch genau so erzählt werden kann. Gerade Schreibanfänger sagen oft: »Aber es war doch wirklich so!« – für sie ist es manchmal schwer einzusehen, dass es nicht darum geht, wie es tatsächlich war, sondern darum, was beim Leser evoziert wird.

literaturcafe.de: Wer besucht den alles Ihre Schreibwerkstätten? Gibt es viele, die von einer Veröffentlichung träumen, oder haben die meisten diese Motivation gar nicht?

Simone Regina Adams: Manche träumen davon, manche sind auch schon auf dem Weg zu einer Veröffentlichung. Und manche schreiben wirklich nur für sich selbst und genießen einfach den Austausch und die Impulse, die es in einer fortlaufenden Gruppe gibt.

literaturcafe.de: Sie haben gesagt, dass die Arbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch Sie immer wieder begeistert.

Simone Regina Adams: Ja, sehr. Diese Kreativität, die unterschiedlichsten Texte, die über die Zeit entstehen und auch die »Aha-Erlebnisse«, die es in der Gruppe immer wieder gibt – die Begeisterung und Freude an alledem ist absolut ansteckend.

literaturcafe.de: Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Schreibseminar in Stuttgart. Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Wolfgang Tischer

Schreibseminar im Stuttgarter Schriftstellerhaus

Das Schreibseminar im Stuttgarter Schriftstellerhaus geht über insgesamt acht Wochenenden. Beginn ist am 10./11. April 2015, ein späterer Einstieg ist jedoch möglich. Alle weiteren Infos dazu auf der Website des Stuttgarter Schriftstellerhauses.

Weitere aktuelle Seminartermine finden sich zudem auf der Website von Simone Regina Adams.

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2 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag! Folgenden Satz fand ich besonders interessant: “Musiker oder bildende Künstler kämen nie auf die Idee, dass ihre Begabung alleine ausreicht.”
    Meiner Erfahrung nach meinen viele (angehende) Autoren, es reicht, eine interessante Geschichte zu haben, sie aufzuschreiben – und das war’s dann.
    Viele von den mittlerweile aus dem Boden schießenden Selbstpublizierer verzichten sogar auf Korrektorat und Lektorat, weil sie von ihrem Werk so begeistert sind.
    Ich schreibe seit sehr vielen Jahren und werde von Fachleuten als “begabt” bezeichnet. Habe ich eine Geschichte oder einen Roman geschrieben, fängt die Arbeit für mich erst so richtig an: ich lese, korrigiere, feile, ändere, streiche, lese erneut, korrigiere … Für diese Arbeit benötige normalerweise doppelt soviel Zeit wie für das Schreiben selbst.
    Und um endlich auf den zitierten Satz zurückzukommen: Ich habe eine Freundin, die ist weltweit anerkannte Pianistin. Und was macht sie, wenn sie keine Auftritte hat? Sie übt! Sie übt jeden Tag mehrere Stunden!
    Und dasselbe gilt auch für einen ernsthaften Autor: üben! Also: schreiben, durchlesen, korrigieren, verwerfen, neu schreiben, Textstellen verschieben, Dialoge auf deren Spannung überprüfen.
    Gutes Schreiben ist definitiv nicht nur Handwerk, sondern sehr viel Üben – verbunden mit einer gesunden Portion Selbstkritik beim Lesen seiner eigenen Werke.
    Beste Grüße vom Ammersee!
    Renate Blaes

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