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»Sehr geehrter Michael Krüger« – André Spiegel antwortet auf die Rede des Verlegers

Hanser-Verleger Michael Krüger bei seiner Rede auf den Buchtagen 2012Die Buchbranche hat nicht den Ruf, der Zukunft und den technischen Möglichkeiten gegenüber besonders aufgeschlossen zu sein. Wie jedes Jahr traf man sich in der vergangenen Woche auf den Buchtagen in Berlin. Diesmal hielt Michael Krüger, der Verleger des Hanser Verlags, die Eröffnungsrede.

Krüger schien alle Vorurteile zu bestätigen. Doch so einfach war die Rede des Verlegers nicht strukturiert. Er baute unzählige Paralipsen und andere rhetorische Stilmittel ein, die jeden Latein- und Griechischlehrer erfreut hätten.

Doch ein Eindruck blieb: Michael Krüger sieht im Internet den Anfang vom Untergang der Kultur.

Der Informatiker und Autor André Spiegel antwortet dem Hanser-Verleger.

Sehr geehrter Michael Krüger,

eigentlich kommt es mir nicht zu, auf Ihre Rede zu den Buchtagen 2012 eine Antwort, eine »Replik« zu schreiben, denn ich habe keinen Namen, weder auf dem Papier noch auf dem Bildschirm. Aber Ihre Rede hat mich erschüttert. Erschüttert, weil ich einen Heidenrespekt vor Ihnen habe als einem großen Verleger und Geistesmenschen, einem homme de lettres. Die Bücher aus Ihrem Verlag haben meine geistige Entwicklung beeinflusst wie kaum etwas sonst auf der Welt. Seit über fünfzehn Jahren lese ich Ihre Literaturzeitschrift, die »Akzente«, durch die ich auf Autoren aufmerksam geworden bin, die ich sonst nie kennengelernt hätte, und ohne die meine geistige Existenz um so vieles ärmer wäre.

Ich bin erschüttert, dass Sie in der Digitalisierung nichts anderes zu sehen vermögen als den Untergang der Kultur.

Wenn eine 25jährige Göre kräht, Kunst sei Scheiße, dann nehmen Sie das als Rechtfertigung, sich in Ihrer Ablehnung des Internet, und der Gegenwart überhaupt, zu verbarrikadieren. Wenn die Utopisten kühne Entwürfe der Datenexistenz an den Himmel zeichnen, dann jammern Sie über den Verlust von Individualität und Kontingenz, als wäre es nicht schon immer die Aufgabe der Kunst gewesen, das Leben in seiner Einzigartigkeit und Störrigkeit aufzuspüren und zu verteidigen, möge sich die Welt auch noch so radikal ändern.

Veränderungen, besonders wenn sie radikal sind, haben es an sich, dass die überkommenen Antworten und Rezepte nicht mehr so recht auf die Realität passen wollen. Also wird überlegt, entworfen, diskutiert. Ihr Beitrag zur Debatte besteht freilich nur darin, dass Sie die Anders-Denkenden, die Neu-Denkenden zu Witzfiguren verzerren, die sich Semmel und Wurst aus gutdotierten Autorenverträgen bezahlen lassen, um weiter kostenlose Musik hören zu können. Und dann erklären Sie, dass leider alles so bleiben müsse, wie es ist: Verleger und Buchhändler müssen schaufelweise Schund unters Volk streuen, um ein paar wenigen Auserwählten die Miete querfinanzieren zu können. Nur so ist Kunst möglich.

Aber da halten Sie inne. Sagen, dass Sie diese reaktionäre Polemik schon vor Monaten geschrieben haben, und dann zerknüllt und in den Papierkorb geworfen. Man atmet auf. Jetzt kommt’s, denkt man.

Stattdessen erwägen Sie, einfach zu schweigen. Fünfzehn Minuten; wenn’s sein muss, fünfundvierzig Minuten lang.

Wow. Der Effekt wäre sicher nicht schlecht gewesen. Leider warten wir auf etwas anderes. Auf Worte nämlich. Ideen. Konzepte. Die Leute, falls Sie es nicht bemerkt haben, hängen an Ihren Lippen und wollen hören, wie unsere Gesellschaft mit der größten technischen Umwälzung seit Erfindung des Buchdrucks umgehen kann. Ohne sich dabei zu verlieren, ohne von Null anfangen zu müssen. Wie wir damit umgehen, dass sich die Musik, der Film, das geschriebene Wort von ihren physischen Trägern lösen und für jedermann überall auf der Welt problemlos und augenblicklich verfügbar werden. Womit wir uns leider, aber unabdingbar, sämtliche Probleme der Lizenzierung, des Kopierschutzes und so weiter einhandeln, mit anderen Worten: wie man mit Dingen umgeht, die man nicht anfassen kann.

Sie, Herr Krüger, müssten uns, die wir vielleicht noch etwas mehr Zukunft haben als Sie, dabei helfen, diese Antworten zu finden. Wir haben sie nämlich nicht.

Aber Sie haben ja auch nicht geschwiegen. Sie haben zum dritten Mal angesetzt und uns erzählt, wie Sie Verleger geworden sind. Wie Sie mit Druckerschwärze an den Fingern in die Freie Universität gegangen sind. Als müssten Sie eine untergegangene Welt beschwören, zählen Sie die Namen derjenigen auf, die Sie verlegt haben und mit denen Sie zusammengearbeitet haben.

Es sind lauter Namen, von denen man bestenfalls Spurenelemente im Internet findet. Wer heute Ilse Aichinger oder Oswald Wiener, Peter Rühmkorf oder Paul Celan, Ingeborg Bachmann oder den großen Elias Canetti auf einem elektronischen Display lesen möchte, fühlt sich ungefähr so, wie sich Wolfgang Hilbig beim Abschreiben der Gedichte im Buchmessen-Kabuff gefühlt haben muss.

Sie schließen Ihren Vortrag, indem Sie uns mit Durs Grünbein daran erinnern, was Poesie ist, die, wenn es ihr gelingt, »hin und wieder das schlagende Bild findet, das auf der inneren Retina bleibt und einen lebenslang schützt und begleitet.«

Pardon, sehr verehrter Michael Krüger, aber das haben wir gewusst. Wir leben davon. Und wir sind, wie alle Menschen vor uns, auf der Suche danach, wissend um seine Kostbarkeit und seine Zerbrechlichkeit. Aber wir suchen danach in einer Welt, die uns, anders als Ihnen, als ein unendlicher Möglichkeitsraum erscheint, und vor der wir uns, anders als Sie, nicht verstecken wollen.

Und genau da läge, möchte ich meinen, Ihre Verantwortung. Ich habe im Internet nur selten etwas gefunden, das es im Niveau mit Ihrer Zeitschrift »Akzente« aufnehmen könnte.

Aber das liegt nicht am Internet.

Es liegt an Ihnen.

Hochachtungsvoll,
André Spiegel

 

André Spiegel ist Informatiker und Autor und lebt seit einiger Zeit in New York, wo ihn das Echo von Michael Krügers Rede erreicht hat — und wo die Leser in der U-Bahn sehr viel selbstverständlicher über ihre Bildschirme gebeugt sind als in Deutschland.
Der Autor twittert unter @drmirror und bloggt unter drmirror.posterous.com, wo dieser Text zuerst erschien. Vielen Dank an André Spiegel, dass wir den Brief auch hier veröffentlichen dürfen.

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1 Kommentar

  1. Ich fürchte, ich habe es genauso gelesen, wie Herr Spiegel.
    Und ich glaube noch immer nicht, dass Michael Krüger es eigentlich so denkt.
    Nur, warum er es so gesagt hat, daß ich immer noch nicht…

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