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Peter-Stamm-Verfilmung: Agnes lebt!

Odine Johne als Agnes (Foto: Neue Visionen Filmverleih)
Odine Johne als Agnes (Foto: Neue Visionen Filmverleih)

Agnes ist tot. Eine Geschichte hat sie getötet. Mit diesen beiden Sätzen beginnt Peter Stamms Roman »Agnes« aus dem Jahre 1998. Doch Agnes lebt. Ein Film hat sie 2016 wieder reanimiert.

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»Agnes« war der Romanerstling des Schweizer Autors Peter Stamm. Heute ist daraus eine Art moderner Klassiker geworden. Seit 2013 ist das Werk Sternchenthema an Baden-Württembergischen Gymnasien.

Das Buch spielt in Chicago. Der namenlose Ich-Erzähler und Sachbuch-Autor ist in die USA gereist, um über Luxuseisenbahnwagen zu recherchieren. In einer Bibliothek trifft er die wesentlich jüngere Agnes, und es entsteht eine Liebesbeziehung. Irgendwann fragt ihn Agnes, warum er nur Sachbücher und keine Romane schreibe und fordert ihn auf, über sie und ihre Beziehung zu schreiben. Peter Stamm treibt in »Agnes« ein raffiniertes Spiel mit den Wirklichkeiten, und es bleibt der Leserin oder dem Leser überlassen, welche Handlung man als »seine« Wirklichkeit betrachten will.

Agnes (Odine Johne) und Walter (Stephan Kampwirth). Glückliche Liebe - oder alles nur eine Romangeschichte? (Foto: Neue Visionen Filmverleih)
Agnes (Odine Johne) und Walter (Stephan Kampwirth). Glückliche Liebe – oder alles nur eine Romangeschichte? (Foto: Neue Visionen Filmverleih)

Johannes Schmid hat »Agnes« nun verfilmt. Das Drehbuch schrieb er zusammen mit Nora Lämmermann. Peter Stamm hat das Projekt am Rande begleitet, war aber nicht unmittelbar Mitglied des Filmteams. 106 Minuten dauert der Film. Das ist nicht sehr viel kürzer als man für die Lektüre des Romans benötigt. Die beiden Drehbuchautoren lassen die Geschichte komplett in Deutschland spielen und verzichten auf den USA-Hintergrund. Es ist erstaunlich, wie gut das funktioniert. Mit Odine Johne und Stephan Kampwirth wurden zwei Darsteller gefunden, die die seltsame Liebesbeziehung auch in der filmischen Umsetzung perfekt verkörpern. Die Figur der Agnes bleibt im Buch mysteriös und nicht vollständig durchschaubar. Odine Johne vollbringt die herausragende schauspielerische Leistung, diese Figur auch im Film entsprechend anzulegen. Für ihre Rolle erhielt sie 2016 beim Filmfestival Max Ophüls Preis die Auszeichnung als beste Nachwuchsdarstellerin.

»Es gibt keine gemeinsame Realität«
Hören Sie hier ein Interview mit Odine Johne über ihre Rolle »

Der Namenlose Ich-Erzähler des Romans hat im Film den Namen Walter bekommen. Walter heißt auch die Hauptfigur in Max Frisch’ Roman »Homo faber«, der ebenfalls eine Liebe zwischen einem älteren Mann und einer jüngeren Frau beschreibt und der ebenfalls Sternchenthema in Baden-Württembergs Gymnasien ist.

Die nüchterne und neutrale Erzählweise, die Stamm-Texte auszeichnet, findet sich im Film wieder, der zwar ebenfalls direkte Ironie vermeidet, auf der anderen Seite dennoch gekonnt mit imaginären kitschigen Momenten spielt. Erlebtes und Erdachtes mischt sich hier ebenfalls nahtlos und selbstverständlich, ohne plumpe filmische Mittel einzusetzen.

Der Film setzt sich in vielen erzählerischen Details vom Buch ab und bleibt ihm dennoch unglaublich nahe. Er lässt genauso alle Möglichkeiten offen, fügt am Ende sogar noch eine erstaunliche zusätzliche Interpretationsebene hinzu, die es im Buch nicht gibt.

Der Film ist – genauso wie das Buch – nichts für Zuschauer, die an die Hand genommen werden wollen. Hier bleibt nicht nur das Ende offen.

Viele Schüler und Lehrer werden sich den Film nun ansehen wollen oder müssen, da er den Interpretationsspielraum rund um Agnes gekonnt und sehenswert erweitert. Der Filmverleih stellt sogar entsprechendes Unterrichtsmaterial als PDF-Datei bereit.

Regisseur Johannes Schmid, Drehbuch-Koautorin Nora Lämmermann, die Darsteller Odine Johne und Stephan Kampwirth und das gesamte Filmteam haben es geschafft, den Agnes-Stoff 18 Jahre nach dem Roman perfekt wiederzubeleben.

Wolfgang Tischer

AGNES, Regie: Johannes Schmid, Drehbuch: Nora Lammermann, Johannes Schmid, nach dem Roman »Agnes« von Peter Stamm, mit Odine Johne, Stephan Kampwirth, Sonja Baum u.a., Deutschland 2016, 106 Minuten, Eine Produktion von Lieblingsfilm in Koproduktion mit dem WDR und in Zusammenarbeit mit A Track Film. Im Verleih von Neue Visionen.
KINOSTART: 2. Juni 2016Kinofinder: Hier läuft der Film

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