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Ein neuer Buchstabe im deutschen Alphabet: Das große ß

Großstatt mit großem ß»In der deutschen Rechtschreibung ist das ß durchaus unentbehrlich, und gegen seine Beseitigung, die in der neuen Schweizer Schulschrift leider durchgeführt ist, sollte sich jeder wehren.« Das schrieb der berühmte Typograf Jan Tschichold in seinem MEISTERBUCH DER SCHRIFT bereits 1952. Tschichold, der 1974 starb, würde sich freuen, denn das ß hat nicht nur die Rechtschreibreform überstanden, sondern bereits seit 4. April 2008 gibt es das ß nun auch offiziell als Großbuchstaben.

Das Problem ist nur: Man kann es noch nicht schreiben oder tippen, denn in den aktuellen Schriftsätzen ist dieser Buchstabe noch nicht vorhanden. Er sieht irgendwie so aus, wie ein Mittelding zwischen ß und B und nimmt offiziell nach ISO-Norm die Nummer U+1E9E im Unicode-5.1-Zeichensatz ein. Und auch auf den deutschen Tastaturen ist ein großes ß nicht vorhanden. Drückt man Großschreibtaste und ß, so erhält man ein ? angezeigt. Ob sich das Tastaturlayout tatsächlich wegen eines neuen Buchstabens ändern wird?

Denn so oft braucht man ein großes ß ja im Alltag nicht. Es käme nur dann zum Einsatz, wenn man ein Wort mit ß in Großbuchstaben (Majuskeln) oder Kapitälchen setzt. Bislang werden aus dem ß zwei große S, was absolut korrekt ist, wie unten noch zu lesen sein wird. Normalerweise wird davon abgeraten, Wörter in Großbuchstaben zu setzen, weil Wörter in Großbuchstaben für den Leser schwerer zu erkennen sind. Sie müssen im wahrsten Sinne des Wortes ent-ziffert werden.

Nur der Leseanfänger in der ersten Klasse liest ein Wort Buchstabe für Buchstabe. Der geübte Leser hingegen erkennt ein Wort an seinem Gesamtbild. Wird ein Wort aber groß geschrieben, so ist das gewohnte Wortbild nicht mehr vorhanden und der Leser muss Buchstabe für Buchstabe lesen.

Das ß entstand ursprünglich aus einer Ligatur in der deutschen Frakturschrift. Ligaturen sind harmonische Zusammenfügungen zweier Buchstaben, die heute im Zeitalter der Computer immer seltener werden. Gute Schriftsätze und insbesondere der Bleisatz hat Ligaturen beispielsweise für das ff oder fi. Die Frakturschrift kennt zwei Formen des s: ein Binnen-s innerhalb der Wörter, das wie ein f ohne Querstrich aussieht, und das s am Ende des Wortes. Das ß resultierte also aus der Verbindung in Wörtern wie groß, wo Binnen- und End-s zusammentrafen. In der Frakturschrift hatte das s eine leicht andere Form und sah in dieser Schriftart dem z ähnlich. Fälschlicherweise wird daher bis heute das ß manchmal als »Ess-Zett« bezeichnet. Korrekt heißt es »scharfes s«, im südlichen Teil Deutschlands auch noch als »Dreierles-s« bezeichnet.

Als nach 1800 die Fraktur auch im Deutschen langsam von der Antiqua-Schrift ersetzt wurde, übernahm man die Ligatur zweier s als ß.

Nun stellt sich natürlich die Frage, warum man einen Großbuchstaben für das ß benötigt, wo es doch aus zwei Kleinbuchstaben hervorgegangen ist? Dass aus dem Wort groß ein GROSS wird, ist also kein Behelf, denn das ß ist eigentlich nichts weiter als ein ss.

Doch seit der neuen (oder reformierten) Rechtschreibung ist ß und ss für die Aussprache der davorstehenden Vokale bedeutsam: ß oder ss sind beide stimmlos, aber ß steht immer nach langem Vokal bzw. Diphtong (Fuß, groß, Fleiß … ), das ss nach einem kurzen (Hass, muss, kross … ). Fast automatisch neigt man dazu, ein GROSS wie kross auszusprechen, sodass allein diese Tatsache für ein großes ß spricht. Hinzu kommen beim Einsatz von Großbuchstaben Verwechslungen (MASSE von Maße oder Masse?) und verfälschte Eigennamen (HERR STRAUSS). Die Zeitschrift SIGNA widmete dem neuen Buchstaben eine eigene Ausgabe.

Freilich wird ein großes ß ein Nischendasein fristen, denn selten schreibt man in GROßBUCHSTABEN, und ein Wort mit einem ß am Anfang gibt es im Deutschen nicht. Ob es der neue Buchstabe auf das offizielle Tastaturlayout schaffen wird, bleibt offen. Dem Euro-Zeichen ist es mit der Tastenkombination AltGr + E gelungen, doch leider ist diese Kombination für die Taste ß schon mit dem \ vergeben.

Für Windows und Mac gibt es bereits Tastaturtreiber, die nach der Installation das große ß über die Tastenkombination AltGr + Shift + ß erzeugen. Dies allerdings nur dann, wenn der Buchstabe in der verwendeten Schrift vorhanden ist. Bei den Windows-Standardschriften Times und Arial ist dies bislang nicht der Fall.

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7 Kommentare

  1. Schul-/Leseanfänger werden seit jahrzehnten nach der Ganzheitsmethode unterrichtet. Ohne Rücksicht auf Buchstaben-/Buchstabierkenntnis werden diese Menschlein also wie Lesekundige mit ganzen Schriftbildern traktiert. Die Schreib-/Leseschwäche hat also Produktionsgründe.

    Am Anfang war das Wort, also Sprache. Schrift bemüht sich, Ton/Hörbares in Zeichen/Sichtbares so umzusetzen, daß Jederman daraus identische Tongebilde reproduzieren kann. Ganz gleich also, wie sich Schrift als “Tonzeichen” historisch entwickelt hat, sie muß(!) den richtigen Ton treffen. Jan Tschischold hat schon deshalb recht. Ein große ß braucht Schrift allerdings nicht. Wer in GROßBUCHSTABEN schreibt, kommt mit dem Einfügen des “kleinen” ganz gut zurecht, wie vorstehend zu lesen.

  2. Hurra! Ich hoffe, dass dich auch in Programmen wie Celtx umgesetzt wird. Bei Drehbüchern und ähnlichen Dokumenten ist es nämlich üblich, dass gewisse Elemente komplett groß geschrieben werden. Da hat Celtx dann einfach aus dem ß zwei S gemacht.

  3. Ein guter Hinweis, Peter – vielen wird das sicher entgangen sein!

    Ich selbst schreibe seit Jahren mit einem eigenen Tastaturtreiber für Windows – sozusagen meiner eigenen »Autoren-Tastatur« und überlege derzeit, ob ich das »lange s« auf meiner Tastatur (Umschalt+AltGr+ß) durch das »große ß« ersetzen oder lieber auch die Linux-Variante mit CapsLock verwenden soll… Ich tendiere ein wenig zur CapsLock-Lösung, da man das »lange s« doch häufiger für Fraktursatz benötigt.

    Der Tastaturtreiber für Windows 2000/XP/Vista ist übrigens bei mir kostenlos erhältlich. Die Tastatur ist belegt wie im verlinkten Bild ersichtlich:
    http://www.kaufen-ist-toll.de/download/radio/PC105-DE.png

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