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Filmkritik: »Nachtzug nach Lissabon«

Plakatausschnitt: Nachtzug nach LissabonDer Roman »Nachtzug nach Lissabon« von Pascal Mercier von 2004 war über zwei Jahre lang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste vertreten.

Das Buch vereint Blümchen-Philosophie vom Schlage Paulo Coelhos mit der Dramaturgie eines Computer-Textadventure-Spiels. Und die Hauptfigur macht das, was wir uns doch insgeheim alle wünschen: Von einem Tag auf den anderen bricht sie aus ihrem bisherigen Leben aus. Eckpfeiler eines Bestseller-Erfolgs.

Der schwedische dänische Regisseur und Literaturverfilmer Bille August (»Das Geisterhaus«, »Fräulein Smillas Gespür für Schnee«) bringt nun den Nachtzug ins Kino.

Wir haben uns den Film schon mal angesehen.

Ein Wort ändert ein Leben

Raimund Gregorius ist der zuverlässigste Mensch auf Erden. Nur einmal, als auf dem Weg zur Arbeit eine Brücke gesperrt war, machte der 57-jährige Gymnasiallehrer für alte Sprachen einen Fehler im Unterricht. Ansonsten ist er immer pünktlich und von Schülern und Kollegen geschätzt. Aber langweilig.

Doch plötzlich reißt ihn ein einziges Wort aus seinem Alltag: Português. Ausgesprochen wird es von einer Frau, die sich offenbar von der Berner Kirchfeldbrücke stürzen will. Nachdem Gregorius sie vermeintlich von ihrer Tat abgehalten hat, gerät sein Leben aus den Fugen. Sein Antiquar empfiehlt ihm ein Büchlein mit philosophischen Gedanken eines portugiesischen Autors, und Gregorius ist davon so begeistert, dass er sich – berauscht von Wort und Worten – spontan auf den Weg nach Portugal macht, um mehr über den Autor Amadeu de Prado herauszufinden.

Ein Buch wie ein Computerspiel

Pascal Mercier, ein Pseudonym des Schweizes Peter Bieri, baut die Suche nach dem Autor und seiner Geschichte wie ein Computerspiel auf: Da gibt es Personen, Schauplätze, Geschichten und Textfragmente, die es zu entdecken und logisch zu kombinieren gilt. Indem Gregorius Personen und Orte besucht, erhält er Stück für Stück Informationen, aus denen sich die Geschichte schließlich zusammensetzt. Und wie im Textadventure gibt eine Person ein Geheimnis oftmals erst dann Preis, wenn man ihr an anderer Stelle erhaltene Infos oder Gegenstände anbietet.

Ein Film wie eine Mercedes-Werbung

Bille August hat aus dem Buch einen ZDF-Fernsehfilm gemacht, der zunächst im Kino gezeigt wird: ein Film mit der Optik eine Mercedes-Werbung, ist darin doch ein schnittiges, rotes A-Klasse-Modell mit Sportfelgen immer wieder prominent in Szene gesetzt.

Der Film-Gregorius (verkörpert von Jeremy Irons) ist einer, der einen gebrauchten Teebeutel aus dem Mülleimer zieht und wiederverwendet, wenn er feststellt, dass die Packung leer ist. Dem Buch-Gregorius wäre das gar nicht erst passiert, da er rechtzeitig eine neue erworben hätte.

Bei Bille August ist die Brückenszene weitaus dramatischer als im Buch, denn da steht die Frau schon auf dem Geländer. Doch das magische Wort Português spricht sie nicht aus. Überhaupt spielt der Aspekt, dass Gregorius aus seinem Leben ausbricht, im Film nur eine untergeordnete Rolle. Hier ist Raimund Gregorius eigentlich nur einer, der nach Lissabon reist, um der Frau den vergessenen Mantel zurückzubringen. Dass dafür aus dramaturgischen Gründen unrealistischerweise ein EC mit auf voller Länge geöffneten Türen den Berner Bahnhof verlassen muss, um der Hauptperson ein Aufspringen in letzter Sekunde zu ermöglichen, tut beim Zuschauen weh.

Dialoge wie bei Derrick

Vor 30 Jahren hätte man vielleicht Horst Tappert mit der Hauptrolle besetzt, denn die folgende Inszenierung kommt wie eine Derrick-Folge daher, in der Gregorius zum Fragen stellenden Ermittler mutiert – inklusive der hölzern aufgesagten Texte, die von Herbert Reinecker hätten stammen können. Auch das schmerzt, denn der Film ist mit hochkarätigen Schauspielern besetzt, die jedoch bis auf ganz wenige Ausnahmen ihrem Beruf nicht nachgehen dürfen. Stattdessen kommentieren sie größtenteils gestelzt die im Film eingebauten Rückblenden. Und die Komparsen beim nächtlichen Angriff auf einen Mann vom Geheimdienst stehen so kunstvoll herum, dass man befürchtet, sie werden gleich anfangen zu singen. Dekorativ wie Schnittlauch oben drauf kommen zum Film noch ein paar Poesiesprüche von Amadeu aus dem Off. Doch so richtig erschließt sich dem Zuschauer die Faszination Gregorius’ an diesem Büchlein nicht.

Was der Film besser macht

Der verdichteten Filmhandlung ist zu verdanken, dass die Drehbuchautoren die Frau auf der Brücke in die Geschichte eingebunden haben. Das ist handwerklich besser gelöst als bei Mercier, bei dem diese Episode zwar der Auslöser von allem ist, nachlässigerweise aber nicht in die Handlung eingebunden wird. Im Film hingegen ist die Sache rund.

Dass der Film naturgemäß eher einem Happy End entgegensteuert, muss man hinnehmen. Dass er vor einem befürchteten völlig verkitschten Schlusssatz abblendet, ist wohltuend – so man bis dahin durchgehalten hat.

Wolfgang Tischer

Nachtzug nach Lissabon. Deutschland, Schweiz, Portugal 2012. Länge: 110 Min. / Dolby SR. Mit Jeremy Irons, Mélanie Laurent, Jack Huston, Martina Gedeck, Tom Courtenay, August Diehl, Bruno Ganz, Lena Olin und mit Christopher Lee und Charlotte Rampling. Drehbuch: Greg Latter und Ulrich Herrmann. Nach dem Buch von Pascal Mercier.

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Einsendeschluss war der 7. März 2013.

Leider ist der Einsendeschluss bereits überschritten und keine Teilnahme am Gewinnspiel mehr möglich.

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5 Kommentare

  1. Ich vermute da sind einige ungewollte Rechtschreibfehler im Satz.

    ein Ein, eine einer, Komma hinter Werbung löschen?, Kasse Klasse.

    Ich hoffe das ist nicht zu aufdringlich wenn ich Sie darauf aufmerksam mache.

    Bille August hat aus dem Buch einen ZDF-Fernsehfilm gemacht, der zunächst im Kino gezeigt wird: Ein Film mit der Optik einer Mercedes-Werbung ist darin doch ein schnittiges, rotes A-Klasse-Modell mit Sportfelgen immer wieder prominent in Szene gesetzt.

    Den Kommentar brauchen sie nicht zu veröffentlichen
    Grüße
    Rouven

    • Vielen Dank für den Hinweis. In der Tat war »A-Kasse« ein Tippfehler, denn es muss natürlich »A-Klasse« lauten. Das haben wir im Text verbessert.

      Die Kleinschreibung nach dem Doppelpunkt ist jedoch korrekt. Nach einem Doppelpunkt muss nur dann groß weitergeschrieben werden, wenn ein vollständiger Satz folgt. »ein Film mit der Optik eine Mercedes-Werbung« ist jedoch kein vollständiger Satz, da hier das Verb fehlt. Groß müsste man nach dem Doppelpunkt weiterschreiben, würde es heißen: »… der zunächst im Kino gezeigt wird: Es ist ein Film mit der Optik eine Mercedes-Werbung, …«. Auch das Komma nach Werbung ist korrekt, weil es den nun folgenden Nebensatz abtrennt. Dies wird deutlicher, wenn man sich ein »denn« dazudenkt: »… mit der Optik eine Mercedes-Werbung, denn darin ist …«.

      Wir haben den Kommentar und die Antwort veröffentlicht, weil die Groß- und Kleinschreibung bei vielen Lesern immer wieder zur Verwirrung führt. Viele sind der Meinung, dass nach einem Doppelpunkt immer groß weiterzuschreiben ist, und sie sind wegen der wechselnden Groß- und Kleinschreibung verwirrt. Diese ist jedoch korrekt. Im Duden heißt es dazu in Regel K93: »Auch nach einem Doppelpunkt und bei angeführten Sätzen wird das erste Wort eines Ganzsatzes großgeschrieben. (…) 2. Man schreibt nach einem Doppelpunkt klein, wenn der folgende Text nicht als Ganzsatz aufgefasst wird.«

  2. Gut ich will mich mit euch nicht Streiten. §81 Abs.3 der Amtlichen Deutschen Rechtschreibung sagt
    es wird kleingeschrieben wenn: “Zusammenfassungen des vorher Gesagten oder Schlussfolgerungen
    aus diesem” dem Doppelpnkt folgen.
    Ich kann mir vorstellen, das es als Zusammenfassung des Vorher gesagten gemeint ist. Es ist meiner Meinung nach fraglich, ob es tatsächlich eine ist, denn sie erwähnen Inhalte, die noch nicht vorher erwähnt wurden.

    Abs. 2 hier zwei Beispiele:

    Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften
    Gebrauchsanweisung: Man nehme jede zweite Stunde eine Tablette.

    Das zeigt: Folgt dem Doppelpunkt ein ganzer Satz, muss der Satzanfang groß geschrieben werden.

    Über das Komma kann man sich natürlich auch Streiten. Nachdem das Ein groß geschrieben wurde ist es nicht mehr erforderlich, kann aber eingefügt werden, da er Autor das selbst entscheiden kann. An Stelle des Doppelpunktes einen Gedankenstrich zu setzten könnte eine Allternative sein, sieht möglicherweise hübscher aus.

    Letztenendes ist es euer Satz ihr könnt mit ihm machen was ihr wollt.

    Grüße

    • Hallo,
      die beiden Beispiele widersprechen dem nicht. Die von Ihnen zitierte Passage ist in der Tat auch der Punkt 1. der Regel K93.

      Im ersten Beispiel ist »Der Mann ohne Eigenschaften” ein Titel, der immer groß geschrieben wird, auch wenn er kein Satz ist. Und wie Sie völlig richtig sagen: Im zweiten Beispiel folgt ein ganzer Satz (=Hauptsatz), also muss groß geschrieben werden.

      Das Komma ist unbedingt notwendig, da das Hilfswerb »ist« kein Bestandteil des vorherigen Satzfragmentes ist, sondern zum folgenden Nebensatz gehört. Würde man die Konstruktion in zwei Hauptsätze umbauen, wäre das etwas anderes – auch mit der Großschreibung:

      Bille August hat aus dem Buch einen ZDF-Fernsehfilm gemacht: Im Film mit der Optik einer Mercedes-Werbung ist ein schnittiges, rotes A-Klasse-Modell mit Sportfelgen immer wieder prominent in Szene gesetzt.

      Allerdings würde man bei dieser Konstruktion zwischen den Sätzen wahrscheinlich besser einen Punkt setzten.

      Beste Grüße
      Wolfgang Tischer
      literaturcafe.de

  3. Habe mir zufällig nochmal diesen Beitrag angesehen und da ist mir eine Sache aufgefallen. Man hätte es wohl besser ganz anders gemacht:

    “Bille August hat aus dem Buch einen ZDF-Fernsehfilm gemacht, der zunächst im Kino gezeigt wird: Ein Film mit der Optik einer Mercedes-Werbung. Ist darin doch ein schnittiges, rotes A-Klasse-Modell mit Sportfelgen immer wieder prominent in Szene gesetzt.”

    Ich bin mir aber nicht sicher ob überhaupt irgend eine der diskutierten Varianten bei meinem Deutschlehrer durchgekommen wären.

    Grüße
    Rouven

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