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Textkritik: Der Arsch stört heftig

Selbst wenn es in Gedichten einmal derb und heftig wird oder stinkt und kracht: die Form sollte nicht leiden. Ein Lacher oder Abscheu beim Lesen sind kein Ersatz für gutes Handwerk. Gerade im Detail!

So ist das diesmal von Malte Bremer besprochene Gedicht zwar größtenteils handwerklich sauber gearbeitet – aber an entscheidenden Stellen sollte man nochmals sauber drüberwischen.

Vom Stuhl erhebend

von Frank Sander
Textart: Lyrik
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Durch die Brille schau ich morgens,
was es wohl zu essen gab?
Fühl‘ mich innerlich erleichtert,
erst, wenn ich geschissen hab!

Rrritsch Papier mir
vonne Rolle,
wisch‘ die Kimme
– nich‘ so dolle!

Zieh‘ die Strippe, bürste Streifen,
spüle nochmal hinterher
wasch ich Arsch mir
dann die Hände,
Fenster auf
und Tür zu.
Ende.

© 2013 by Frank Sander. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Launige, handwerklich recht saubere Alberei.
Aber der Arsch stört heftig!

Die Kritik im Einzelnen

Das Fragezeichen am Ende geht bei dieser Satzkonstruktion nicht: Dann muss am Ende der ersten Zeile ein Punkt oder ein Doppelpunkt stehen. Ein Punkt würde den Hauptsatz abschließen, ein Doppelpunkt darauf hinweisen, dass etwas Wichtiges folgt.
Gelungen: Die Erinnerungen an den vorangegangenen Tag müssen heftig verschwommen sein … zurück

Hier ist das Komma vor erst nicht korrekt, also entfernen!
Gelungen: Mit erleichtert ist wohl zweierlei gemeint, nämlich das eine und die Erkenntnis, am Tag zuvor nichts Falsches gegessen zu haben.  zurück

Hier müsste nach hinterher ein Punkt oder ein Komma stehen. zurück

Diese Stelle ist völlig misslungen: Muss das lyrische Ich sich zu allem Überfluss jetzt noch Arsch nennen? Das hat keinen inhaltlichen Zusammenhang mehr, sondern nur noch einen formalen. Ließe sich ändern, sofern das lyrische Ich besonders gründlich wäre; dann lautete es so: spüle nochmal hinterher, / wasch den Arsch mir, / dann die Hände, (…)

Eine Erinnerung wurde geweckt: Von Hans Magnus Enzensberger gibt es ein politisches Gedicht mit dem Titel Die Scheiße (1964), und ein gewisser Harald Schmidt hat es 1999 in seiner Show vorgelesen: Immerzu höre ich von ihr reden / als wär sie an allem schuld./ Seht nur, wie sanft und bescheiden / sie unter uns Platz nimmt! / Warum besudeln wir denn ihren guten Namen / und leihen ihn dem Präsidenten der USA, / den Bullen, dem Krieg / und dem Kapitalismus? (…) zurück

https://www.youtube.com/watch?v=_gs9RtkRaC0

© 2013 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.