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Literaturverfilmung »Schloss aus Glas«: Maßlos überzuckert

Jeannette Walls (Ella Anderson) und ihr Vater Rex (Woody Harrelson) kommen wieder einmal an einem neuen Wohnort an (Foto: Studiocanal)
Jeannette Walls (Ella Anderson) und ihr Vater Rex (Woody Harrelson) kommen wieder einmal an einem neuen Wohnort an (Foto: Studiocanal)

Im Jahre 2005 eroberte ein ungewöhnlicher Roman die New-York-Times-Bestsellerliste und blieb dort für 261 Wochen. Auch in Deutschland schaffte es »Schloss aus Glas« bis auf Platz 11 der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Die Klatsch-Kolumnistin Jeanette Walls enthüllte in diesem autobiografischen Werk, dass sie in schlimmen und ärmsten Verhältnissen aufwuchs. Ihr Vater war Alkoholiker, und ihre Eltern lebten auf der Straße.

Nun wurde die Lebensgeschichte mit Brie Larson, Woody Harrelson und Naomi Watts verfilmt. Leider blieben die Drehbuchautoren dabei nicht so cool wie die Buchautorin.

Vater war ein Alkoholiker und ein Held

Objektiv betrachtet war die Kindheit furchtbar, die Jeannette Walls und ihre drei Geschwister hatten. Die Eltern waren mittellos. Der Vater war Alkoholiker, ein Aufschneider und Besserwisser. Er prügelte sich in Kneipen, war die meiste Zeit arbeitslos und stets auf der Flucht vor Polizei und Schuldnern. Oftmals innerhalb von Minuten musste die Familie ihre wenige Habe zusammenpacken, um eine Stadt zu verlassen. Die Mutter war Freigeist und Künstlerin und machte dieses Leben geduldig mit.

Die seltsame Odyssee führt die Familie schließlich von der West- an die Ostküste Amerikas, wo die Fünf eine Bruchbude bewohnen, die weder Strom noch fließend Wasser hat, in der es durchs Dach regnet und der Müll hinter dem Haus einfach in eine Grube gekippt wird. Später wird es den Kindern gelingen, nach New York zu ziehen. Die Eltern folgen, doch sie leben weiter auf der Straße und als Besetzer in einem Abbruchhaus. Jeannette Walls Vater Rex Walls stirbt 1994 im Alter von 60 Jahren an einem Herzinfarkt.

Die erwachsene Jeannette Walls (Brie Larson) trifft ihre Mutter (Naomi Watts) (Foto: Studiocanal)
Die erwachsene Jeannette Walls (Brie Larson, rechts) trifft ihre Mutter (Naomi Watts) (Foto: Studiocanal)

Der Reiz des Buches liegt darin, dass diese objektiv schlimmen Verhältnisse aus der subjektiven Sicht der siebenjährigen Jeannette geschildert werden, die in ihrer kindlichen Naivität dieses Leben wie ein großes Abenteuer begreift und ihren Vater vergöttert. Der Vater ist der Held ihrer Kindheit, der stets das Richtige macht, scheinbar unlautere Machenschaften in Gewerkschaften aufdeckt und der vom FBI gejagt wird. Nie trägt er die Schuld, immer sind es die anderen. Rex liebt seine Tochter, und der Familie verspricht er, eines Tages ein Schloss aus Glas zu bauen. Dieses titelgebende und nie errichtete Bauwerk bleibt das Symbol eines besseren Lebens. Erst mit ihrer Pubertät beginnt sich Jeannette Walls‘ Sicht auf das Leben und ihren Vater zu ändern.

Offenbar ist alles genau so passiert

Filmplakat: Schloss aus Glas (Foto: Studiocanal)
Filmplakat: Schloss aus Glas (Foto: Studiocanal)

Natürlich liegt ein weiterer Reiz der Geschichte darin, dass offenbar alles genau so passiert ist. Alle Figuren des Romans tragen die Namen der echten Personen. »Based on a true story« heißt es daher gleich am Anfang der Verfilmung, die am 21. September 2017 in die Kinos kommt. Im Nachspann werden wir dann noch Originalfotos und Filmaufnahmen von Rex und Rose Mary Walls sehen, die der Zuschauerin nochmals aufs Auge drücken, dass es wirklich genau so war. Im Buch ist die Story stark genug, dass diese Referenz ins wirkliche Leben nicht notwendig ist. Beim Film war man sich da offenbar nicht sicher.

Dabei haben Destin Daniel Cretton und Andrew Lanham die Geschichte handwerklich solide als Drehbuch umgesetzt und an einigen Stellen die Story durchaus sinnvoll neu verflochten. Destin Daniel Cretton führte auch Regie. Deutlich im Mittelpunkt des Films steht die Tochter-Vater-Beziehung. Die Verfilmung steht und fällt daher mit der Besetzung der Rollen der Eltern. Diese ist perfekt gelungen.

Dabei sei zunächst Naomi Watts in der Rolle der Mutter erwähnt. Die leicht durchgeknallte Frau und Künstlerin birgt schauspielerisch die Gefahr für Klischee und Überzeichnung, wie man es bei einer solchen Figur in anderen Filmen gesehen hat. Doch Watts spielt die Mutter wohltuend zurückgenommen und natürlich, was sie umso glaubhafter macht.

Star des Films ist Woody Harrelson mit dunkler Perücke als Rex Walls. Sein Spiel gibt dem Film die starke Mitte. Harrelson trifft den Ton, und ihm nimmt man die angeberische und gebrochene Figur ab.

Finaler Gefühlsoverkill

Während das Buch mehr oder weniger eine einzige Rückblende ist, wechselt die Filmstory häufiger von der Gegenwart in die Vergangenheit. Das ist leider höchst konventionell gebaut und bisweilen störend. Der Film hält daher am Ende keinerlei Überraschung für die Zuschauerinnen parat. Dafür setzt er an seinem ohnehin schwachen Ende ausschließlich auf Gefühle und überdreht – wie leider allzu oft in Hollywood-Produktionen – das Happy-End ins Maßlose und Unerträgliche. Dieses emotionale Für-dumm-Verkaufen der Zuschauerin ist umso ärgerlicher, weil es sechs oder sieben Minuten zuvor den perfekten Moment gegeben hätte, um den Film mit Würde zu beenden.

Damalige deutsche Taschenbuchausgabe. Zum Filmstart gibt es eine Neuauflage mit dem Filmmotiv als Cover.
Damalige deutsche Taschenbuchausgabe. Zum Filmstart gibt es eine Neuauflage mit dem Filmmotiv als Cover.

Im Buch war Jeannette Walls ein runder und emotional ansprechender Schluss gelungen, dem Film war er jedoch nicht vergönnt worden. Und damit es auch noch alle im Kino verstehen, ist der Film den Familien gewidmet, die trotz der Narben zusammenhalten.

Dieser finale Gefühlsoverkill schadet der ansonsten sehr soliden Verfilmung mit hervorragenden Schauspielern. Die Drehbuchautoren hätten gut daran getan, sich die Zurückhaltung der Buchautorin zum Vorbild zu nehmen.

Wolfgang Tischer

Schloss aus Glas (OT: The Glass Castle). USA. Nach dem Roman von Jeannette Walls. Buch: Destin Daniel Cretton und Andrew Lanham, Regie: Destin Daniel Cretton. Darsteller: Brie Larson, Woody Harrelson, Naomi Watts. 120 Minuten. Kinostart Deutschland: 21.09.2017. Studiocanal. FSK 12.

Jeannette Walls; Ulrike Wasel (Übersetzung); Klaus Timmermann (Übersetzung): Schloss aus Glas. Taschenbuch. 2006. Diana Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783453351356
Jeannette Walls; Ulrike Wasel (Übersetzung); Klaus Timmermann (Übersetzung): Schloss aus Glas. Kindle Ausgabe. 2012. Hoffmann und Campe. 10,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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