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La Douce: Aus dem Comic entspringt ein Zug – François Schuiten im Interview

Ausschnitt aus dem Comic »La Douce« (ATLANTIC) von François Schuiten
Ausschnitt aus dem Comic »La Douce« von François Schuiten

»La Douce« heißt der neue Comic des preisgekrönten belgischen Zeichners François Schuiten. Im Buch geht es um die Veränderung der Welt und die Liebe eines Lokführers zu seiner »sanften« Schönheit – einer Dampflok.

Das Besondere an diesem düsteren Zukunftsszenario: Per Webcam kann man aus dem Buch dreidimensional eine Lok herausfahren lassen – Beschleunigen und Bremsen durch den Leser inbegriffen.

Wolfgang Tischer stellt das Buch in einem Video vor, bevor er sich im zweiten Teil des Films in Paris mit dem Autor François Schuiten unterhält.

Wunderbar sanftes Wortspiel – doch nur auf Französisch

In Deutschland ist das Buch unter dem Titel »Atlantic« im Verlag Schreiber & Leser erschienen. Da klappt leider das schöne französische Wortspiel mit dem Titel nicht mehr. Denn »La Douce« bedeutet die Schöne, die Sanfte oder die Begehrenswerte. Gleichzeitig klingt das Wort fast wie »Douze«, was Zwölf bedeutet.

In der Geschichte von François Schuiten, die in einer Parallelwelt spielt, ist die Zwölf tatsächlich die Begehrenswerte, denn sie ist eine Dampflok vom Typ 12 – ein Hochgeschwindigkeitsmodell der Belgischen Staatsbahn, das es wirklich gab und das bis in die 1960er Jahre seinen Dienst tat.

In der vom Steampunk inspirierten Welt Schuitens steigt der Meeresspiegel, und für Lokführer Van Bel wird es immer schwieriger, mit seiner dampfenden 12 durch die Fluten zu kommen. Doch die Dampfloks werden bereits von einer moderneren Art der Fortbewegung abgelöst: der Seilbahn. Als der 12 der Schrottplatz droht, beschließt Lokführer Van Bel, seine geliebte Schöne zu entführen.

François Schuiten: Mit Comics in den Adelsstand

François Schuiten gehört zu den bekannten belgischen Comiczeichnern. Er wurde nicht nur mit Preisen ausgezeichnet, sondern im Jahre 2002 vom Belgischen König in den Adelsstand erhoben. Schuitens bekannteste Comic-Reihe sind »Die geheimnisvollen Städte«, die er zusammen mit Benoît Peeters entwarf. Für »La Douce« ist Schuiten Autor und Zeichner in einer Person. Neben seiner Tätigkeit als Comiczeichner entwarf Schuiten auch das Ambiente einer Metrostation in Brüssel.

Zusätzlich zur wunderbar düsteren Geschichte hat das Buch einen faszinierenden Bonus: Ruft man die Website 12-ladouce.com auf und installiert ein Plugin, so kann man das Buch vor eine Webcam halten – und auf einmal wird die zweidimensionale Front des Lokschuppens lebendig und die 12 fährt »aus dem Buch heraus«. Durch Drehen und Kippen kann man die Fahrt beschleunigen. Erreicht die Lok ihr Höchsttempo, wird sie sogar farbig. Im Video zeigt Wolfgang Tischer diesen faszinierenden Effekt.

Die Poesie des Digitalen

Das Sympathische dabei ist, dass diese Dreingabe ohne viel Werbebrimborium für sich steht. Im Grunde genommen braucht der beeindruckende Comic diesen Bonus nicht. Doch für Schuiten wird die Welt des Buches auf diese Weise poetisch ergänzt und fortgeführt, wobei es ihn freut, dass man das Buch nach wie vor in der Hand halten muss, um die digitale Zusatzfunktion zu sehen – für Schuiten eine wunderbare Metapher.

Entwickelt wurde die virtuelle Ergänzung vom französischen 3D-Spezialisten Dassault Systèmes. Neben Simulationen für die Industrie erweckt das Unternehmen u. a. auch historische Stätten für ZDF-Dokumentationen zum Leben. Ein Team von Freiwilligen hat zusammen mit Schuiten die 12 digitalisiert. Hierzu mussten aufwendige 3D-Modelle entworfen werden. Anschließend wurde der Hochglanz-Look der Lok wieder in die gezeichnete Form der Comic-Welt transferiert.

Lässt man die Lok fahren, so entdeckt man mit jedem weiteren Mal viele kleine Details in dieser virtuellen Welt.

Bei Dassault Systemes in Paris hatte Wolfgang Tischer die Gelegenheit, sich ausführlich mit François Schuiten zu unterhalten. Unter anderem berichtete Schuiten, warum in seiner Welt das moderne Fortbewegungsmittel die Seilbahn ist und nicht beispielsweise das Flugzeug.

Am Schluss des Gespräches macht François Schuiten keinen Hehl daraus, dass auch er sich manchmal vorkommt, wie sein Lokführer Van Bel: Das Zeichnen mit Tusche sei in gewisser Weise auch eine aussterbende Technik, weil doch immer mehr am Computer entsteht. Und dennoch sind wir fasziniert, wenn wir diese Zeichnungen sehen, genauso wie wir von Dampflokomotiven fasziniert sind, wenn wir plötzlich eine zu Gesicht bekommen.

In François Schuiten großartigem Werk »La Douce« (auf deutsch: »ATLANTIC«) kann man beide Welten erleben.

Derzeit keine Titelinformationen vorhanden.

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2 Kommentare

  1. Danke für den interessanten Artikel. Der Comic ist wirklich wunderschön und ich hätte es ohne Ihre Empfehlung nicht entdeckt. Leider funktioniert die 3D Technik nicht. Seit einer Woche sitze ich immer wieder vor dem Computer, mit dem Buch in der Hand, und versuche zu sehen, wie die Lokomotive daraus entspringt.
    Alle Versuche sind bis jetzt fehlgeschlagen. Beim Kundenservice kommt man ohne Französisch nicht weiter, obwohl der Comic auch auf Deutsch erschienen ist. Schade eigentlich, denn ich hätte den Effekt gern gesehen. Falls es noch ein Trick gibt, den ich noch nicht entdeckt habe, würde ich mich darüber freuen.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Claudia Muther

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