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Kein gedruckter Brockhaus mehr oder doch? oder vielleicht?

Der BROCKHAUSDas Bibliographische Institut & F.A. Brockhaus (Bifab) bemüht sich zu betonen, dass die Aussage »es gibt keinen gedruckten Brockhaus mehr« falsch sei. Dieser Eindruck sei durch die Medienberichte darüber entstanden, dass die mehrbändige Brockhaus Enzyklopädie demnächst frei und werbefinanziert im Internet einsehbar sei. Nachwievor werde Bifab gedruckte Nachschlagewerke zu speziellen Themen verlegen. Das Börsenblatt zitiert in seiner Online-Ausgabe den Bifab-Vorstand Ulrich Granseyer mit den Worten: »Es gibt Inhalte, Umgebungen und Situationen, in denen das Buch auch künftig nicht ersetzt werden kann«.

Und auch die Aussage, dass die aktuell gedruckte 21. Auflage der 30-bändigen Brockhaus Enzyklopädie die letzte sei, wird relativiert. So sagt Andreas Langenscheidt, geschäftsführender Gesellschafter der gleichnamigen Verlagsgruppe, die mit der Langenscheidt KG Mehrheitsaktionärin der Bifab ist, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: »Da wir technologisch in der Datenerstellung und -speicherung gut aufgestellt sind, könnten wir später auch wieder in kleinen Auflagen bei entsprechender Nachfrage weiterhin Enzyklopädien in Printform anbieten.«

Mit anderen Worten: Man weiß es nicht und kann die künftige Entwicklung im Internet nicht einschätzen. Man reagiert statt zu agieren. Ob man gegen Wikipedia und andere Wissensportale eine Chance hat, das bleibt dahingestellt. Langenscheidt singt nachwievor das Hohelied von Qualität und Hochwertigkeit, das schon der gedruckten Enzyklopädie nicht geholfen hat. Sicherlich nicht zufällig hat am gleichen Tag, als Bifab den Weg ins Web verkündete, der SPIEGEL Online die Eröffnung seines bereits angekündigten Wissensportals SPIEGEL WISSEN bekanntgegeben. Dort werden die Inhalte der Wikipedia mit Nachschlagewerken aus dem Hause Bertelsmann und dem SPIEGEL Archiv zusammengebracht. Bevor im Mai der Brockhaus online geht, gilt es, Positionen zu besetzten.

Und auch der Brockhaus will sich »Medienpartner ins Boot holen«. Berichten zufolge wird dies die zum Holtzbrinck-Konzern gehörende Wochenzeitung DIE ZEIT sein, deren Leser allerdings auch nicht unbedingt als die progressivsten verschrien sind.

In vielen Kommentaren und Weblogs ist zu lesen, dass der Gang ins Web letztendlich der Anfang vom Untergang des Brockhaus’ sei – wenn nicht gar der ganzen Bifab. Zu lange habe man das Web ignoriert und auf die eigene Qualität gebaut, was den Wissensdurstigen aber letztendlich egal war, denn die Wikipedia ist schnell und aktueller, und im DSL-Zeitalter ist die Online-Verbindung quasi immer gegeben.

Doch die Frage bleibt offen, ob das Bibliographische Institut & F.A. Brockhaus überhaupt eine Chance gehabt hätte, selbst wenn der Verlag – in welcher Form auch immer – früher auf die Entwicklungen im Netz reagiert hätte. Bedingt durch die Digitalisierung und Vernetzung gibt es nun mal Veränderungen und Umwälzungen, die ganze Branchen und Konzerne treffen und diese fast schon wie die natürliche Evolution zurückwerfen.

Die Foto-Branche mit Firmen wie Agfa und Eastman Kodak hat durch die Digitalisierung der Fotografie eine gewaltige Veränderung erlebt. Der belichtete Film führt mittlerweile ein Nischendasein. Entwicklungslabors wurden geschlossen, Mitarbeiter entlassen. Der Musikindustrie gelang es zunächst, die Schuld für die Umsatzrückgänge ausschließlich den Raubkopierern anzulasten, bis auch sie Versäumnisse eingestehen musste und so langsam erkennen muss, dass der Musikmarkt nicht mehr der ist, der er noch vor 20 Jahren war.

Man mag verklärt den Wechsel des gespeicherten Wissens von der gedruckten zur digitalen Form bedauern und Kindheitstagen nachtrauern, in denen man im goldenen, warmen Licht der Stehlampe in den schweren Brockhaus-Bänden blätterte, aufhalten wird man ihn nicht können, denn hier überwiegen die Vorteile des Digitalen. Zumindest solange der Strom aus der Steckdose kommt.

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2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Autor!

    Für den aufschlußreichen Beitrag danke ich Ihnen vielmals. Allerdings beschleichen mich gewisse Zweifel zu der mutigen Aussage, daß eine gedruckte Enzyklopädie – denn immerhin gibt es ja nicht nur den allseits geschätzten “Brockhaus” – heutzutage keine Existenzberechtigung mehr habe. Ich wage sogar zu behaupten, daß gerade in unserer vernetzten Gesellschaft das gedruckte Wort nach wie vor Maßstäbe setzen sollte und dies auch weiterhin tun wird, von mir aus gerne auch in Form von alternativen unveränderbaren Datenträgern (den sog. ROM-Versionen). Gerade das Beispiel “Wikipedia”, das ich als Online-Experiment erachte und mit großem Interesse regelmäßig mitverfolge, zeigt, daß die jederzeit fast willkürlich abänderbare Form der allgemein zugänglich gemachten Informationswiedergabe unter gewissen Voraussetzungen äußerst problematisch werden kann. Die Zuverläßigkeit bzw. Zitierfähigkeit insbes. im wissenschaftlichen Betrieb wird immer wieder darunter leiden – abgesehen davon, daß eine einwandfreie Wissensvermittlung auf diese Weise nicht nachhaltig garantiert werden kann, da auch von Fall zu Fall nicht unbedingt fach- und sachkompetente “Autoren” jederzeit mitmischen können.

    Mit bestem Gruß,
    Ihr Atsushi Kono

    P.S. – Warum schreiben Sie so konsequent von der “Brache”? Schreibt man nach der Rechtschreibreform (deren Ergebnisse – aber nicht deren Bemühungen – ich weitestgehend ablehne) “Brache” und meint das aus dem Französischen stammende Wort “Branche”? – Klären Sie mich bitte auf, da ich diese neudeutsche Schreibweise auch in vielen namhaften Printmedien (Der Spiegel, Die Zeit, Stern, F.A.Z., Süddeutsche Zeitung &c.) gesehen bzw. gelesen habe!!…

  2. Auch wenn manche Branchen tatsächlich zu Brachen werden, lautet die Antwort schlichtweg: Tippfehler. Zumindest hier im Café, denn wir können nicht allgemein für Spiegel, Zeit, Stern, FAZ oder Süddeutsche sprechen.
    Vielen Dank auf jeden Fall für den Hinweis, der Fehler ist korrigiert.

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