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Die Netzliteratur hat sich gesundgeschrumpft – Ein Interview mit Susanne Berkenheger

Susanne Berkenheger (Foto: privat)Susanne Berkenheger wurde als »Online-Literatin« bekannt und ist auf diesem Gebiet mehrfach preisgekrönt. Wie keine andere nutzte und nutzt sie das Medium als Kunstplattform. Hin und wieder trat sie mit ihren Internet-Werken auch live vor Publikum auf. Am 31. Januar 2008 ist Susanne Berkenheger in Second Life unterwegs, denn mit einer Lesung von ihr wird das virtuelle Literaturhaus der multikulturellen Internet-Literaturplattform readme.cc eröffnet. Künftig will man dort in der digitalen Welt regelmäßig Lesungen durchführen. Wolfgang Tischer vom literaturcafe.de sprach mit Susanne Berkenheger über Kunst und Literatur im Internet damals und heute.

Tischer: Liebe Susanne, das letzte Interview für das literaturcafe.de haben wir vor über 10 Jahren geführt. Damals hattest du gerade beim Internet-Literaturpreis der Wochenzeitung DIE ZEIT gewonnen. Du bist nachwievor im Netz künstlerisch aktiv und auch das literaturcafe.de gibt es immer noch. Aber ansonsten hat sich viel geändert. Damals wurde auf Festivals und Kongressen ernsthaft und akademisch darüber diskutiert, ob das Internet eine neue Literaturform schafft. Das Schlagwort »Netzliteratur« machte die Runde. Wie beurteilst du das heute? Was ist davon geblieben?

Berkenheger: Na, das hat sich gesundgeschrumpft! Und zwar, wenn ich es recht sehe, auf den International Prize »Ciutat de Vinaròs« on Digital Literature, den es nun seit drei Jahren gibt. Und sonst? Auf Festivals und in Ausstellungen wird bisweilen Netzliteratur gezeigt, oft heißt sie dann aber Netzkunst. An Unis beschäftigen sich Leute damit. Und: So ein Dinosauriertext wie »Zeit für die Bombe« findet auch heute noch neue geneigte Leser. Hätte ich nicht gedacht. Vor zehn Jahren schätzte ich die Haltbarkeit von »Zeit für die Bombe« auf höchstens drei, vier Jahre. Aber das war wohl eher visionär und betraf meine Nachfolgewerke, welche heute nur noch mit altertümlichen Equipment besichtigt werden können.

Tischer: Die meisten der damals entstandenen Werke sind heute nicht mehr im Netz zu finden. Nach Namen damaliger Netzliteraten und Preisträger googlet man heute vergebens. Wenn ich deutschsprachige Online-Literaten nennen soll, die heute noch im Netz aktiv sind, dann fällt mir neben dir spontan nur noch Martin Auer ein. Warum denkst du, sind so wenige dabeigeblieben?

Berkenheger: Vielleicht verhungert oder während der ständigen Renovierung ihrer noch gar nicht fertig gestellten Werke zusammengebrochen. Wer weiß. Das Unglück der Netzliteratur ist ja, dass alle Welt inklusive der Literaten selbst meint, sie solle möglichst alles könne: Mit dem Leser gewitzt interagieren, schön aussehen, schön klingen, nebenbei einen guten Text enthalten und dann immer auch noch etwas bieten, was noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Am besten etwas, was vor zwei Wochen noch gar nicht zu machen war im Internet (und zwei Wochen später oft schon wieder abgeschafft wird). Sonst gilt die Netzliteratur als veraltet. So was ist natürlich ein Irrsinn: Mords Aufwand für etwas meist sehr schnell Zerfallendes. »Zeit für die Bombe« kann man ja nur deshalb heute noch ohne Schwierigkeiten lesen, weil sie bereits damals technisch, nun ja, etwas urtümlich war. Ist ja nur ein simpel verlinkter Text.

Tischer: Du hast damals in deinem preisgekrönten Beitrag »Zeit für die Bombe« und auch in späteren Werken mit Popup-Fenstern gearbeitet …

Berkenheger: … also bei der Bombe noch nicht. Die hatte nur eine Warnmeldung integriert, die heute partout von keinem einzigen Browser mehr angezeigt werden. Aber damit kann man leben.

Tischer: Da Popup-Fenster für nervende Werbung missbraucht wurden, haben moderne Browser einen Popup-Blocker und viele deiner Werke funktionieren nicht mehr. Hat so der Kommerz die Kunst zerstört?

Berkenheger: Nee, andersrum: Der liebe Kommerz hat die Kunst erst hervorgebracht. Ohne die Werbe-Popups wäre ich ja nie auf die Idee gekommen, Popup-Fensterchen als sprechende Figuren zu verwenden. Schwierigkeiten machen eher diese fiesen Anti-Kommerz-Programme, diese kriminellen Popup-Blocker. Zum Glück lassen sie sich ja meistens ausschalten.

Tischer: Du hast als Journalistin damals für Zeitungen und Zeitschriften geschrieben und tust es auch heute noch. Ein gedrucktes Werk findet man von dir bei Amazon jedoch nicht. Die Konsequenz der Online-Literatin?

Berkenheger: Es lebe die Inkonsequenz! »Zeit für die Bombe« gibt es inzwischen auch als echtes Buch aus Papier, Dank der Designerin Agnes Wartner. Natürlich ist es kein normales Buch geworden, sondern eines mit ziemlich vielen Löchern drin zum Durchgreifen. Ein Kunstwerk für sich. Bislang gibt’s nur eine handvoll Exemplare davon. Aber an solche Bücher könnte ich mich gewöhnen! Anzugucken unter: www.slanted.de/node/1613

Tischer: Dafür gibt es von dir aber Bühnenstücke.

Berkenheger: Stimmt. Warum, weiß ich auch nicht so genau. Doch! Es macht ungeheuer Spaß sie zu schreiben, beziehungsweise das Rohmaterial für sie zu produzieren. Eigentlich schreibt man sie ja nicht, sondern man spielt sie, improvisiert. Damit es dann aber wirklich ein Stück wird, muss man die dokumentierten Improvisationen noch ziemlich bearbeiten. Trotzdem: Total unterschätztes Produktionsmittel!

Tischer: Wenn heute von Literatur und Internet die Rede ist, dann wird meist darüber philosophiert, wie literarisch Weblog-Texte sind. Von dir habe ich kein Weblog gefunden. Reizt dich diese Form nicht?

Berkenheger: Ausprobiert hab ich es schon mal. Die Worldwatchers, ein Gemeinschaftsprojekt mit Gisela Müller und Klaus Ungerer, beruhen auf einem Weblog. Dieser wurde von fiktiven Bloggerpersönlichkeiten bestückt. (Meine Bloggerin war die damals noch ledige Muji Verhagen, die inzwischen – in Second Life zwangsverheiratet mit einem gewissen Zapedzki – mein Second-Life-Avatar Muji Zapedzki geworden ist). Unsere Figuren, das war die Fiktion, kannten die Welt draußen nur über Webcams und beschrieben sie entsprechend skurril. Das hatte schon einen Reiz. Aber formal ist man halt total eingesperrt in einem Weblog.

Muji Zapedzki und die AccountleichenTischer: Du wirst bei der virtuellen Literaturhauseröffnung von readme.cc am 31. Januar 2008 eine Lesung in Second Life abhalten. Nun wissen wir ja alle, dass Second Life sicherlich einer der größten Hypes und Luftnummern der letzten Jahre war, der jedoch auch großen Spaß gemacht hat. Du selbst hast dich darüber in deinem letzten Kunstprojekt »accountleichenbewegung.de« lustig gemacht. Gibst du Second Life als Kunstplattform noch eine Chance?

Berkenheger: Eigentlich ist Second Life gerade jetzt als verblasster Hype eine super Kulisse. Denn, wie sieht’s denn da jetzt aus: gruslig. Alle brennenden Fragen einer schrumpfenden Gesellschaft zum Beispiel sind in Second Life bestens aufgehoben. Nur: Wenn keiner kommt und guckt? Oder wenn – was natürlich niemals passieren wird – Second Life demnächst dichtgemacht wird, macht das auch nichts. Das ist das Tolle dran. Dank der wirklich famosen Aufzeichnungsinstrumente in Second Life knipst und filmt man einfach alles und bedenkt damit dann das Restinternet. Eigentlich prima!

Tischer: Vieles in Second Life ist wenig revolutionär sondern ein Nachbau des »First Life«. Können wir denn etwas Besonderes bei deiner Lesung erwarten, was sie von einer herkömmlichen Lesung unterscheiden wird, außer dass du dort natürlich virtuell als Avatar lesen wirst?

Berkenheger: Nein, ich für meinen Teil strebe eine ganz normale einschläfernde Lesung an. Nur ist halt noch nicht ganz klar, ob mein Avatar Muji Zapedzki angesichts ihres zerrütteten Verhältnisses zu mir, ihrer Accounthalterin, nicht quer schießen wird. Hoffen wir das Beste und seien auf alles gefasst.

Tischer: Welche weiteren netzkünstlerischen oder netzliterarischen Projekte wird es von dir geben?

Berkenheger: Tja. Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Seit Jahren versuche ich klammheimlich einen haltbaren Hypertext zu verfassen, lasse mich aber immer wieder zu technischen Finessen verführen. Keine Ahnung, womit das enden wird. Vielleicht mit einer Steintafel-Sammlung.

Tischer: Liebe Susanne, ich danke für das Gespräch und viel Erfolg bei deiner virtuellen Lesung!

Berkenheger: Ich danke dir!

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