BUCHSTABENSUPPE Suppentasse
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?-St?rung
von Daywalker

Das Leben ist schon ungerecht für ein »ß«. Ich meine, man muss sich mal vorstellen, wie das ist in der heutigen Zeit, so als unschuldiges Opfer einer Rechtschreibreform.

Ich kann mich noch gut erinnern, damals in der Schule, als der Schnee noch drei Meter hoch lag und wir 2 Stunden zu Fuß (da war wieder eines) ohne Schuhe in die Schule gegangen sind, da war die Welt noch in Ordnung. Dem »ß« ging es richtig prima. Ich kann mich noch gut an die leuchten Augen von mir und meinen Mitschülern erinnern, wie wir andächtig dem Lehrer zuhörten, als er uns vom »Dreierles-Ess« erzählte. In unserer schwäbischen Kleinstadt gab es nicht viel Neues und umso wertvoller war die Erkenntnis über diesen neuen Buchstaben. Während wir damit befasst waren, dem neuen Buchstaben durch intensive Schreibübungen, die angemessene, formvollendete Ehre zu erweisen, wuchsen Ideen in meinem Kopf, wie es wohl aussieht, das »ß«. Ist es klein, mit Sommersprossen unter einem roten Wuschelkopf? Ach nein, das war ja Pumuckel oder war es das Sams? Ist ja auch egal. Es war sozusagen Platzhalter für viele tolle Abenteuer und in meinem kindlichen Hirn formten sich Ideen für Geschichten mit Titeln wie »ß geschah am hellichten Tag« oder »Das lustige ß auf großer Reise«.

Auch die Industrie entdeckte das Potential dieses ästhetischen Buchstabens. Wer erinnert sich nicht an die leckeren »Eszett«-Schnitten in Vollmilch, später auch mit künstlichem Orangenaroma. Ein Buchstabe als Werbeträger, toll. Heute unverstellbar, da Begriffe wie »B-Riegel« oder »Y-Scheibe« eher doof klingen. Der Fairness halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Amerikaner mit ihren »M&M«s am ehesten an die Erfolge der Eszett-Schnitte anknüpfen können. Nicht zuletzt der zugegeben nordisch-kühle Begriff »Eszett« für unser lieb gewonnenes »Dreierles-Ess« waren Anzeichen für einen bevorstehenden Wandel.

Als dann die für mich als Linkshänder diskriminierende Rechtschreibreform auf den Plan trat, ging es auch mit unserem »ß« bergab. Die Zeiten wurden hart für unseren kleinen Freund, der in keiner einzigen Emailadresse vorkommen durfte, der niemals als stolzer Teil einer Webadresse in einem Browserfenster stehen würde. Aber »ß« wollte kämpfen. Doch die hohen Herren der Reform, hatten mit ihm etwas anderes vor, gleichbedeutend mit einer Klimakatastrophe, die ehemals stolze Kolosse der Vorzeit zu eingefrorenen Mammuts verwandelte. Plötzlich »muß« man nichts mehr und auch das so intensiv erlernte »daß", auf das unser »ß« so stolz war ob seiner tiefschürfenden Verkettungswirkung, wurde umgewandelt.

Das »ß« wollte niemals etwas Böses. Nur sein Recht auf Gleichberechtigung, auf Anerkennung als Minderheit im endlosen Meer vom Buchstaben, Wörtern und Anglizismen. Es hat nie darum gebeten, in der Schreibbibel, dem Duden seitenweise Widmungen zu bekommen und, meine lieben Leser, es hat auch nicht gewollt, dass Menschen wie wir, sich in die Wolle kriegen und sich darüber streiten, welche Regel, egal ob in der Schweiz, in Deutschland oder in Österreich, die richtige ist.

Bitte lasst uns gemeinsam verhindern, dass ß-Störungen unser von Regeln und Normen geplagtes Leben nicht noch negativer beeinflusst.

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