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Freitags beim Friseur
von Ingeborg Jaiser

Im Friseursalon herrscht wie jeden Freitagnachmittag geschäftige Betriebsamkeit: Gesprächsfetzen vermischen sich mit dem Surren der Föhns und Trockenhauben, Wasser rauscht, Scheren schnippen, Haarsprayduft benebelt die schwere, feuchtwarme Luft.
     Sie sitzt wie gewohnt ganz hinten, wo es schon etwas ruhiger zugeht. Jeden Freitag kommt sie und jeden Freitag will sie nur von ihm bedient werden. Jede Friseuse würde in einer Kundin eine mögliche Konkurrentin sehen und nie ihr Bestes geben. Er dagegen ist gleich bleibend zuverlässig und zuvorkommend. Wenn sie vor im sitzt - klein, zierlich, wohlgeschminkt, mit diesem kräftigen rotbraunem Haar, das ihr wie ein Wasserfall über die Schultern fließt, ist er in seinem Element. Behutsam fasst er ihre Naturlockenpracht zusammen, massiert sie unter einem duftendem Schaum von perligem Shampoo und entwirrt sie mit einem grobzahningem Kamm. Zärtlich fährt er mit den Fingern durch die Strähnen, spürt die weichen Wellen, die in kleine Kringellöckchen übergehen. Mit traumwandlerischer Sicherheit setzt er hier und da die Schere an und lässt eine überflüssige, aus der Reihe tanzende Locke zu Boden segeln. Mit geschicktem Schwung legt er die wallenden Haare in Form - wobei er manchmal - sei es aus Zufall oder innerer Absicht? - ihre zarte Sommersprossenhaut streift, sekundenschnell, mal hinterm Ohr, mal auf dem Hügel ihrer Wangen.
     Wenn dann die Mähne geschnitten, getrocknet, gebändigt ist, treffen sich ihre Blicke noch ein letztes Mal im Spiegel. Er streicht zum Abschied behutsam ein paar widerspenstige Locken aus ihrer Stirn - und dann, vorne an der Kasse, legt sie einen Fünfziger hin für seine Aufmerksamkeit und erinnert ihn daran, dass seine Liebe käuflich ist.

© 1998 by Ingeborg Jaiser. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

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