Gero von Büttner: Reisetagebuch USA
September 2001 - Ein Staat erlebt den Terror

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2. September 2001
Stuttgart - Brüssel - Boston

BostonVertrauensbildende Maßnahme beim Abflug: Der Mann bei der Gepäckkontrolle erkennt anhand des Röntgenbildes meiner Reisetasche die (eher seltene) Marke meines Handys. Selbst für mich war es nur ein hellblauer Punkt inmitten Orange. Auf jeden Fall ist davon auszugehen, dass der Mann auch Sprengsätze identifizieren kann. Es sei denn, er hat vor der Umschulung im Mobilfunkladen Handys verkauft.
     In den USA heißen Handys im übrigen nicht Handys sondern cell oder mobile (phones). Und die meisten der europäischen Geräte sind in den USA ohnehin nicht zu gebrauchen, da die amerikanischen Mobilfunknetze nicht kompatibel mit den europäischen sind.

»Erschter Schnee in den Alpen, Eugen!« berichtet die Zeitung lesende Frau in der Abflughalle vermutlich ihrem Ehemann. Aber Eugen und mir ist das ziemlich egal, und am Südpol liegt immer Schnee.

»Vielen Dank für Ihr Verständnis für die befristeten Unbequemlichkeiten«. Diese vorauseilende Anbiederung ist auf Plakaten im Brüsseler Flughafen zu lesen. Dennoch ist es irgendwie ein interessanter Satz und ich überlege mir, wo man ihn noch anbringen könnte: z.B. beim Zahnarzt. Oder der Bankräuber schiebt den Satz zusammen mit seiner Geldforderung dem Kassierer hin. Noch schwärzere Varianten dürfen Sie sich selbst ausdenken.
     In Brüssel regnet es, und alles ist grau in grau. Eigentlich habe ich mir früher Belgien so auch vorgestellt. Aber um 15 Uhr 5 bringt uns der nächste Flieger hier weg und um 17 Uhr Ortszeit bei minus sechs Stunden Zeitverschiebung sind wir in Boston.

In den USA gerade das Thema: Haie. Am Tag vor unserer Ankunft wurde ein Junge beim Schwimmen an einem Strand Virginias von einem Hai getötet. Fünf Fuß, so betont man in den Nachrichten immer wieder, sei das Wasser nur tief gewesen. Naja, dass sind 1,5 Meter. Das reicht doch wohl für einen Hai. »This is no pool out there, this is real life«, sagt der Experte, der dekorativ auf einem Holzsteg gefilmt wird. Das echte Leben tobt also im Meer.  Wobei: wer wirklich dahinter steckt, das schreit uns am nächsten Tag im Supermarkt ein Boulevardblatt entgegen: Kuba! Der Kommunismus!! Dort plant man, hungrige Haie auf die amerikanischen Küsten loszulassen als biologische Waffen des 21 Jahrhunderts.

BostonBeim Landeanflug (um an dieser Stelle wieder zum Reisegeschehen überzuleiten) sieht Boston sehr schön aus. Direkt am Meer gelegen, mit vielen Buchten, ist die Stadt keine endlose Fläche mit grauen Vororten, sondern eher grün mit sehr viel Bäumen dazwischen. Viele Segelbote auf dem herrlich blauen Wasser, der Himmel wolkenlos.
     Dann die üblichen Einreiseformalitäten: zuerst gibt man am Zoll den grünen Zettel ab, den man schon im Flugzeug ausgefüllt hat. Darin enthüllt man, wo man herkommt und wo man hin will, ob man dem Kommunismus dient, während des Zweiten Weltkrieges böse Dinge getan hat oder sonst schon einmal in den USA unangenehm aufgefallen ist. Kurze Kontrollfrage des Zollbeamten nach dem Beruf. Der Kalauer »Ich bin eBook-Hacker« wäre wohl nicht gut angekommen.
     Dann, nachdem man das Gepäck in Empfang genommen hat (juhu, es ist angekommen!), gibt man den weißen Zettel ab, auf dem wiederum vermerkt ist, ob man was zu verzollen gedenkt.
     Und dann endlich ist man im Land der Freiheit, und unser erster Weg führt folgerichtig zur Autovermietung. Allerdings endet die Freiheit schon wieder bei einer Höchstgeschwindigkeit von 55 oder 65 Meilen und wird jenseits davon zum Verbrechen. Dennoch ist Auto fahren in den USA ein Erlebnis und man sollte sich auf keinen Fall ein kleines Auto mieten, denn schließlich fährt man hier nicht im Auto, sondern residiert darin. Man hat Armlehnen rechts und links, denn hier gibt es kein Schaltgetriebe. Für die konstante Geschwindigkeit auf den Highways sorgt der Tempomat, sodass auch der rechte Fuß nicht ständig aufs Gaspedal treten muss. Überhaupt scheint unser Auto ein denkendes Wesen. Beim Losfahren schließt es automatisch die Türen (wegen der bösen Verbrecher am Straßenrand) und auch das Licht schaltet sich bei Dunkelheit selbstständig ein. So gleitet man über den Highway dahin, denn da alle gleich schnell fahren (egal ob Lastwagen oder PKW) und auch rechts überholt werden darf, braucht man sich im Großen und Ganzen auch um Spurwechsel nicht zu kümmern.
     Wir erreichen unser einzig vorab übers Internet gebuchtes Hotel gegen 20 Uhr (oder 8pm, wie's hier heißt) und sinken in den Schlaf.

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