Die Zeit ist Stein geworden
Mit dem Schiff durch die ägyptische Wüste - Auf dem Nil von Luxor bis Assuan
Von Matthias Roth

Tempel von KarnakBiblische Landschaften ziehen an uns vorüber. Die Zeit ist Stein geworden. Die Tempel von Karnak, die Anlage in Luxor. Gewaltige Eindrücke. Überraschend gut erhaltene Säulenbeschriftungen: sie sind immerhin 3.000 bis 5.000 Jahre alt! Aber über Jahrhunderte waren sie vom Wüstensand zugeweht, bis sie im 19. Jahrhundert wieder ausgebuddelt wurden. Dieses Vergessenwerden unter dem Wüstensand war das Glück vieler dieser Bauten. Im Flugzeug Egon Friedells wundervolle, wenn auch historisch heute etwas veraltete Betrachtungen gelesen. Dennoch viele Einsichten gewonnen.

Fühle mich wie Rimbaud in Afrika: weg von allem, was bisher wichtig war.

Segelnde FelukeEinen Drink in der Hand, ein Buch auf den Knien, Sonnenbrille und Kamera im Anschlag: draußen die Männer in kleinen Booten beim Fischen, die Frauen waschen die Wäsche im Fluss, die Kinder spielen Fußball. So ziehen wir langsam dahin in Richtung Süden. Der Wind bläst heftig stromaufwärts: Kein Aufwand für die segelnden Feluken, auch schwere Ladungen gegen die Strömung zu transportieren.

Vorbei an Lehmhüttensiedlungen, teils mit Auto vor der Tür und Satellitenschüssel auf dem Dach, das mehr dem Sonnenschutz dient als der Abwehr von Regen. Getreide-, Reis- und Zuckerrohrfelder. Bananenplantagen. Unser Schiff ließ in einer Flussbiegung den gesamten Gelbe-Tonne-Müll ins Wasser: möglicherweise eine Art »Entwicklungshilfe« für die Anwohner, für die eine Plastikflasche ein wertvoller Gegenstand des täglichen Lebens ist.

Die Kapitäne der Dampfer, die nur einen Meter Tiefgang haben und im offenen Meer ohne Zweifel kentern würden, stammen fast alle aus einer Sippe aus Aswan (Assuan): Der Nil verändert oft seine Tiefe, und schwimmende Inseln aus Schilf und Tang gaukeln Land vor, wo keines ist, würden allerdings die Schiffsschrauben lahm legen. Kaum Bojen zu sehen entlang der fleißig befahrenen Route.

Die Tempelanlage von Edfu, mit einer Kalesche erreicht durch diese plötzlich so vollkommen arabische Stadt. Luxor sehr europäisch dagegen. Nun wirklich in Afrika. Wir lasen den detaillierten Baubericht über diese sehr gut erhaltene Tempelanlage (eine Übersetzung des hieroglyphischen Schriftbandes, das um den ganzen Bau herumgeht) auf dem Schiff und kamen aus dem Schauen und Staunen kaum heraus.

Säulen mit mannshohen Menschendarstellungen Kom Ombo by night und morgens: Die mannshohen Menschendarstellungen verlieren hier ihre formale Steifheit, aber auch ihre königlich-göttliche Würde, haben bisweilen Bauchansätze und dralle Brüste. Deutlich griechischer Einfluss.

Die Wüste kommt immer näher an den Fluss. Kein breites, grünes Tal mehr. Grelle Farben, bedrohliche Trockenheit. Bepflanzungen auf kleinstem Raum. Die Fellachen immer dunkelhäutiger: Wir nähern uns dem Goldland Nubien. Lesen beide abwechselnd den Bericht des amerikanischen Ägyptologen Kent Weeks über seine Entdeckung des Grabes »KV5« im Tal der Könige. Darin die Schilderung seiner ersten Nilreise von 1963, die ihn von Kairo bis Abu Simbel führte: Keiner an Bord habe damals ein Buch aufgeschlagen, aus Angst, etwas von der grandiosen Landschaft zu versäumen. Heute kann man eher lesen, da man die Landschaft mit einem 300mm-Objektiv sicher »im Kasten« hat. Zuhause sieht man dann, wo man gewesen ist. Andererseits muss man sich hier um nichts kümmern, und der freundliche Steward ist dauern um einen herum.

Flug nach Abu Simbel gestrichen wegen Sandsturms. Aufenthalt in Aswans Rosengranit-Steinbruch (Muezzin-Konzert um Mittag über der Stadt) und auf der Tempelinsel Philae. Viel Augenarbeit. Abends Bazar. Viel Abwimmelarbeit. Doch die Araber wollen handeln, nicht betrügen oder betteln. Wirklich kaum Bettler in diesem Land.

Auf der Kalabsha-InselDer Nil ist breit und blau. Aswan eine der schönsten Städte, die wir je gesehen haben. Mit einem motorisierten Boot durch die Felsen des Katarakts. Herrliches Wasser, eingekreist von den hohen, goldgelb strahlenden Dünen der Sahara. Botanischer Garten auf der Kitchener-Insel, auch Staudamm und Kalabsha-Insel, die man nur mit Militärschutz besuchen kann: Höchste Sicherheitsvorkehrungen wegen des Staudamms. Wenn er bricht, rast eine über 100 Meter hohe Flutwelle zum Meer hin, und Ägypten ist Geschichte. Auf dem Rückweg Besuch der Gräber hoch über der Stadt am Ufer gegenüber: 5. Dynastie, etwa die Zeit der Pyramidenbauten von Gisa (oder kurz danach). Atemraubender Rundblick über den Fluss, die Stadt, die Wüste. Abends Old Cataract Hotel: Hier schrieb Agatha Christie ihren Krimi »Tod auf dem Nil«. Very british tranken wir Tee auf der Veranda und aßen die teuersten und leckersten Minitörtchen unseres Lebens: Unvergesslich schreibt man so eine banale Ruhepause in sein Gedächtnis ein, und nie werden wir das Geld - wie viel es auch gewesen ist - bereuen.

Rückreise nach Luxor: Nochmals kurz Kom Ombo, und nur wir beide noch einmal zum überwältigenden Edfu-Tempel, wo wir sowieso stundenlang vor Anker lagen. Sehr eindrucksvoll im Abendsonnenlicht. Vergleichbar nur mit den schönsten mittelalterlichen Domen Europas: Edfu allerdings entstand rund 1500 Jahre früher als diese. Unhöfliche, fast rüpelhafte deutsche Rentner auf dem Schiff. Esna am frühen Morgen: Man muss gut 15-20 Meter in eine Grube hinab steigen, um an diesen Tempel zu gelangen: Die Stadt drumherum, immer auf dem Schutt der Vorgängerbauten neu errichtet, wuchs einfach in die Höhe und hätte den Tempel fast unter sich begraben. Greifbare Geschichte als Schuttablagerung. Dann Busfahrt nach Luxor: Theben West und Hatchepsut-Tempel. Grässlicher Durchfall: der »Fluch des Pharaos«, heißt es. Im Tal der Könige geht es zu wie in der Getreidegasse in Salzburg. Marie-Theres allein im Tutanchamun-Grab. Kindheitstraum.

Beim Luxor-TempelZwei Nächte im Old Winter Palace, dem berühmtesten Hotel der Stadt. Wir hatten Zimmer in der obersten Etage des (billigeren) Neubaus mit Blick über den Nil und hinüber zum Tal der Könige: Den riesigen Hatchepsut-Tempel sieht man vom Balkon aus, und es wird klar, dass dieser gigantische, heute faschistisch anmutende Bau errichtet wurde, damit er auch von weit her (von der alten Hauptstadt Theben aus) zu sehen ist und ein großes Dreieck bildet mit dem Karnak- und dem Luxor-Tempel. Sehr luxuriös angelegter Hotelgarten. Hier lässt es sich wirklich angenehm überwintern. Mildes Wetter (Anfang März), sogar recht warm am Nachmittag. Der Blick über den Nil entschädigt für die fürchterlichen, zum Glück wirklich nur einen Tal lang anhaltenden Magenkrämpfe.

Ägyptisches Museum in Luxor: vor allem Kellergeschoss mit den sensationellen neuen Funden aus dem Luxortempel (Kolossalstatuen aus dem Alten und Mittleren Reich), die vor wenigen Jahren in einem Bereich aufgefunden wurden, über den seit Jahrzehnten täglich Tausende von Touristen stiefeln. Auch sonst sehr ausdrucksvolle, ausgewählte Skulpturen. Schulklassen sehr diszipliniert. Abends Suche nach Malvenblütentee auf dem Bazar. Die wirklich guten Sorten holen sie aus dem hinteren Lager: Er muss dunkel sein, fast schwarz, riet man uns. Der Rat war gut.

Matthias Roth

Mein Dank gilt meiner Frau Marie-Theres für ihr kritisches Gegenlesen des Textes und dem Kollegen Dieter Roth für das Scannen der Fotos.

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