New York - Ende 2003
Ein Tagebuch aus dem Praktikum in einer gro�en Stadt
Foto von New York

Teil 5 - 25.12.2003
Ein Praktikum geht zu Ende: »That was New York!«

New York Alles Schöne hat bekanntlich ein Ende und somit auch unser Aufenthalt hier in New York. 22 Stunden trennen uns noch vom guten alten Europa und während wir versuchen das Erwerben letzter Weihnachtsgeschenke, das Besuchen letzter Weihnachtspartys, das letzte Treffen mit Freunden und schließlich und endlich das Packen unserer Koffer in dieser kurzen Zeit unter einen Hut zu bringen, schweifen unsere Gedanken immer wieder ab und im Abstand von zehn Minuten beginnt einer von uns mit Worten wie »Wisst ihr noch, damals, als wir in Brooklyn waren...«, »Könnt ihr euch noch an den Tag in Williamsburg erinnern« oder »Den Bookshop am Broadway werde ich ziemlich vermissen...« die jüngste Vergangenheit wieder aufleben zu lassen.
     Man könnte meinen, dass sich in 90 Tagen USA bzw. New York nicht allzu viel verändert. Mir wurde auch des öfteren von alten New York Veteranen erklärt, dass man sich hier mindestens zwei Jahre aufhalten müsste: das erste Jahr würde man alles an dieser Stadt hassen und sich ständig darüber beschweren; das zweite Jahr würde man das Gefühl bekommen, nirgendwo anders mehr leben zu können, sich zwar immer noch über alles beschweren, aber dann in dem Wissen, dass das einfach dazu gehört zur New York attitude.
     Nun gut, statt der zwei Jahre hatten wir zwar nur das drei Monate Tourist Visum zur Verfügung, aber auch das war ausreichend, um eine Art Hass-Liebe aufzubauen und sogar die eine oder andere kleine Persönlichkeitsänderung festzustellen.
     Als wir hier ankamen, dachten wir oft, wir wären anstatt in einer zivilisierten Metropole irgendwo zwischen Zweiter und Dritter Welt gelandet: Müllberge türmen sich hier auf den Straßen, jede Unterkunft hat ihre eigenen kleinen unerwünschten Haustiere aufzuweisen, Warmwasser und Heizung sind bei weitem nichts Selbstverständliches und Riesenlöcher in den Straßen vermitteln einem eher das Gefühl einer Rallye Paris Dakar, als jenes eines entspannten Fahrrad-Trips durch Manhattan.
     Mittlerweile halten wir einfach einen drei Meter Sicherheitsabstand zum Müll ein, um so den Hautkontakt mit Ratten zu vermeiden; Kakerlaken bringen uns schon längst nicht mehr aus der Fassung, solange sie nicht ein Mindestmaß von 10 cm erreichen; wir freuen uns eher über die Tatsache, dass entweder Heizung oder Warmwasser funktioniert, anstelle deren Absenz zu bedauern und zum Radfahren ist es ohnehin schon zu kalt. Außerdem haben wir uns schon dabei ertappt, auf ähnliche Erfahrungsberichte unwissender Neuankömmlinge mit eben jenem Satz zu antworten, den wir selbst anfangs immer hören mussten, jedoch niemals hören wollten: »Well, that's New York, you know!«.
New York     Eine sehr paradoxe Entwicklung, die ich an mir selbst festgestellt habe, ist jene, zugleich viel freundlicher, aber auch viel bestimmter geworden zu sein. Beispielsweise beantwortete ich Anrufe im Büro anfangs noch auf die grimmige europäische Weise mit »Yes? CIA?« (Anm. d. Autorin: es handelt sich hierbei nicht um die allseits bekannte Central Intelligence, aber um die nicht minder wichtige Creative Information Agency :-), was sich nach wenigen Wochen dann zu einem »Creative Information Agency, this is Claudia. - Pause - How are YOU today? - Pause - And what can I do for you today? - Dialog - Thank you for calling us and YOU have a great day!« steigerte.
     Reagierte ich auf Kommentare wildfremder Menschen in U-Bahn/Bus/Straße wie »I LOVE your boots/skirt/coat etc. noch mit suspektem Blick und scheuem Lächeln, schlage ich jetzt schon blitzschnell und ebenso enthusiastisch zurück: »And you know what? I really LOVE your nail polish/haircut/whatever!
      Gleichzeitig lernt man aber auch, in den richtigen Situationen richtig böse zu werden. Reagierten wir anfangs auf jegliche Absenz von Elektrizität und/oder Wasser erstmal gar nicht, in der Hoffnung, dass beides schon wieder irgendwann zu uns zurückkommen würde, gingen wir im Laufe der Zeit zu Privatbesuchen bei unserem Vermieter über. Mittlerweile rufen wir einfach die »heating police« an und schwups - schon räkeln wir uns für die nächsten zwei Tage im wohlig warmen Raum. Probleme telefonisch zu regeln war anfangs ein echtes Problem. Ich ließ mich üblicherweise 47 mal von einem Mitarbeiter zum anderen verbinden, um dann 47 mal dasselbe zu schildern. Ganz egal, ob es sich nun um Rechnungen, Probe-Abos, Gratis-Internet-Kündigung etc. handelte, die Gespräche endeten meist so, dass man mich irgendwann aus der Leitung warf. Jetzt weiß ich, dass der Satz »Listen, Tracy. Let me talk to your manager. NOW.« Wunder bewirkt.
New York     Ein weiteres Detail, das in Verbindung mit unserem Aufenthalt hier erwähnenswert scheint, war die fließende Entwicklung einer leichten Tendenz zur Dekadenz. Es dauerte nahezu sechs Wochen, bis wir uns das erste Taxi gönnten. Und das auch nur aufgrund widrigster Umstände, wie strömenden Regen und überflutete U-Bahn. Nun stehen Maren oder ich schon längst lässig winkend an der Straße, noch bevor überhaupt über cab oder subway diskutiert wurde. Unsere erste 5 $ Maniküre war noch ein festliches Ereignis. Ein magischer Moment. Nun fragen wir uns nur noch, ob Samstag oder Sonntag besser wäre für die wöchentliche Mani- und Pediküre - Augenbrauen - und Bein-Waxing - Pauschale.
     Man gewöhnt sich einfach sehr schnell an diesen New York Lifestyle: home delivery, taxi rides, beauty spas, fat free take away food, Sonntags-Brunch und oberflächliche Floskeln wie »Sure, I'm gonna call you!«, »Yes! We have to see each other DEFINITELY this weekend!«, »You look absolutely AMAZING tonight!«, obwohl man schon im Moment, wo jene Worte das jeweilige Gegenüber erreichen, weiß, dass sie alles andere als der Wahrheit entsprechen.
     Vielleicht doch ganz gut, dass die Abreise in unsere europäischen Heimatländer kurz bevorsteht - nach dem oft empfohlenen Zwei-Jahres-Aufenthalt würden wir uns wahrscheinlich selbst zu jenen von Kopf bis Zeh durchgestylten, Armani Kostümchen tragenden und sich nur mit Visitenkarte vorstellenden Frauen entwickelt haben, bei denen wir jetzt noch genervt die Augen gen Himmel rollen :-)

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© Text und Bilder 2003 by Claudia Sebunk. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Claudia Sebunk, Publizistik-Studentin an der Universität Wien, befand sich Ende 2003 im Alter von 26 Jahren in New York, wo sie für drei Monate als Praktikantin in einer Fotoagentur arbeitete. In dieser Zeit schilderte sie Woche für Woche ihre Eindrücke im Literatur-Café schildern.

Wozu ein Praktikum? Einerseits um die nach Studienabschluss mit großer Sicherheit folgende traurige Periode der Arbeitslosigkeit zumindest um einige Wochen hinauszuzögern; andererseits um die Lücken jener ominöser Liste namens »Was ich in meinem Leben schon alles erreicht habe«, die jeder, der kurz vor seinem 30. Geburtstag steht, gezwungen ist, aufzuzählen, zumindest durch »Auslandserfahrung« aufzufüllen, nachdem Punkte wie Job, Haus, Hund, Mann, Kind nach wie vor durch Abwesenheit glänzen und bis zu oben erwähnten Datum auch nicht unbedingt zu erwarten sind.

Mit wem? Nachdem sie 2002 das selbe Abenteuer schon einmal, jedoch alleine, gewagt hatte, entschloss sie sich dieses Mal für eine Dreier-Konstellation (bitte schlüpfrige Witze an dieser Stelle bei Bedarf selbständig einfügen) und lebt nun mit einem Pärchen, bestehend aus zwei weiteren Praktikanten in New Yorks East Village.

Warum New York? Die Mieten rangieren in Höhen, die nur noch schwindelfreie Menschen zu erklimmen im Stande sind. Es ist laut. Es ist dreckig. Und zu dieser Jahreszeit auch nicht gerade kuschelig warm. Eine Wohnung, deren Heizung nur an drei Tagen pro Woche funktioniert und die leider auch gleichzeitig Effekte auf das Warmwasser hat (das in diesem Falle als Kaltwasser bezeichnet werden müsste), macht diesen Umstand nicht gerade leichter. Man steckt ständig in einem Strom von Menschen fest, der einen in Richtungen drängt, in die man eigentlich gar nicht wollte. Begriffe wie quality time, fat free/sugar free sweets (ein Paradoxon per se) und Wasserkakerlaken (als wenn normale Kakerlaken nicht schon reichen würden) müssen plötzlich in den Wortschatz integriert werden und man hat pro Tag etwa $10 Dollar zur Verfügung, um die amerikanische Wirtschaft anzukurbeln bzw. das eigene Bäuchlein wahlweise mit Essen oder Bier zu füllen (beides ist aufgrund oben erwähnter finanzieller Umstände selten möglich). Warum zur Hölle tut man sich das an?

Weil es sich eben um New York handelt. Und die Stadt ist es immer noch wert, auf sämtlichen verwöhnt-europäischen Luxus zu verzichten, um sich kopfüber ins Abenteuer zu stürzen. New York macht mit all seinen Superlativen alles andere wett.

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