New York - Ende 2003
Ein Tagebuch aus dem Praktikum in einer gro�en Stadt
Foto von New York

Teil 1 - 27.11.2003
That's New York - Das ist New York

New York»New York, New York...if you can make it there, you make it everywhere« - bisher waren das für mich zwei Zeilen eines um diese Stadt zu beschreiben oft bemühten Evergreens. Seit ich mich allerdings selbst im »Big Apple« befinde (und die Metropole so zu nennen, ist schon der erste ungewollte Schritt in Richtung Touristen-Outing), um hier ein Praktikum in einer Photoagentur zu absolvieren, kann ich anhand eigener Erfahrung nachvollziehen, wie es zu eben jenen Worten gekommen sein mag. Denn nirgends zuvor war ich in so kurzer Zeit so vielen haarsträubenden Situationen ausgesetzt, denen ich mittlerweile jedoch mit immer größerer Nonchalance entgegentrete und somit kann ich mit Recht und lautkräftig in den Refrain einstimmen: wenn ich es erst mal hier geschafft habe, bringt mich so schnell nichts mehr aus der Fassung!

Seit kurzem befinde ich mich nun also im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Kann ich jedoch - wie eben beschrieben - Frank Sinatras Motive, dieses Lied zu schreiben, mittlerweile sehr gut nachvollziehen, bereitet es mir doch größere Schwierigkeiten, jene unbegrenzten Möglichkeiten aufzuspüren. Als Europäerin bin ich es beispielsweise gewohnt, meinen Morgenkaffee mit Zigarette zu genießen. Ist es nun schon seit längerem verboten, diesem Laster in öffentlichen Gebäuden, Cafés und Restaurants zu frönen, was ja auch durchaus noch akzeptabel wäre, ist es mittlerweile nicht nur in allen Bars, Clubs und Diskotheken untersagt, zu rauchen - es kann einem auch passieren, dass man in öffentlichen Straßencafés freundlich aber bestimmt dazu aufgefordert wird, Zigarette Zigarette sein zu lassen. (Gott sei Dank habe ich jedoch mittlerweile eines jener seltenen Etablissements gefunden, dessen eine Straßenseite an der East 11th Street zwar als rauchfreie Zone gilt, hat man jedoch Glück und findet ein Plätzchen an der anderen Seite, der 2nd Avenue, kann man schon frohen Mutes den Aschenbecher bestellen). Wenn man schon beim Rauchen ist, ist der nächste Schritt in Richtung Alkohol meist nicht mehr weit. Doch auch ein kühles Blondes ist hier nicht so leicht zu ergattern, wie unter europäischem Himmel. Erst gilt es, die ID immer griffbereit zu haben (obwohl ich zugeben muss, dass es mir manchmal schmeichelt, wenn man sich weigert, mir mit meinen knapp 27 Lenzen Alkoholika ohne Ausweis über den Tresen zu reichen). Hat man diese Hürde überwunden, muss man sich nur noch an zwei kleine Details gewöhnen: aus der Papiertüte zu schlürfen und mindestens dreimal mehr bezahlen zu müssen als in heimischen Gefilden.

New YorkNun gut, diese Verbote mögen ja allesamt der Gesundheit zu Gute kommen und könnten somit auch irgendwie positiv gesehen werden. Aber wohin man in New York auch blickt - wenn man bewusst darauf achtet, scheint diese Stadt anstatt aus »Dos« nur aus »Don'ts« zu bestehen. Im Central Park, der grünen Oase der Metropole, ist es zum Beispiel abschnittsweise untersagt, den Rasen zu betreten, Musik zu hören, zu spucken, zu rennen oder Rad zu fahren. »Don't block the box« - Schilder (die darauf aufmerksam machen sollen, bei blinkender Ampel nicht mehr in die Kreuzung zu fahren) sind hier mindestens genauso häufig anzutreffen, wie »Don't honk« und »Park here? Don't even think about it!«.

Aber was soll's. Man ist schließlich in einer der aufregendsten Städte der Welt - und das hat seinen Preis. Im wahrsten Sinne des Wortes... Wer hier wohnen will, muss sich auf Mieten einstellen, für die man in Mitteleuropa in einem mittelgroßen Penthouse samt Dachterrasse logieren und abends die müden Beine im wohl temperierten Jacuzzi entspannen könnte. Für unser Appartement berappen wir beispielsweise 1.500 Dollar monatlich - und es könnte nicht weiter von eben beschriebenem Penthouse sein. Unser Juwel von Wohnung - und mit der Verwendung des Possessivpronomens »unser« stelle ich meine beiden Mitbewohner, ebenfalls Praktikanten aus Deutschland, vor - hat ein Gutes: es befindet sich im East Village, jener Gegend, die früher als Drogen- und Kriminellenviertel galt, zurzeit jedoch unter »trendy« läuft, Nein, man darf hier nicht unfair sein und muss auch noch die wunderschönen warmen Farben beschreiben, in die unsere vier Wände getaucht wurden, denn sie spiegeln die gesamte Palette eines perfekten Sonnenuntergangs wider. Leider ist die Liste der Nachteile jedoch etwas länger. New YorkWohnung beispielsweise ist schon das falsche Wort, Raum mit Kochecke kommt der Sache schon näher. Ob man diesen einen Raum nun Wohn-, Schlaf- oder Esszimmer benennen will, bleibt der eigenen Fantasie überlassen. Wir entscheiden meist nach Situation. Auch Badezimmer trifft die Realität nicht ganz, da man darin aus Mangel an Badewanne und warmen Wasser alles andere, aber nicht baden kann. Will einer von uns ankündigen, dass er sich auf dem Weg dahin macht (was an und für sich schon keiner Ankündigung bedarf, da man sonst ohnehin nirgends anders hingehen könnte), sagt er/sie meist, er/sie gehe »zu den Kakerlaken«. Ja ja, das ist New York. Kakerlaken gehören dazu, wie die tägliche fettfreie Peanutbutter aufs Brot. Aber auch dieser Situation kann man etwas Positives abgewinnen (wir sind mittlerweile dazu übergegangen, jeder Situation was Positives abzugewinnen, allein um die negativen Situationen zu verringern...): erstens wusste ich nicht, dass diese Käfer bis zu zehn Zentimeter groß sein können und habe somit meinen Horizont erweitert und zweitens schockieren mich die »normalen kleinen« nun gar nicht mehr.

New YorkWasserrohrbruch, Stromausfall, Gas ausströmender Herd, Toilette, die nicht mehr aufhört zu spülen? War alles schon da in den letzten vier Wochen. That's New York! Gott sei Dank sind hier aber auch die Decken so dünn (as Swiss cheese, wie unser Vermieter zu sagen pflegt), dass der Mieter unter uns schon nach zwei Minuten auf unser kleines WC-Problem aufmerksam wurde und sofort zu Hilfe eilte. Denn Hilfsbereitschaft ist eben auch New York. Auch darauf muss man sich als an Schroffheit gewöhnter Europäer erst einstellen. Zwanzig Mal pro Tag gefragt zu werden, wie es einem geht. Und zwar von Personen, die einem bei uns noch nicht mal ein grimmiges »Guten Morgen« zukommen lassen, wie dem Buschauffeur, der Bankangestellten, dem Supermarkt-Einpacker (den es bei uns noch nicht mal gibt). Stehe ich mal verloren in der Stadt (was aufgrund des quadratischen Straßensystems ohnehin so gut wie nie vorkommt), vergehen keine zwei Minuten, bis mir einer zeigt, wo's langgeht. Bepackt mit siebzehn Tüten? No problem in the land of the free and the home of the brave. So schnell kann man meist gar nicht »Thank you so much« wispern, wie sowohl Tüten als auch man selbst am gewünschten Ort landen.

Und das allein - kombiniert mit so vielen Superlativen, wie man sie wohl nirgends weltweit sonst findet - macht ein großes Minus auf dem Konto, weniger Rauschzustände und hygienische Engpässe wieder wett. That's New York. Und ich freu mich drauf!

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© Text und Bilder 2003 by Claudia Sebunk. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Claudia Sebunk, Publizistik-Studentin an der Universität Wien, befand sich Ende 2003 im Alter von 26 Jahren in New York, wo sie für drei Monate als Praktikantin in einer Fotoagentur arbeitete. In dieser Zeit schilderte sie Woche für Woche ihre Eindrücke im Literatur-Café schildern.

Wozu ein Praktikum? Einerseits um die nach Studienabschluss mit großer Sicherheit folgende traurige Periode der Arbeitslosigkeit zumindest um einige Wochen hinauszuzögern; andererseits um die Lücken jener ominöser Liste namens »Was ich in meinem Leben schon alles erreicht habe«, die jeder, der kurz vor seinem 30. Geburtstag steht, gezwungen ist, aufzuzählen, zumindest durch »Auslandserfahrung« aufzufüllen, nachdem Punkte wie Job, Haus, Hund, Mann, Kind nach wie vor durch Abwesenheit glänzen und bis zu oben erwähnten Datum auch nicht unbedingt zu erwarten sind.

Mit wem? Nachdem sie 2002 das selbe Abenteuer schon einmal, jedoch alleine, gewagt hatte, entschloss sie sich dieses Mal für eine Dreier-Konstellation (bitte schlüpfrige Witze an dieser Stelle bei Bedarf selbständig einfügen) und lebt nun mit einem Pärchen, bestehend aus zwei weiteren Praktikanten in New Yorks East Village.

Warum New York? Die Mieten rangieren in Höhen, die nur noch schwindelfreie Menschen zu erklimmen im Stande sind. Es ist laut. Es ist dreckig. Und zu dieser Jahreszeit auch nicht gerade kuschelig warm. Eine Wohnung, deren Heizung nur an drei Tagen pro Woche funktioniert und die leider auch gleichzeitig Effekte auf das Warmwasser hat (das in diesem Falle als Kaltwasser bezeichnet werden müsste), macht diesen Umstand nicht gerade leichter. Man steckt ständig in einem Strom von Menschen fest, der einen in Richtungen drängt, in die man eigentlich gar nicht wollte. Begriffe wie quality time, fat free/sugar free sweets (ein Paradoxon per se) und Wasserkakerlaken (als wenn normale Kakerlaken nicht schon reichen würden) müssen plötzlich in den Wortschatz integriert werden und man hat pro Tag etwa $10 Dollar zur Verfügung, um die amerikanische Wirtschaft anzukurbeln bzw. das eigene Bäuchlein wahlweise mit Essen oder Bier zu füllen (beides ist aufgrund oben erwähnter finanzieller Umstände selten möglich). Warum zur Hölle tut man sich das an?

Weil es sich eben um New York handelt. Und die Stadt ist es immer noch wert, auf sämtlichen verwöhnt-europäischen Luxus zu verzichten, um sich kopfüber ins Abenteuer zu stürzen. New York macht mit all seinen Superlativen alles andere wett.

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