Von Holz und Steinen
Jan Torben Weinkopf

Irgendwo auf dem Land gab es einmal vor Zeiten ein Dorf. Unter den Einwohnern gab es auch einen, der war Handwerker und fertigte viele Dinge aus Holz. Die Bauern waren sehr zufrieden mit seiner Arbeit, denn egal ob sie ein Rad an ihrem Wagen geflickt haben wollten oder einen Dachstuhl auf ihrem Haus, irgendwie hatte er es noch immer hinbekommen. Seine geheime Leidenschaft lag jedoch ganz woanders. Er sammelte für sein Leben gern Steine. Die Größe spielte dabei kaum eine Rolle und auch das Alter war ihm recht gleichgültig. Sogar Brocken alten Mauerwerks ließ er selten aus. Er kannte eine Unmenge an verschiedenen Arten und wo man sie finden kann. Den Bauern waren die Steine herzlich egal. Wenn sie beim Pflügen auf dem Feld auf einen trafen, warfen sie ihn meist beiseite, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, und man kann ihnen das wohl kaum verdenken.

umso mehr wunderten sie sich, wenn sie mit dem Handwerker zusammen waren und er ihnen sogar ihm Vorbeigehen etwas über den Schutt am Wegesrand erzählte. Sogar dem Schmied konnte er noch etwas über seinen Trog zum Abschrecken des heißen Eisens berichten. Letztlich glaubten einige sogar, er wüsste zu jedem Kiesel im ganzen Lande etwas zu sagen. Aber er war weit davon entfernt und wusste das auch, denn es war ja nur sein Steckenpferd. Tatsächlich überlegte er sogar hin und wieder, ob er nicht in eine andere Gegend ziehen sollte, um dort noch mehr erfahren zu können. Bis dahin ließ er sich oft von den Leuten des Dorfes Steine von ihren Reisen in die Städte und andere entfernte Gegenden mitbringen. Die Leute kamen dann zu ihm in die Werkstatt und legten ihr Stück auf einen Tisch. Er unterbrach dann fast immer, um den Stein zu betrachten und dem freundlichen Geber zu danken.

Ein weit reisender Kaufmann aus dem Nachbardorf fragte ihn einmal bei einer solchen Gelegenheit, warum er sich nicht bei seiner Leidenschaft auf edle Steine wie beschliffene Smaragde, Rubine, oder vielleicht auch noch wertvolle Erze beschränke. Der Handwerker versicherte dem Mann, dass das auch ihm erstrebenswert erscheine, er könne sich aber einfach nicht dazu durchringen, auf so viel Schönes dann zu verzichten. Der Kaufmann grübelte einen Augenblick und gab dann zu bedenken, dass seine mächtigen und soliden Bauernhäuser im Ort womöglich um viele hundert Jahre länger bestand haben werden als seine Steinsammlung. Wenn er aus dieser Welt gegangen sei, bliebe damit schließlich nichts weiter zurück als ein großer Schutthügel in seinem Hof. Warum er nicht Steinmetz geworden sei, fragte der Kaufmann, dann hätte er gute Chancen gehabt, etwas für eine halbe Ewigkeit zu bauen. Darauf wusste der Handwerker zuerst nichts zu sagen. Schließlich sagte er: »Wer ein Leben lang Steine behaut und daraus eine gewaltige Kathedrale baut, der übersieht wohl leicht die Kiesel, die vor ihrer Türe liegen.«


© 1997 by Jan Torben Weinkopf. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.


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