Theater in Wimpfelsberg (2)
Der Schwampf hat einen Stolz

von Josef Ehrhart

Gruß aus Wimpfelsberg an der Hutzen

Dem Sepp ließ es keine Ruhe, dass er einmal fast die Wimpfelsberger Theatertage geschmissen hätte. In den Boden hätte er versinken können, damals, bei der Uraufführung der Schlacht im Hutzental, als er sein Häuflein versprengter Söldner an den Saum des Hutzenmoors respektive den Bühnenrand geführt hatte und ausrufen hätte sollen: »Schwarz liegt das Moor - unsere letzte Zuflucht - in seinem Dampf!« Es hatte ihn doch bei all den Proben niemand darauf vorbereitet, dass er mit einem Schlag die gesamte Ortsprominenz vor Augen haben würde, gebannt an seinen Lippen hängend. Stecken geblieben war er vor Lampenfieber, noch vor er ein Wort sagen konnte. Die Kehle hatte es ihm zugeschnürt. Gerade noch das verteufelte »Schwampf« hatte er hervorstoßen können. Der Bürgermeister und Kronenwirt, der den Text natürlich schon kannte, hatte einen Hustenanfall bekommen. Der Studienrat Haslinger in der Kulisse hatte noch verzweifelt versucht, ihm zu soufflieren - »Schwarz liegt ...« - aber da hatte das Häuflein hinter ihm schon den vorgeschriebenen Krawall ausbrechen lassen, weil der Dichter und Regisseur, der Herr Haslinger, seine Laienspielschar Wimpfelsberg an der Hutzen e.V. bestens aufs Stichwort dressiert gehabt hatte. »Sobald ihr Dampf hört, fangt ihr an!« Probe für Probe. Ein »Dampf« vom Häufleinführer Sepp - und die Burschen randalierten augenblicklich, was das Zeug hielt. Ob Dampf oder Schwampf, das war in der Aufregung der Premiere nicht zu unterscheiden gewesen. Darum hatten Pfarrer, Apotheker, Doktor und Feuerwehrhauptmann nebst jeweiligen Gemahlsgattinnen (plus die dicke Hausmeisterin vom Pfarrer) und die restlichen Wimpfelsberger gar nicht recht gemerkt, dass eine unsterbliche Perle haslingerscher Dichtkunst ihnen hier vorenthalten geblieben war. Man hatte den Fehler klassisch überspielt, zufällig zwar, aber immerhin.
     Bei der Schüleraufführung am nächsten Nachmittag hatte der Sepp seine Häufleinführerrolle ja auch perfekt über die Bühne gebracht. Aber der Schwampf war an ihm hängen geblieben. Einen Spitznamen hatten sie, jedenfalls die Eingeweihten von der Laienspielschar, ihm daraus gemacht und angehängt. Tauchte er fortan an seinem wohlverdienten Feierabend in der Gaststube auf, gab es immer einen, der der Marie zurief: »Geh, bring dem Schwampf eine Halbe von mir!« Peinlich war das, zumal er die Kellnerin heimlich verehrte. Natürlich kam er so per Saldo auf ein ansehnliches Quantum Freibier. Aber wurmen tat es ihn trotzdem. So sehr, dass es ihn bei der Ehre packte.
     So kam es, dass im Jahr danach, als wieder die Wimpfelsberger Theatertage am Stammtisch der Krone Gestalt anzunehmen begannen, ein Mordstrumm Mannsbild zum Studienrat trat und hervorstieß:
     »Will mitspielen!«
     »Willst uns wieder den Schwampf machen, Sepp?!« polterte der das Theaterkomitee anführende Kronenwirt. »Hast dich noch nicht genug blamiert?«
     »Drum. Wills gutmachen.«
     Eine Diskussion entspann sich, an deren Ende der Studienrat, sich seiner Feinsinnigkeit besinnend, einlenkte. »Gut, Sepp, ich schreibe dir eine Rolle hinein. Eine kurze freilich. Aber machs diesmal richtig.«
     Der Sepp erhielt seine Rolle in dem gran-di-osen Drama, das Herr Haslinger wiederum aus Wimpfelsbergs Geschichte zu schöpfen wusste. Einen Boten sollte er darstellen, der in die auf romantischer Lichtung rastende Jagdgesellschaft des Grafen (gegeben diesmal von Herrn Haslinger persönlich) hineinplatzen sollte, um mit letztem Atem hervorzustoßen: »Herr Graf, ihr Schloss steht in Flammen!«
     Haslinger, der am Theater vor allem das Theatralische liebte, übte mit Sepp die Betonung persönlich ein: »Herrr Agarahf, ihr Aschaloß steht in Afalammen!« Wieder skandierte der Sepp den sanftäugigen Kühen und dem dampfenden Misthaufen seine Botschaft vom in Afalammen stehenden Aschaloß vor, bis er sie im Aschalaf hersagen konnte. Noch einmal würde er denen nicht den Schwampf machen! Er nicht. Denn der Sepp hatte einen Stolz.
     Die Uraufführung rückte heran. Der Kronenwirt selbst, assistiert vom Dramatiker, nahm sich den Darsteller noch einmal hinter den Kulissen zur Brust.
     »Wirst es richtig machen?«
     »Jo!«
     Wirst deinen Satz vom Anfang bis zum Schluss so sagen, wies der Herr Studienrat mit dir geübt hat?«
     »Jo!«
     »Weißt du, was du sagen musst?
     »Jo!«
      »Mach uns keine Schande!« Das würde er garantiert nicht tun, nicht er, der Sepp.
     Auch Studienrat Haslinger tat sein Übriges:
     »Wirst du diesmal deinen Text so sprechen, wie wir geprobt haben?«
     »Jo!«
     Das Stück begann und nahm seinen Lauf. Sepp, der Bote, lief sich warm hinter den Kulissen, um pünktlich aufs Stichwort hervorzustürzen und dem Grafen zuzurufen –
     nun, was? Er wusste es nicht mehr! Die Prominentenaugen, die auf ihn gerichtet waren, der Grimm des Bürgermeisters Kronenwirt in der ersten Reihe, der sichtlich zur augenblicklichen Aufwallung bereit war, die Vielen im Dunkeln – die Kehle schnürte es ihm zu. Kein Wort brachte er heraus.
     Sepp, der Bote, herbeigetrampelt, dem Grafen Haslinger dramatisch die Hand entgegenreckend – hatte glattweg vergessen, was er beim Melken, beim Misten und bei den Proben so glänzend auszurufen verstanden hatte. Sein Hirn war leer, gelähmt, finster! Abermals! Welche Schande! Jener aber, alter Theaterhase, der er war, besann sich der Kunst der Improvisation und versuchte zu retten, was zu retten war. Dramatisch stieß er hervor:
     »Steht ättwa mein Aschaloß in Afalammen?«
     Und der Sepp:
     »Jo!«

© 1999 by Josef Ehrhart. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Hinweis: Lesen Sie auch den ersten Teil »Dem Sepp sein Auftritt«
sowie die Kritik zum ersten Teil in Maltes Meinung.


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