Prinzessin
Zweizimmerküdibad

von Sabine Nölke

Die Hosen waren akkurat über den Kniff gefaltet und auf den Holzbügel gehängt worden. Nun baumelten sie grau und baumwollen an der Ecke des Kleiderschrankes, als würden sie darauf warten herunter geholt zu werden. Es roch nach fehlfarbenen Zigarren. Dieser Geruch war gegen stundenlanges Lüften immun. Bleiern hing er in den Brokatvorhängen und lag auf dem braunen Stoffsofa, überall hin trugen ihn die Bewohner der Zweizimmerwohnung mit sich. Sogar aus den frisch gewaschenen Handtüchern legte er sich am Morgen nach dem Duschen auf den Körper und ließ sich nicht abschütteln.
     Die schönste Stunde dieses Tages war angebrochen. Unter der Bettdecke waren die Töpfe mit dem Mittagessen. In Zeitungspapier gehüllt warteten sie, warm, und jeden Tag frisch zubereitet. Nach einer kurzen Stärkung war es an der Zeit umherzustreifen. Hier eine Schublade aufzuziehen, dort ein Paar hochhackige Schuhe anzuprobieren und vor dem Spiegel auf und ab zu schreiten. Gleich einem Vampir die Minuten nutzend, Sekunden auskostend und angstvoll zur Uhr blickend. Ein Griff nach Raum, raumgreifend und ohne Eingriff, - zwei Zimmer, Kü., Di., Bad - ein Himmelreich für dieses Eigentum.
     In der Küche lagen Zettel auf dem weißen Tisch. Anweisungen um das Leben zu erleichtern, kleine Weisheiten wie das Essen zuzubereiten war und angstvolle Ermahnungen über das Ausschalten des Herdes waren dort zu lesen. Doch was hatten diese Schriftstücke jetzt zu bedeuten? Niemand war hier, der ihre Forderungen einklagen konnte, es waren flüchtige Spuren derjenigen, die sonst die Räume beherrschten. Der Eine war gerade gegangen, der Andere noch nicht hier. Was, wenn das eine Papierchen einfach in den Müll geworfen würde und aus dem anderen eine Schwalben entstünde, die dann in den Garten flöge? Jetzt war alles möglich. In dieser Stunde konnte so viel geschehen. Die Zimmer verwandelten sich in die Gemächer einer Prinzessin. Allein im Schloss zurückgelassen wartete sie in ihrem Reich Zweizimmerküdibad auf das schwarze Pferd mit oder ohne Prinz. Ein eigenes Pferd! Wer wollte schon einen Prinzen?
     Noch eine halbe Stunde, dann war ihre Zeit vorbei, wie ein Spuk. Auf dem Küchenschrank würden wieder, sorgfältig ausgerichtet, Zigarrenschachtel, Feuerzeug, Portemonnaie und Brieftasche liegen. Nein, nicht einfach nur sorgfältig! Jeder konnte mit dem Lineal die Abstände der Gegenstände zueinander und zur Schrankkante nachmessen, millimetergenau. Alle Spuren mussten beseitigt sein, wenn die Stunde vorbei war. Nichts durfte an die sechzig Minuten Anarchie erinnern. Gute Stimmung hing von den Kniffen in den samtbraunen Wohnzimmerkissen oder der blank polierten Edelstahlspüle ab. Ein achtlos liegen gebliebener Pullover oder ein dahingeworfenes bemaltes Blatt Papier sorgten für gerunzelte Augenbrauen. Schuhe wurden gewienert wie die Stoßstangen des Familienwagens und der kupferne Aschenbecher.
     Die letzte Viertelstunde war angebrochen. Einmal noch durch die Gemächer streifen und erschauen, was sonst niemand sehen konnte. Kutschen mit goldenen Rädern und Löwen im Garten, die der nachlässige Diener wieder herausgelassen hatte ohne zu fragen. Nun würden sie die quadratisch bepflanzten Beete zertrampeln. Kein Fernsehen und kein Radio konnten so ein Programm bieten: interaktiv und erlebnisnah. Barfuß über den sauber geschrubbten Küchenboden schlendern, nicht beeilen und ohne »endlich mal die Socken« anzuziehen, das war Luxus!
     Die Zeiger der Küchenuhr kündeten vom Ende der Herrlichkeit. Jeden Moment auskosten, schnell die Schuhe wieder in den Schrank stellen, die Kniffe in die Kissen hauen und dann noch einmal durch den Flur parieren. Für zwei lange Tage würde die Prinzessin von Zweizimmerküdibad nicht in ihrem Reich sein können, erst am Montag würde sie wieder kommen. Eine Tür fiel ins Schloss und die langsamen Schritte auf der Holztreppe im Hausflur kündeten vom Ende ihrer Herrschaft. Der Vater trat in die Diele, nahm sich den Raum und verwandelte das Luftschloss in eine aufgeräumte, Wohnung mit zwei Zimmern, Küche, Diele und Bad. Die Prinzessin nahm die Krone vom Kopf, wischte das Lächeln vom Gesicht und holte den Topf mit dem Mittagessen aus dem Schlafzimmer.

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