Nur eine Amsel. Eine Erzählung von Birgit-Cathrin Duval

Die Geschichte gibt es auch als MP3-Hördatei kostenlos zum Download, gelesen von Nadia Zaboura.
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Als sie sich im Büro ihren ersten Kaffee einschenkte, zitterten ihre Hände. Der Tag hatte bereits sehr merkwürdig begonnen. Es war eine Amsel, die ihren Weg kreuzte. Plötzlich war sie da, etwas großes Dunkles, das links vor ihrer Windschutzscheibe auftauchte. Fast hätte sie das Steuer herumgerissen. Sie krallte ihre Finger ins Lenkrad und hielt es so fest, dass das Weiß ihrer Knöchel hervortrat. Der Vogel flog niedrig. Zu niedrig. Doch er schien es zu schaffen. Gerade so. Sie atmete erleichtert auf, dankbar, dass der Vogel dem Auto entkam. Dann gab es einen dumpfen Schlag, Blut spritze, schwarze Federn stoben auseinander, und der Vogel zuckte im Todeskrampf während er vom Scheinwerfer, der ihn erfasst hatte, fort in den Straßengraben geschleudert wurde.

Wald

Den ganzen Tag hindurch begleitete sie ein seltsames Gefühl. Die Amsel. Das viele Blut. Der zuckende Körper. Ihre Haut zog sich merklich zusammen und bildete kleine Pünktchen, auf denen sich feine Härchen krümmten. Willkürlich schüttelte sie ihren Kopf, als könne sie das Erlebnis damit vergessen.

Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und öffnete ein Fenster, sog tief die klare Herbstluft ein. Sofort fühlte sie, wie eine neue Kraft ihren Körper durchströmte. Sauerstoff. Das Gehirn braucht Sauerstoff. Sie lächelte. Kein Wunder, dass du dich nicht gut fühlst. Wann warst du denn das letzte Mal laufen? Sie blätterte in ihrem Terminkalender. Dort standen die Termine, alle in Grün gekennzeichnet. Es mag vier oder sogar fünf Wochen her sein, seit sie das letzte Mal zur Laufgruppe gegangen war. Dabei taten ihr die Laufeinheiten so gut. Nicht dass sie hätte abnehmen wollen. Es war die klare Luft, die ihre Lungen füllte und hinterher fühlte sie sich frei und unbeschwert. Die ganze Arbeit, der Stress, all das schwitze sie beim Laufen aus den Poren. Laufen. Ich muss heute noch laufen gehen. Dienstags traf sich die Laufgruppe nicht, aber das spielte keine Rolle. Sie musste es tun. Allein. Nachdem sie diesen Vorsatz gefasst hatte, fühlte sie sich augenblicklich besser. Sie schloss das Fenster, leerte den lauwarmen Kaffee in das Spülbecken, kehrte an ihren Schreibtisch zurück und war überrascht, wie gut ihr die Arbeit von der Hand ging.
     Es war ein ungewöhnlich milder Spätherbsttag im Oktober. Die Sonne schien sich ein letztes Mal aufzubegehren, wohl wissend, dass sie den Kampf gegen die dunklen Tage bald verlieren sollte, und sie schickte mit aller Kraft ihre ermattenden Strahlen zur Erde. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Der Verkehr kroch wie eine satte fette Made durch die Straßen. Während sie im Schritttempo vorwärts rollte, fiel ihr Blick wie zufällig auf die Motorhaube. Sie bemerkte den Blutfleck und für einen Moment erlebte sie den Aufprall wieder. Sie schloss die Augen und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Gleich zu Hause würde sie den hässlichen Fleck wegwischen.

Sie war fast ein wenig berauscht von der Aussicht, gleich durch den Herbstwald zu joggen, warf ihre Tasche in die Ecke und ging ins Schlafzimmer. Es würde noch zwei Stunden hell sein. Sie band ihre Haare zu einem Pferdesschwanz zusammen, streifte ihren Rock, Bluse und BH ab und zog ihre Laufbekleidung an. Noch war es warm genug, eine Jacke würde sie nicht brauchen. Sie warf sie zurück aufs Bett.
     Ihre Joggingschuhe waren blitzblank geputzt, als wären sie noch nie benutzt worden. Sie schnürte die Schuhe, stieg die Treppen hinab zur Tiefgarage und startete den Wagen. Als sie aus der schummrigen Auffahrt ins Sonnenlicht steuerte, fiel ihr der Blutfleck wieder ein.

WaldEs ist nur eine Amsel, beruhigte sie sich. Aber der Fleck brannte vor ihren Augen. Inzwischen hatte der Verkehr nachgelassen. Zügig kam sie aus der Stadt hinaus und fuhr über eine hügelige Landstraße zum nahe gelegenen Wald. Die Sonne stand nun tief am Horizont als sie den Wagen auf dem Waldparkplatz abstellte. Für eine halbe Stunde würde das Licht noch reichen. Länger würde sie es auch nicht durchhalten. Sie stieg aus und zog ein Papiertaschentuch aus der Tasche, befeuchtete es und rieb am Fleck. Das Tuch war zu trocken, um das getrocknete Blut vom Lack zu entfernen. Sie rieb immer heftiger, das Taschentuch zerfledderte und mit einem Aufschrei stierte sie auf ihre Hand, an der sich Spuren des getrockneten Blutes abzeichneten. Sie ließ das Taschentuch fallen, rieb ihre Hände an der Hose ab und steckte eilig ihren Autoschlüssel ein. Fort von hier. Einfach laufen. Einen klaren Kopf gekommen. Frische Luft einatmen, Sauerstoff tanken. Dabei vergaß sie sogar ihre Dehnübungen. Sie lief los, in den Wald, der rotgolden in der Abendsonne leuchtete. 

Friedlich. Die Welt war friedlich und sie war mit sich im Einklang. Wohl zehn Minuten war sie unterwegs. Spaziergänger traf sie keine. Sie atmete ein und aus, trabte mit langsamen, gleichmäßigen Schritten vorwärts. Sie wählte die gleiche Strecke, die sie mit der Gruppe liefen. Obwohl sie während des Laufens immer in Gespräche verwickelt war, hatte sie sich stets eingeprägt, bei welcher Wegkreuzung man rechts vom Hauptweg abzweigte und auf einen kleinen, handtuchbreiten Pfad einbog. Sie lächelte kurz als sie die Kreuzung vor sich sah. Mein Tempo ist gut, dachte sie. Obwohl sie wochenlang nicht mehr gelaufen war, hatte sie nichts von ihrer Kondition eingebüßt.

Die Abendsonne warf warme Strahlen durch die Bäume hindurch. Ein Licht, das versöhnlich stimmte. Augenblicklich hatte sie den Blutfleck vergessen. Die Waldluft roch erdig, nach Pilzen, Blättern und Moos. Nach Leben, nach Freiheit, nach... Ja, nach wildem ausgelassenem Sex. Ihr Blut pulsierte und pochte. Sie atmete schwer und sah sich um. Niemand war zu sehen. Sie war ganz alleine im Wald. Ihre letzte Beziehung lag zwei Jahre zurück. Da waren ein paar Nächte gewesen, nichts bemerkenswertes, ein schnelles Vereinigen der Körper, eine Lustbefriedigung. Keine Gefühle, die das Morgengrauen überlebten.

WaldEine animalische Lust rauschte durch ihre Adern.
     Sie lag nackt, ausgestreckt auf dem moosigen, mit Herbstlaub gepolsterten Waldboden. Ihre Hände krallten sich in den weichen, erdigen Waldboden.
     Plötzlich schreckte sie auf. Wo war sie? Der Tagtraum hatte ihre Sinne benebelt. Sie blieb stehen und sah sich um.

Es war still. So still, als würde der Wald seine Luft anhalten. Kein Wind, kein Vogelgezwitscher war zu hören. Nur das einfallende Sonnenlicht, das tiefe Schatten warf und manche Bäume glutrot beleuchtete als würden sie in Flammen stehen. Noch immer klopfte ihr Herz heftig und sie rang nach Atem. Ein Schwarm Mücken sirrte um ihren Kopf. Sie stand mitten auf dem Waldweg. Er führte geradeaus, bis er unweit von der Stelle an der sie stand, als schwarzes Loch verschluckt wurde. Sie atmete tief ein und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, hatte der Wald seine friedliche Abendstimmung verloren. Über ihr breiteten die Bäume ihre Äste aus wie Krallen, die nach ihr greifen wollten. Die Sonne ging unter. Noch einen kurzen Moment flackerte das Licht auf, dann war es verschluckt. Sie fröstelte und rieb mit den Händen ihre Oberarme. Unmöglich konnte sie sich verlaufen haben. Ja, es war ganz und gar ausgeschlossen. Sie war den Hauptweg entlang gejoggt und war an der Wegkreuzung in den kleinen Pfad abgebogen. Aber war es wirklich dieser Pfad gewesen, den die Laufgruppe immer benutzte? War sie nicht überrascht, wie schnell sie an der Wegkreuzung angekommen war? Vielleicht war es gar nicht die richtige Kreuzung gewesen, sondern eine andere?

Eine Zigarette. Hätte ich jetzt bloß eine Zigarette. Wohl wissend, dass eine Zigarette rein gar nichts an der Situation ändern würde. Aber sie machte es erträglicher. Sie musste zurück. Solange es noch dämmerte, war es nicht zu spät. Sie würde ganz einfach den Weg zurücklaufen. Wenn es nicht die richtige Kreuzung war, bedeutete es, dass sie noch näher am Waldparkplatz sein müsste. Es gab also überhaupt keinen Grund, beunruhigt zu sein, sagte sie sich.

Oh doch, es gibt einen Grund, beunruhigt zu sein. Du solltest sogar sehr beunruhigt sein. Sie zuckte zusammen. Woher kam diese Stimme? Sie klang wie ein heiseres Flüstern. Ganz nah an ihrem Ohr. Eine Mücke surrte an ihrem Kopf vorbei. Kurz darauf spürte sie den Stich. Sie klatsche mit der Hand gegen ihre Wange.  Das Insekt klebte zerquetscht in einem Blutfleck zwischen Zeige- und Mittelfinger. Mit ihrer rechten Hand kratzte sie die Reste der Mücke ab und rieb ihre Hände an der Hose ab. Jetzt begann sie zu laufen. Erst langsam, unsicher, dann mit schnellen, großen Schritten hastete sie den kleinen Pfad zurück, wie eine Ertrinkende, die sich durch schwere Wellen zum rettenden Ufer kämpft.

WaldIrgendetwas schlug ihr ins Gesicht. Sie beachtete es nicht. Sie wollte nur fort von hier, aus dem Wald hinaus, der nun dunkel und bedrohlich vor ihr lag. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und wusste nicht, wie lange sie durch den Wald gelaufen war. Der Abendhimmel entfaltete sein Nachtblau. Die Äste hoben sich in schwarzen bizarren Formen vom dunklen Blau ab. Es war der falsche Pfad gewesen, dem sie gefolgt war. Vor ihr tat sich eine Lichtung auf. Nie zuvor hatte sie die Lichtung bemerkt. Es war unmöglich, dass ihr ein solches Detail entgangen wäre. Wie aber konnte sie nur auf den falschen Weg gelangt sein? Sie blieb stehen. Die Laubbäume, die die Lichtung säumten, wirkten wie finstere Türme. Sie versuchte, ihre Gedanken wegzuwischen, so wie man eine Fliege mit der Hand verscheucht.

Sie hatte sich verlaufen. Fast musste sie lachen. Es wäre ein verzweifeltes Lachen, ja, ein hysterisches Lachen geworden. Sie wollte um Hilfe rufen. Um Hilfe rufen. Als ob sie jemand hören würde, hier mitten im Wald. Wahrscheinlich hätte sie nicht einmal mehr flüstern können. Und wenn auch. Wer hätte sie hier hören sollen? Sie war nur ein bisschen in den Wald gelaufen, auf einem Pfad, den sie kannte! Wie konnte es nur passieren? Sie blickte nach oben und meinte, erdrückt zu werden.

Die Nacht rollte heran wie ein gewaltiger, schwarzer Dämon.
     Was sollte sie jetzt tun? Weitergehen? Zurück? Vorwärts in die Lichtung hinein? Die Beklemmung nahm weiter zu. Als hätten sich Schlingpflanzen um ihren Hals gelegt. Ganz sanft, fast unbemerkt, doch jetzt drückten sie zu. Sie musste ruhig bleiben. Nur nicht in Panik ausbrechen, jetzt klar im Kopf bleiben. Nichts Unüberlegtes tun! Sie wollte weitergehen, doch ihre Füße rührten sich nicht vom Fleck. Dann sah sie sie. Die Amsel. Ein klares Bild vor ihrem inneren Auge. Sie war ein Zeichen! Ein deutliches Zeichen. Wie konnte sie es nur nicht bemerkt haben? Sie dachte an zuhause. Wenn sie vom Laufen zurück in ihre Wohnung kam. Wie sie Badewasser einlaufen ließ. Genau 39 Grad, dafür hatte sie sich extra ein Badewannenthermometer angeschafft. Dann öffnete sie eine Packung Ozean Blue. Es roch nach Meer, nach Salz, nach Segelschiffen, nach Sommerschwüle. Die blauen Steinchen vermischten sich mit dem einlaufenden Wasser und bildeten Schaum und Blasen. Ein Glas Prosecco, Kerzenlicht, gedämpftes Licht und Musik.

Inzwischen war aus dem Nachtblau ein Nachtschwarz geworden. Die Bäume nahm sie nur noch als Schatten wahr. Konturen verschwammen, alles ging ineinander über. Ohne Anfang, ohne Ende. Ruhe bewahren! Sie musste ganz ruhig bleiben. Nur nicht in Panik geraten. Alles wird gut. Alles wird gut. Ja, alles wird gut werden. Sie musste nur fest daran glauben. Alles wird gut. Sie fand, dass es recht überzeugend klang.

Nichts wird gut! Wieder vernahm sie das heißere Flüstern an ihrem Ohr. NICHTS wird gut. War es denn jemals gut? Schau dich doch an. War es jemals gut? Nein, es war niemals gut. Und es wird auch nicht gut werden. Sie zuckte zusammen, schlug mit einer Hand aus, doch da war nichts. Kein unsichtbarer Feind, den sie hätte bezwingen können. Ein Windstoß, der wie ein Flüstern klang, in der Dunkelheit. Dann Stille. Alles. Alles wird gut. Alles wird gut! Es wird alles gut! Sie würde aus dem Wald herausfinden. Es ist sicher ganz einfach. Sie würde die Lichtung überqueren und auf den Weg zurück finden, der sie zum Waldparkplatz führen würde. Alles wird gut.

Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Es raschelte. Ganz nah. Sie drehte sich um und sah – nichts. Es war zu dunkel. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, doch mehr als graue Schatten konnte sie nicht erkennen. Wieder raschelte es. Ihr Herz raste. Angst, schlimmer noch als Wahnsinn, saugte sich an ihr fest. Niemand würde sie vermissen. Vielleicht die Katze der Nachbarin, die sich abends gerne in ihre Wohnung drängte. Sonst niemand. Sie hatte ja niemand, der sie vermissen könnte. Sie war allein.

WaldSie erstarrte. Etwas hatte sie gestreift. Direkt im Gesicht. Sie taumelte rückwärts. Ein, zwei Schritte, dann fand ihr linker Fuß keinen Halt mehr, ihr Körper verlor das Gleichgewicht und sie stürzte rücklings einen Abgrund hinab. Der Aufprall war weich. Es platschte, und das Wasser saugte sich gierig in ihrer Kleidung fest. Zwischen ihren Fingern spürte sie die weiche Masse von Lehm und Matsch. Sie stützte sich mit den Händen ab und versuchte, sich aufzurichten. Ihr Haarband hatte sich gelöst, und die nassen lehmigen Haare klebten wirr in Gesicht und Mund. Sie spuckte und wischte die Haare zur Seite. Ihre Hände tasteten wie betrunken in der Dunkelheit umher, bis sie einen Ast fand, an dem sie sich aus dem Bachbett hangelte. Alles wird gut. Ein wirres Lachen höhnte durch den Wald. Oder war es nur das Echo ihrer Angst, das sie hörte? Ein inneres Trugbild, das ihr Gehirn als hörbare Stimme nach außen transportierte? Ihre Kleidung klebte wie ein nasses Tuch auf ihrer Haut. Sie spürte die Kälte nicht, die in ihren Körper kroch und sich ihrer bemächtigte wie ein Parasit. Es muss ein Tier gewesen sein, genauso verschreckt wie sie selbst als sie in der Dunkelheit zusammenstießen. Ja, so muss es gewesen sein.
     Auf allen vieren kroch sie zurück auf den Weg und hockte sich auf den Boden. Sie zog ihre Knie fest an ihre Brust und umschlang die Beine. Sollte sie hier bleiben? Weitergehen? Sie nagte an ihrer Unterlippe. Die Antwort kam von selbst.

Es ging alles blitzschnell. Etwas schnellte aus dem Unterholz hervor und griff an ihre Kehle. Sie wurde von der Wucht des Aufpralls nach hinten gerissen. Ihr Kopf schlug hart auf, ein spitzer Stein, und sie spürte wie warmes Blut nach außen drang. Als der Griff um ihre Kehle fester wurde, wusste sie, dass es kein Tier war. Wäre es hell gewesen, hätte man in blutunterlaufene Augen geblickt, die weit hervortraten als wollte die Angst aus dem Körper springen. Sie rang nach Luft, aber da war keine mehr.

Es klang nach einem tiefen Seufzen, das Erlösung versprach. Es dauerte einen Augenblick, bis sie merkte, dass es ihr eigenes Seufzen war. Sie lag halb aufgerichtet, ihre Finger in einem Laken verkrampft, in einem Bett. Es war ihr eigenes. Eine wundersame Leichtigkeit machte dem schrecklichen Traum Platz. Sie fühlte sich unendlich erleichtert. Diese Nacht hatte nur in einem Traum stattgefunden. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Sich an das zu erinnern, was gestern Abend vorgegangen war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie nach dem Joggen aus dem Wald zurückgekehrt war. Plötzlich musste sie lachen. Sie war gar nicht Joggen gewesen. Auch das war nur Teil des Traums gewesen. Sie schlug das Bettlaken zurück und ging ins Bad. Dann fiel ihr Blick auf etwas Ungewohntes. Sie drehte ihren Kopf und erstarrte. Von der Haustüre aus zog sich eine Spur direkt ins Badezimmer. Sie öffnete die Tür. In der Badewanne lagen Joggingschuhe, über und über von Schlamm bespritzt. Daneben Kleider. Nass, dreckig und ... voller Blut! Sie taumelte rückwärts und übergab sich in die Toilette. Danach öffnete sie den Hahn, ließ Wasser laufen und tauchte ihr Gesicht hinein. Was war gestern geschehen? Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Es war das Radio, das sich wie jeden Morgen um 6.30 Uhr einschaltete. Mittwoch, 1. November. Es war bereits 9 Uhr. Stimmt, heute war ja Feiertag. Allerheiligen. Deswegen hatte sie die Weckzeit verändert. Der Radiosprecher verlas die Lokalnachrichten. Sie hörte nicht genau hin. Trotzdem hörte sie einzelne Worte des Sprechers, klar und deutlich. »Frühe Morgenstunden« »Frauenleiche« , »Waldstück«, »Waldlichtung«. Ihr schwindelte. Langsam dämmerte es ihr. Der Mörder hatte auch ihr aufgelauert. Um Haaresbreite war sie einem schrecklichen Verbrechen entkommen.
     Sie fuhr herum. Etwas war gegen ihre Scheibe geflogen. Sie blickte in zwei starre schwarze Augen. Eine Amsel hockte am Fenstersims. Scheinbar hatte sie keine Angst. Der Vogel reagierte nicht. Auch nicht, als sie das Fenster öffnete. Komisch dachte sie, hier stimmt doch was nicht. Plötzlich wusste sie, warum die Amsel nicht reagierte. Und auch, weshalb die blutigen Kleider in ihrer Badewanne lagen. Sie drehte sich zum Spiegel und wusste was sie dort sehen würde. Nichts.

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© Text und Bilder 2006 by Birgit-Cathrin Duval. Unerlaubte Vervielfältigung oder
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