Die Nörgelei am Café-Tisch
Mai 1999 - Diesmal von Katharina Körting


Berliner Hauptstadt-Meckern
Katharina Körting Alle meckern sie immer über ihre Stadt, die Berliner. Kaum einer, der nicht seit Jahren oder gar Jahrzehnten lautstark davon träumt, wegzuziehen, nach Portugal, nach Freiburg, aufs Land. Das gehört dazu, das machen die New-Yorker genauso. Insofern sind wir ganz Monopole.
     Überhaupt, die Hauptstadtsache: Seit Berlin zur Hauptstadt erklärt wurde, ist das Meckern noch leichter geworden. Da finden sich mühelos und lustvoll immer wieder neue Dinge, die so gar nicht »hauptstadtgerecht« sind. Schon allein deshalb, weil Berlin nicht Paris, Madrid, London ist, sondern eben - Berlin.
     Auch der Taxifahrer gestern fand etwas. Nachdem wir vergeblich am U-Bahnhof Berliner Straße auf den Anschlusszug nach Norden gewartet hatten, scheuchte uns ein freundlicher blauer BVG-Mann hinaus, nach oben in die Nacht, und schloss die Gitter. Aber es gibt ja Taxis. Und die fahren in Berlin tatsächlich hauptstadtgerecht, also in Massen. Gegen die Berliner Taxifahrer lässt sich wirklich nichts sagen. Sie fahren zügig, und vor allem nachts, und sie quatschen dich auch nur ganz selten gegen deinen Willen voll. Damit, wie schwer es für sie geworden sei seit der Wende. Und über die Hauptstadtsache, klar. Da ist auch unser Taxifahrer voll auf dem Laufenden. Wie peinlich es für eine Hauptstadt sei, wenn nicht mal die U-Bahn nachts fahre. Selbst in München führen die U-Bahnen nachts noch um zwei, dabei könne man dort zu dieser Uhrzeit nirgendwo mehr hingehen! Eine Unverschämtheit geradezu, dass wir jetzt sein Taxi bezahlen müssen, statt gemütlich in der U-Bahn zu sitzen... Ja, so sind sie, die Berliner: sie meckern noch über das - und das am liebsten! - wovon sie profitieren.
     »Wo sind sie überhaupt alle, die dreieinhalb Millionen?«, fragt standesgemäß vorwurfsvoll unser Taxifahrer, »das soll eine Hauptstadt sein?«. Am Ku-Damm sei es wie nach einem Fliegeralarm, so leer (der Mann ist schon etwas älter). Nun, es ist nachts kurz nach eins. Wo sollen sie schon sein, die Berliner? Im Bett wahrscheinlich, was sollen sie in seinem Taxi? Selbst so ein ewig meckernder Monopolen-Bewohner muss doch auch mal schlafen.
     Und, mal ganz ehrlich, fragen Sie irgendeinen Berliner, wo er sonst in Deutschland wohnen wollte - oder könnte. Hamburg? Ich bitte Sie! Leipzig? Dresden? München? Oder gar Stuttgart? Nein, für einen Berliner ist Berlin die einzig mögliche Stadt, eigentlich die einzige überhaupt. Da kann er noch so viel meckern - wenn jemand von anderswo das nicht versteht oder nicht einsehen will, beschleicht ihn nur milde Verachtung. Das Berliner Meckern ist, durch und durch hauptstädtisch, wie eine Liebeserklärung.

Katharina Körting


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