Näumanns NörgeleiEine Tasse Kaffee
Monatliches vom Café-Tisch - Juni 1998


Ping - Pong

Näumann am Café-TischNiemand soll behaupten, die Schule bereite einen nicht auf das wirkliche Leben vor. Neulich fiel mir nämlich ein Vorfall wieder ein, der nun 18 Jahre zurückliegt, an Aktualität dafür nichts verloren hat.
     Durch einem Anflug jugendlichen Leichtsinns war es zu einer Keilerei gekommen, in deren Verlauf ein Mitschüler aus dem Fenster befördert wurde. Das war völlig harmlos, denn unter dem Fenster befand sich ein Dach, aber die Lehrerin sah das natürlich anders und schaute ziemlich erschreckt aus der Wäsche, als es plötzlich schüchtern von außen ans Fenster klopfte. Uns wurde harte Bestrafung angedroht, und um den Täter zu ermitteln, sollte jeder einen genauen Bericht über den Tathergang verfassen. Schüler Näumann wollte besonders schlau sein. Damit seine eigene Glaubwürdigkeit erhöht werde, so sein raffinierter Plan, wollte er zumindest zugeben, sich in der Nähe des Tatortes aufgehalten zu haben, an der Tat selbst aber absolut nicht beteiligt gewesen zu sein. Wer wollte schon solche Ehrlichkeit bestrafen? Reingefallen. Ich war natürlich der einzige, der irgendetwas gesehen hatte und wurde dafür hart bestraft.
     Damals kannte ich mich in persönlicher Öffentlichkeitsarbeit noch nicht so aus, sonst hätte ich sicher das Ping-Pong-Prinzip angewandt. »Ich? nichts gesehen, nichts gehört!« (Ping!) »Aber der Klassensprecher war vor mir im Zimmer« (Pong!) Der Klassensprecher hätte dann ganz einfach den Kopf aus der Schlinge ziehen können: »Ja, schon« (Ping!) »Aber Schüler XY hat mir die Sicht versperrt« (Pong!) Und so wäre es dann weiter Ping und Pong im Kreis herum gegangen, bis klar gewesen wäre, dass wir alle unschuldig waren.
     Die Grundlage des Ping-Pong-Prinzips ist die schlichte Erkenntnis, dass Verantwortung wie eine heiße Kartoffel ist. Man muss sie schnell weitergeben, sonst verbrennt man sich gehörig die Finger. Zum Beispiel neulich: Da wurde mit großem Trara die neue alte Berliner Stadtbahnstrecke eröffnet, die den Bahnhof Zoo mit dem heutigen Ostbahnhof verbindet. Der Tag wurde zum völligen Fiasko, der gesamte Bahnverkehr brach zusammen. Züge hatten bis zu vier Stunden Verspätung, wenn sie überhaupt ankamen, Signale funktionierten nicht, Anzeigentafeln blieben leer, Bahnbeamte mussten sich auf den hoffnungslos überfüllten Bahnhöfen verbarrikadieren, sonst wären sie vom aufgebrachten Fahrgast-Mob gelyncht worden. Schließlich wurden einfach die Rolltreppen zu den Bahnsteigen abgestellt. Das Pikante an der Affäre ist, dass eigentlich niemand erklären kann, wodurch dieses Chaos entstanden ist. »Bei uns gab es lediglich Probleme mit der Anzeigetafel, die wurden fachgerecht behoben« (Ping!) »Aber in Rummelsburg funktionierten die Signale nicht« (Pong!). »Na, dit mit die Signale war doch keen Problem« (Ping!) »Aber die Züge sind doch schon zu spät in Berlin angekommen« (Pong!) »Moment! Die Züge waren pünktlich« (Ping!) »Die Zugbegleiter sind zu spät zum Dienst erschienen« (Pong!) »Immer sind wir die Sündenböcke« (Ping!) »Wer wollte denn schließlich Zug fahren?« (Pong!)
(Ping!) (Pong!)…

Johannes Näumann


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